„Betäubungsfalle ist absolut veraltet“

Interview Der Vorsitzende der Soko Tierschutz, Friedrich Mülln, wirft Kühnle-Geschäftsführer Fritz Kühnle vor, völlig uneinsichtig zu sein und Nebelkerzen zu werfen. Gleichzeitig sieht er den Schwarzen Peter beim untätigen Veterinäramt.

Die Videoaufnahmen wurden laut Soko Tierschutz durch Fenster von außen aus aufgenommen, der Betrieb sei nicht betreten worden.

Die Videoaufnahmen wurden laut Soko Tierschutz durch Fenster von außen aus aufgenommen, der Betrieb sei nicht betreten worden.

In einem Interview mit unserer Zeitung moniert Kühnle-Geschäftsführer Fritz Kühnle, dass ihm die Videoaufnahmen der Soko Tierschutz aus seinem Betrieb nicht zur Verfügung stehen. Warum schicken Sie ihm das Material nicht zu?

Da versteht Herr Kühnle leider nicht, wie ein Strafverfahren funktioniert. Das Beweismaterial bekommt die Polizei und erst einmal nicht der Angeklagte oder der Verantwortliche für die Rechtsbrüche, weil sonst Verdunklungsgefahr besteht. Herr Kühnle kann Akteneinsicht beantragen und bekommt im Rahmen des Verfahrens Zugang. Das Veterinäramt hat das gesamte Material ohnehin längst zur Verfügung. Das gesamte Bildmaterial stammt von acht Tagen.

Trotzdem: Wäre es nicht fair, der Betriebsleitung zu zeigen, was ihr vorgeworfen wird?

Herr Kühnle könnte sich auch einmal auf unserer Homepage unseren Kampagnenfilm anschauen, da ist deutlich mehr Material zu sehen als das, was bei Report Mainz ausgestrahlt wurde. Im Übrigen hat Herr Kühnle ja Videomaterial mit einer deutlich besseren Perspektive auf die Tatorte, dank seiner eigenen Überwachungskameras. Eigentlich wäre zu erwarten, wenn er nach Aufklärung ruft, dass er dieses Videomaterial veröffentlicht, um zu beweisen, dass außerhalb der Zeit, in der die Tierschützer gefilmt haben, alles in Ordnung war.

Würde man noch mehr Vorfälle sehen?

Er würde definitiv noch mehr finden. Wir verwenden grundsätzlich nur die Szenen, die am klarsten zu belegen sind. Zum Beispiel die Betäubungen. Herr Kühnle sagt, man würde sehen, wie sich die Beine bewegen. Da verheimlicht er etwas. Beinbewegungen sind bei Tieren nach dem Trauma eines Bolzenschusses völlig normal. Wir haben ausdrücklich auf Szenen geachtet, bei denen man Sachen sieht wie Schmerzreaktionen, Kopfheben und Ohren- oder Schwanzbewegungen. Das sind Dinge, die nicht bei einem Krampf oder Reflex auf die Betäubung stattfinden. Wir haben nur die deutlichsten Szenen herausgesucht, es gibt aber noch viel mehr. Und bei Elektroschockern hätten wir stundenlang Szenen verwenden können, aber Report Mainz hat nur eine begrenzte Sendezeit.

Ein Zusammenschnitt spiegelt aber die Realität nur eingeschränkt wider.

Das ist die klassische Ausrede von Betroffenen aus der Fleischindustrie und das übliche Argument, um Nebelkerzen zu werfen. Aber unser Material zeigt, Elektroschockereinsätze sind an der Tagesordnung, die meisten Rinder wurden damit getrieben. Und bei der Fehlbetäubung gibt es verschiedene Schweregrade. Wir haben die schlimmsten gezeigt. Es gibt aber mehrere Szenen, bei denen man davon ausgehen kann, dass es eine Fehlbetäubung ist. Und ich sage: Im Zweifel für das Rind. Ein Rind sollte nicht verpflichtet sein, blutend am Haken möglichst deutlich zu beweisen, dass es fehlbetäubt ist. Die Betäubungsmethode sollte so sicher sein und die Arbeiter so korrekt arbeiten, dass kein Rind noch schreiend und strampelnd den Kopf heben muss.

