Belinda-Urgestein Georg Neumann ist tot
Sein Lebenswerk war die Rockdisco in Sulzbach. Er holte Gruppen und Sänger wie Status Quo, Meat Loaf und Roger Chapman in die Region, gab aber auch jungen Bands eine Chance. Schwer erkrankt ist der 69-Jährige in Fellbach friedlich eingeschlafen. Wegbegleiter erinnern sich.
![Belinda-Urgestein Georg Neumann ist tot Georg Neumann im „Kessel“, in seiner kultigen Belinda, die er von seinen Eltern übernommen und mit Herzblut gepflegt hat. Fotos: Edgar Layher](/bilder/georg-neumann-im-kessel-in-seiner-kultigen-belinda-die-er-364410.jpg)
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Georg Neumann im „Kessel“, in seiner kultigen Belinda, die er von seinen Eltern übernommen und mit Herzblut gepflegt hat. Fotos: Edgar Layher
Von Florian Muhl
Sulzbach an der Murr/Fellbach. Georg Neumann ist tot. Die Nachricht kam am Montagabend für alle überraschend. Wer ihn kannte, ist fassungslos und geschockt. Mit ihm verbunden ist sein Herzens- und Lebenswerk Belinda, die weit über die Grenzen des Rems-Murr-Kreises hinaus bekannte Rockdiscothek in Sulzbach an der Murr. Schwer erkrankt ist Georg Neumann in der Nacht zum Montag im Alter von 69 Jahren friedlich in seinem Bett seiner Wohnung in Fellbach eingeschlafen. Mit ihm ist eine prägende Persönlichkeit der Musik- und Kulturszene gegangen, aber auch ein begeisterter Motorradsportler, vor allem aber ein Mensch, der nie nach materiellen Maßstäben gelebt hat, der stets hilfsbereit und kooperativ war, sozial engagiert, liebenswürdig, gutmütig und warmherzig.
Georg Neumann wollte sich im Frühjahr wieder ein Auto zulegen
„Am Sonntag haben wir noch miteinander telefoniert und drüber gesprochen, wie er am besten zu mir raus kommt. Ich wohne ja in der Zwischenzeit im Jagsttal“, sagt Lutz Schelhorn. Der Stuttgarter Fotograf und Filmemacher hat dort ein großes Atelier in Mulfingen-Berndshofen. „Georg hat noch gesagt, dass er sich im Frühjahr wieder ein Auto zulegen möchte“, erzählt der 63-Jährige, der eine weitere Nachricht überrascht und erfreut zur Kenntnis nahm: „Dann wollte Georg noch mit dem Fotografieren anfangen und hat mich gefragt, ob ich ihm eine Kamera empfehlen kann.“ Neumann sei viel mit dem Fahrrad unterwegs gewesen und wollte künftig viele seiner Eindrücke mit der Kamera festhalten.
![Belinda-Urgestein Georg Neumann ist tot In seinem Lieblingssport Gespannfahren war Georg Neumann (rechts) durchaus erfolgreich.](/bilder/in-seinem-lieblingssport-gespannfahren-war-georg-neumann-364411.jpg)
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In seinem Lieblingssport Gespannfahren war Georg Neumann (rechts) durchaus erfolgreich.
„Er war einer meiner wenigen guten Freunde“, bekennt Lutz Schelhorn, der langjähriger Präsident der Stuttgarter Hells Angels war. „Wir haben uns sicher 30 Jahre gekannt.“ Rund fünf Jahre lang haben die beiden auch auf Rufweite zusammen gewohnt, „er im Haus auf der einen Seite von der Belinda, ich auf der anderen Seite.“ Das war Anfang der 2000er, in der Zeit, als Neumann das Brauhaus gebaut hat. „Der Georg war einer, auf den du dich verlassen konntest, der mir auch viel geholfen hat, in schlechten Zeiten sozusagen. Er war ein sehr zuverlässiger Mensch.“
Neumann sei zwar verbittert gewesen, wie er von Sulzbach nach Fellbach zog, weil er sein Lebenswerk habe aufgeben müssen, „aber er hat dann nie aufgegeben oder sich durchhängen lassen“, weiß Schelhorn. Neumann hat in Fellbach bei einer Security-Firma gearbeitet, war während der Pandemie auf Beerdigungen und Zugreisen und habe einen guten Chef gehabt, der ihn auch unterstützt hat. „Er hat sich was ganz Neues aufgebaut. Er war glücklich und zufrieden“, meint sein Freund. Vom Sterben sei bei Telefonaten aber nie die Rede gewesen. Der Tod seines Freundes kam für den Fotografen, der im guten Kontakt mit Neumann stand und sich mit ihm über dessen Krankheit und mögliche Heilungschancen austauschte, daher auch völlig unerwartet.
