Kolonialzeit
Belgiens dunkle Schatten der Vergangenheit
Fünf Frauen aus der ehemaligen Kolonie Kongo haben geklagt, weil sie einst unter Zwang in ein Kinderheim eingewiesen wurden. Die Richter sehen darin ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Von Knut Krohn
Die Kolonialzeit lastet wie ein schwarzer Schatten über Belgien. Immer wieder kommen Verbrechen ans Licht, die von der Regierung in Brüssel lange ignoriert oder sogar vertuscht wurden. Millionen Menschen sollen in jener dunklen Zeit ums Leben gekommen sein. Die Rede ist von Raub, Zwangsarbeit und Folter. Doch die noch lebenden Opfer und deren Nachkommen verlangen inzwischen immer lauter nach später Gerechtigkeit. Nun hat ein Berufungsgericht über eine Klage von fünf Frauen aus der früheren Kolonie Kongo wegen deren Zwangseinweisungen in katholische Kinderheime entschieden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass diese Entführungen vom belgischen Staat organisiert wurden und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Die Frauen hätten aus diesem Grund ein Anrecht auf eine Entschädigung.
Belgien spielte vor allem im damaligen „Kongo-Freistaat“ eine unrühmliche Sonderrolle in Europas wenig glorreicher Kolonialgeschichte. König Leopold II. aus dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha hatte sich das riesige Gebiet im Kongobecken trickreich als Privatbesitz gesichert. Der von 1865 bis 1909 regierende König der Belgier überzeugte die anderen Kolonialmächte mittels seiner Gesandten auf der Berliner Kongokonferenz 1885, dass er in Afrika philanthropische und missionarische Absichten hege. Tatsächlich ließ er das Land plündern: Elfenbein und Kautschuk füllten seine Kasse. Eine Privatarmee knechtete in seinem Auftrag die Bevölkerung.
„Völkerschau“ in der belgischen Hauptstadt
Der König legte mit seinem Raubgut den Grundstein für das Königliche Museum für Zentralafrika in Brüssel. Es ist eine der größten Sammlungen auf diesem Gebiet mit unter anderem 10 Millionen Tierpräparaten, 180 000 völkerkundlichen Objekten, 16 000 Gesteinsproben und 8 000 Musikinstrumenten. 1897 veranstaltete er im Park von Tervuren vor den Toren der belgischen Hauptstadt eine „Völkerschau“, um die Öffentlichkeit von seiner angeblich zivilisatorischen Mission in Afrika zu überzeugen.
In eigens errichteten „Dörfern“ mussten sich 267 Frauen, Männer und Kinder aus dem Kongo vom Publikum begaffen lassen; zeitweilig kamen 40 000 Besucher am Tag. Sieben Kongolesen starben bei dem menschenverachtenden Unterfangen. Solche Veranstaltungen wurden allerdings nicht nur in Belgien organisiert. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts tourten Geschäftemacher wie die Wildwestlegende Buffalo Bill oder der spätere Tierparkgründer Carl Hagenbeck mit ihren Völkerschauen durch halb Europa. Für Leopold II. war die Aktion gleichwohl ein gelungener PR-Coup und er beschloss im Folgejahr die Einrichtung des Museums. Den imposanten Museumsbau von Architekt Charles Girault konnte allerdings erst Leopolds Nachfolger Albert I. im Jahr 1910 einweihen.
Doch schon damals wandelte sich allmählich die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Die sogenannten „Kongogräuel“ führten schließlich zu einem Aufschrei, 1908 übergab Leopold die Kolonie kurz vor seinem Tod dem belgischen Staat.
Der König äußert „tiefes Bedauern“
Doch die Aufarbeitung dieser dunklen Zeit lief in Belgien mehr als schleppend und wurde erst in den letzten Jahren gezielt vorangetrieben. Der heutige belgische König Philippe besuchte im Frühjahr 2022 die Demokratische Republik Kongo und drückte „tiefes Bedauern“ über die Leiden der Kolonialzeit aus. Dabei übergab er eine Kakuungu-Maske der Suku-Ethnie, allerdings nur als Dauerleihgabe.
Zuvor hatte die belgische Regierung den kongolesischen Behörden ein Inventar von mehr als 80 000 Kulturgütern aus Afrika überreicht. Die Liste mit Skulpturen, Masken oder Musikinstrumenten war Grundlage für das belgische Restitutionsgesetz, das die Rückgabe der Kolonialbeute regelt. Der Schritt wurde als „Pionierleistung“ gefeiert, passiert ist seitdem aber wenig. Die Regierung in Kinshasa habe noch keinen Rückgabe-Antrag gestellt, heißt es lapidar. Zunächst soll eine Kommission mit belgischen und afrikanischen Experten ins Leben gerufen werden, die alle Objekte prüfen soll.
Empörung über Comic-Zeichnungen
Zumindest das Afrika-Museum hat inzwischen seine Rolle geändert. Zuletzt wurde dort in einer Ausstellung ein sehr kritischer Blick auf die Sammlung kolonialer Raubstücke geworfen. „Wir wollen besser verstehen, woher die Objekte stammen und nachweisen, ob sie sie durch Diebstahl, Gewalt oder Manipulation erlangt wurden“, erklärte Bart Ouvry, der das Königliche Museum für Zentralafrika in Tervuren leitet.
Die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe Belgiens und dem damit zusammenhängenden Rassismus, vor allem gegenüber schwarzen Menschen, hat inzwischen sogar Einzug in die Comic-Welt gehalten. So löste das im September 2023 erschienenen Album „Spirou et la Gorgone bleue“ (Spirou und die blaue Gorgone) in den Sozialen Medien heftige Proteste aus. Schwarze Menschen seien gezeichnet wie Affen, lautete der empörte Vorwurf. Der Verlag des belgischen Comic-Helden reagierte prompt und stampfte die restliche Auflage ein.