Gibt es Ihrer Ansicht nach eine korrekte Betäubung?

Da sprechen wir nicht nur von einem Problem bei Kühnle, sondern von einem systematischen. Die Betäubung in Deutschland funktioniert nicht sicher. Selbst die konservativen Zahlen der Regierung gehen bei Rindern von zehn Prozent Fehlbetäubungen aus.

Wie könnte man das verhindern?

Da kommen wir auf den technischen Umbau. Kühnle behauptet, einige Punkte bereits umgesetzt zu haben. Wir verlangen von ihm, er könne zu seiner eigenen Entlastung offenlegen, welche Forderungen das Veterinäramt an seinen Standort gestellt hat, welche Forderungen umgesetzt wurden, welche nicht und aus welchem Grund nicht. Das betrifft etwa die sichere Betäubung. Ein Tier, das unter Stress in die Betäubungsfalle kommt, ist nicht sicher zu betäuben, weil es sich hektisch bewegt. Eine Betäubungsfalle, die absolut altmodisch ist, weil das Tier nicht angemessen ruhiggestellt werden kann, birgt natürlich ein großes Risiko, dass der Kopfschlächter danebenschießt. Und dann handelt es sich im vorliegenden Fall offensichtlich um Arbeiter, die vielleicht auf dem Papier einen Sachkundenachweis haben, aber ansonsten nicht allzu viel Ahnung haben von dem, was sie da tun.

Sehen Sie die Betäubungsfalle bei Kühnle als absolut ungeeignet an?

Ja, sie ist veraltet. Es wurden Kälber im Türrahmen betäubt, weil die Falle dafür nicht geeignet ist. Da wurde technisch gespart. Das ist ein Problem, das wir auch bei anderen Schlachthofskandalen in Baden-Württemberg gesehen haben. Dass nämlich das Veterinäramt durchaus Forderungen gestellt hat, die Schlachthöfe diese aber nur schleppend umsetzen, teilweise auch mit politischer Rückendeckung. So hat etwa Peter Hauk, der Landesminister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, in Gärtringen die Überarbeitung der Betäubungsfalle sabotiert. Dadurch sind die Fehlbetäubungen passiert. Deshalb läuft derzeit ein Strafverfahren gegen Hauk.

Hat das Veterinäramt schlecht gearbeitet?

Bei Kühnle hat das Amt gesagt, hier, hier und hier sind wichtige Punkte, die sofort geändert werden müssen. Aber die Umsetzung wurde verschleppt, weil Kühnle nicht bereit war zu investieren. Man hat lieber das Geld vom Staat für Überwachungskameras genommen. Aber das war eine völlig sinnlose Investition, weil sich das Videomaterial offensichtlich keiner angeschaut hat.

Was wird beim Schlachthof genau bemängelt?

Wir wissen es bei Kühnle nicht genau, da wäre der Geschäftsführer der bessere Ansprechpartner. Ich weiß nur, dass der Schlachthof vonseiten des Veterinäramts scheinbar kurz vor der Schließung stand, weil er sich gegen die Auflagen gewehrt und die Forderungen nicht umgesetzt hat.

Das Veterinäramt argumentiert, die Versäumnisse seien nicht so gravierend gewesen, dass man den Betrieb über Nacht hätte schließen können. Teilen Sie diese Einschätzung?