Für Hilfstransporte nach Rumänien den Belinda-Bus zur Verfügung gestellt
Mit Bestürzung hat auch Markus Stricker vom Tod Neumanns erfahren. Der Gründer und Frontmann der schwäbischen Folk-Rock-Band Wendrsonn hat Mitte der 80er als Discjockey in der Belinda angefangen. „Ich war damals Anfang 20 und bin Georg unheimlich dankbar, dass er mich überhaupt in die Szene hineingebracht hat“, erzählt der Sulzbacher. 18 Jahre lang war er in der Belinda DJ und hat „in der Zeit den Georg sehr gut kennengelernt“, wie er sagt. „Er war für mich ein unheimlich großherziger, hilfsbereiter Mensch mit einem weichen Herzen, der, wenn man irgendwie Hilfe gebraucht hat, sofort da war und gesagt hat: Jawohl, das mach ich.“ In dieser Zeit hat Stricker etliche Hilfstransporte nach Rumänien in Waisenhäuser unternommen. „Georg hat uns finanziell unterstützt und mir kostenlos den Belinda-Bus zur Verfügung gestellt“, erinnert sich der Musiker. Neumann habe auch viele soziale Projekte in Sulzbach verwirklicht und unterstützt. Nach dem verheerenden Tsunami in Thailand stellte er 2005 ohne Zögern seine Räumlichkeiten für ein Benefizkonzert mit 17 Bands zur Verfügung.
Bildlich vor Augen hat Stricker noch die beiden Belinda-Open-Airs in der Froschgrube in Murrhardt; vor rund 33 Jahren das erste mit Roger Chapman. „Beim zweiten 1991 war dann ich für die Band-Auswahl verantwortlich. Da haben Meat Loaf und Status Quo gespielt.“ Die Belinda sei nicht einfach nur eine Disco gewesen. „Für viele, viele Leute war die Belinda ein Kulturträger, eine kulturelle Hausnummer.“ Neumann habe vielen jungen Bands geholfen. Stricker selbst hat nach der Gründung von Wendrsonn sein erstes Konzert in der Belinda gegeben. Menschen aller Couleur hätten dort ihre Heimat gefunden. „Homosexuelle mit Federboas neben Bauern in Gummistiefeln“, wie der Musiker sagt. „Mitte der 80er/Anfang der 90er hat jeder nach seiner Façon glücklich sein dürfen. So lange keiner Theater macht waren alle willkommen.“
Im Jahr 1986 übernimmt Neumann als 33-Jähriger die Belinda, die seine Eltern Eugen und Elisabeth Neumann 16 Jahre zuvor gegründet hatten. Spätestens von da an gilt das Motto: Der „Kessel“ ist Kult, es gibt Rock in allen Facetten. Nach vielen guten Jahren geht Neumann das Geld aus, es kommt 2013 zur Insolvenz. 2015 kauft der Unternehmer Andreas Walz die Diskothek und das Brauhaus. Zunächst betreibt Neumann als Pächter die Belinda weiter. Doch die Zusammenarbeit zwischen ihm und dem neuen Besitzer harmoniert nicht. Schließlich darf Neumann seine Belinda nicht mehr betreten, er hat Hausverbot. „Georg hat damals alles verloren und war sehr verbittert“, erinnert sich Stricker.
Das Hausverbot fürs Belinda-Areal war für Georg Neumann ein herber Schlag
„Ich war fassungslos“, beschreibt Willi Beck seinen Zustand, als er am Montagabend über eine Whatsapp-Nachricht vom Tod Neumanns erfahren hat. Der Diakon ist Vorstand der Genossenschaft „Begegnungs- und Kulturzentrum Sulzbach, Akzente UG“, die 2017 die Belinda erwerben konnte. „Wir hatten immer wieder Gespräche übers ganze Belinda-Areal, und ich hatte wirklich davon geträumt, dass er eines Tages, wenn die Renovierungsarbeiten weitgehend fertig sind, kommt und sich darüber freuen kann, dass sein Lebenswerk in guten Händen ist und es weiter geht.“
Beck weiß, dass Neumann Hausverbot erhalten hatte. „Das war ein herber Schlag für ihn. Als wir’s dann übernommen haben und ihm gesagt haben: Jetzt kannst du wieder kommen, hat er das auch zwei-, dreimal geschafft. Er sagte, dass er sich freut, dass in die Belinda wieder ein neuer Geist einkehrt.“ Die beiden sind sich näher gekommen, als Neumann einen Gottesdienst der Akzente-Gemeinde besuchte. „So ist eine Beziehung entstanden, die es vorher so nicht gab“, sagt Beck. „Wir haben uns dann über den Glauben und christliche Themen ausgetauscht. In dem Zusammenhang hat er mir mal verraten, dass er einen Alpha-Kurs besucht hat, also einen christlichen Glaubenskurs.“ Das habe ihm Kraft gegeben. „Dort konnte ich mein Leben einigermaßen sortieren“, habe Neumann gesagt.
Georg Neumann, der zweimal verheiratet war, hinterlässt zwei erwachsene Kinder.