Da kommen wir zu einer Schwäche der Veterinärämter, das zieht sich wie ein roter Faden von einem Schlachthofskandal zum nächsten. Die Veterinärämter gehen nicht mit der nötigen Vehemenz den Forderungen nach. Eines der häufigsten Probleme ist etwa, dass der Boden nicht geeignet ist, um Tiere gut treiben zu können. Da räumen die Ämter ein Jahr Zeit ein, das zu ändern. Aber das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Elektrotreiber eingesetzt werden. Es geht bei den Forderungen in unseren Fällen auch um viele andere Aspekte. Leider ist es häufig so, dass die Ämter eine ruhige Kugel schieben und erst in die Pötte kommen, wenn wir die Katastrophe öffentlich machen.

Wie sollte das Veterinäramt reagieren?

Herr Kühnle verfolgt klare Profitinteressen, das ist ihm als Unternehmer auch nicht zu verbieten. Ich sehe den Schwarzen Peter deutlich beim Veterinäramt. Würden die Ämter endlich einmal hart durchgreifen und einen Schlachtstopp verhängen, bis alles gerichtet ist, dann würde man sehen, wie schnell die Unternehmer die Missstände korrigieren können.

Einer der Vorwürfe besagt, die Elektrotreiber würden zu häufig und widerrechtlich eingesetzt. Kühnle sagt, der Einsatz erfolgt nur, „wenn es gar nicht anders geht“. Was stimmt nun?

Auf dem Videomaterial sind drei Geräte zu sehen, eines davon wurde bei den Schweinen eingesetzt, wobei das eigentlich unnötig ist, weil sich Schweine gut treiben lassen. Trotzdem wurde auf manche Schweine zigmal eingewirkt, obwohl sie schon in totaler Panik waren, unter anderem auch aufgrund baulicher Mängel. Einige verkeilen sich auch, das ist die Schuld des Personals, weil dieses mehr als ein Tier gleichzeitig in die Falle gelassen hat. Zugelassen zum Treiben sind spezielle Treibpaddel. Sie würden im Normalfall völlig ausreichen, denn Kühe sind sehr kooperative Tiere. Wenn man mit Kühen vernünftig umgeht, dann machen diese, was man möchte. Vorausgesetzt, der ganze Schlachthof ist nicht verwinkelt, was hier leider teilweise der Fall ist. Wichtig ist auch, dass die Arbeiter die Tiere nicht unnötig unter Stress setzen. Ich habe in Schlachthöfen schon gesehen, wie man Kühe ganz normal treiben kann, das geht. Aber im Schlachthof Kühnle hat sich keiner Mühe gegeben, da wurde schon nach kürzester Zeit zum E-Treiber gegriffen.

Kühnle verweist darauf, dass der am häufigsten eingesetzte E-Treiber so umgebaut wurde, dass er stromlos ist. Können Sie das bestätigen?

Dabei handelt es sich um eine Ausrede von Kühnle und dem Veterinäramt. Das ist aus unserer Sicht deutlich sichtbar falsch und da lügt Herr Kühnle auch in dem Interview, wenn er sagt, die E-Treiber würden nur eingesetzt, „wenn es gar nicht anders geht“. Man sieht auf dem Material den exzessiven Einsatz von Treibern, teilweise sind sogar zwei Geräte gleichzeitig auf ein Tier gerichtet. Bei den Geräten hört man deutlich Stromschläge, was bedeutet, dass sie sehr stark eingestellt sein müssen. Da waren definitiv Elektroschocker im Einsatz, was man an den Schmerzreaktionen der Tiere sieht.

Aber ein Treiber soll von einer Fachfirma umgerüstet worden sein, damit er keine elektrischen Impulse mehr geben kann.

Da hat Herr Kühnle die Tierschutzschlachtverordnung nicht gelesen. Darin steht, dass spitze Treibinstrumente verboten sind. Der E-Schocker hat zwei Metallspitzen und ist also ohne Strom als spitzes Treibwerkzeug verboten, egal ob er Strom führt oder nicht. Deshalb macht sich der Tierarzt genauso strafbar, wenn er einen Schocker ohne Strom und nur mit den Spitzen verwendet.

Können die baulichen Zustände geändert werden, sodass sie gesetzeskonform sind, oder ist der Betrieb zu klein?

Er ist nicht zu klein, da habe ich schon verwinkeltere Schlachtbetriebe gesehen. Mit baulichen Maßnahmen kann man viel machen, aber das kostet halt ein Heidengeld, eine neue Betäubungsfalle zum Beispiel ein paar Zehntausend Euro.

In einer solchen Falle würde das Tier korrekt betäubt werden können?

Dahinter steht ein großes Fragezeichen. Ein lebendes Tier mit Kraft umzubringen ist immer ein sehr schwieriger Akt, der ganz viele Fallstricke bietet. Ich habe in meinem Leben wenig gute Betäubungen gesehen. Da haben wir auch ein gesetzliches Problem. Wir leben im 21. Jahrhundert und betäuben Tiere noch wie im späten 19. Jahrhundert. Es ist schon sonderbar, dass es auf diesem Gebiet keine ernst zu nehmenden Innovationen gegeben hat. Aber die Fleischbranche sträubt sich gegen alles, was Geld kostet. Dabei haben gerade die mittelständischen Metzgereien zuletzt gute Profite gemacht, weil sich ganz viele Menschen von Fleischfabriken wie Tönnies und Co. abgewandt und die kleinen Metzgereien präferiert haben. Aber solche Kunden fühlen sich ganz besonders vor den Kopf gestoßen, wenn sie dann merken, dass sie vom Regen in die Traufe gekommen sind. Damit erweist Kühnle seiner Branche einen Bärendienst. Da verlieren die Menschen die ganze Hoffnung.

Wie sollte die optimale Betäubung aussehen?

Als Tierrechtler sehe ich es nicht als meine Aufgabe an, hier eine Lösung zu benennen. Aber wenn man gutes Personal, möglichst optimale Technik und ausgeruhte Tiere hat, dann hat man zumindest eine Chance, dass es richtig läuft. Bei Kühnle waren alle drei Aspekte schwierig. Und es fehlt die Einsicht. Am sonderbarsten fand ich bei dem Interview, das er Ihnen gegeben hat, dass er nicht darüber schockiert war, was auf den Videos zu sehen ist, sondern dass es die Videos gibt.

Das Gespräch führte Matthias Nothstein.

„Betäubungsfalle ist absolut veraltet“

„Wir sprechen von einem systematischen Problem. Die Betäubung in Deutschland funktioniert nicht sicher.“

Soko Tierschutz

Das Team In der Soko Tierschutz sind gut 20 Leute aus Deutschland, Österreich, Polen und Ungarn engagiert. Dabei handelt es sich um Meeresbiologen, Automechaniker, Journalisten, Ex-Tiertransportfahrer, Rentner, Schüler und Studenten. Sie alle eint laut ihrer Homepage ein Ziel: „Tierquäler jagen, die Öffentlichkeit informieren und die Welt ein bisschen besser machen.“

Die Taktik In der Soko geht’s um investigative und professionelle Recherchen. Ferner stehen Medienarbeit und friedliche Kampagnen im Mittelpunkt der Arbeit, egal ob undercover im Tierlabor, im Tarnanzug neben der Pelzfarm oder bei Nacht und Nebel in der Hühnerfabrik. Die Soko ist vor Ort: „Tierquäler können sich nicht verstecken.“

Das Ziel Tierschutz, Verbraucherschutz und die Verteidigung der Natur sind untrennbar. Die Soko will eine Welt ohne Tierleid und echten Tierschutz. Auf der Homepage heißt es: „Das bedeutet bei uns nicht kürzere Tiertransporte, größere Käfige oder einen weniger stressigen Tod, sondern die Befreiung der Tiere von Ausbeutung, Leid und Tod durch den Menschen.“

Die Homepage www.soko-tierschutz.org

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Erstellt:
17. September 2022, 06:00 Uhr

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