Biovergärungsanlage in Backnang: Wie aus Biomüll Blumentöpfe werden

Auf dem Gelände der Biovergärungsanlage in Backnang-Neuschöntal testen Wissenschaftler neue Verfahren zur Abfallverwertung. Ihr Ziel ist es, aus dem Inhalt der braunen Tonne marktfähige Produkte herzustellen.

Benedikt Hülsemann von der Universität Hohenheim erklärt die Versuchsanlage in Neuschöntal. Wenn sie in Betrieb geht, produziert sie neben Biogas und Dünger auch Pflanztöpfe. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Benedikt Hülsemann von der Universität Hohenheim erklärt die Versuchsanlage in Neuschöntal. Wenn sie in Betrieb geht, produziert sie neben Biogas und Dünger auch Pflanztöpfe. Fotos: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Kaffeefilter und Kartoffelschalen, Grünschnitt und verwelkte Zimmerpflanzen – rund 40000 Tonnen Biomüll landen jedes Jahr im Rems-Murr-Kreis in den braunen Tonnen. Von dort werden sie nach Backnang-Neuschöntal in die Biovergärungsanlage gebracht, wo aus den Abfällen neben Energie auch Kompost und Dünger gewonnen werden (siehe Infotext).

Doch ließen sich aus den organischen Abfällen auch noch andere Produkte herstellen, die man am Ende vielleicht sogar gewinnbringend verkaufen könnte? Diese Frage soll bei einem Forschungsprojekt beantwortet werden, an dem Wissenschaftler von mehreren Hochschulen und Instituten beteiligt sind. Finanziert wird das Projekt mit dem Titel „Biowaste to products“ (BW2Pro) mit rund 6,2 Millionen Euro vom Land Baden-Württemberg und dem EU-Fonds für regionale Entwicklung.

So kommt der geschredderte Biomüll in die Versuchsanlage. Bei dem Verfahren werden feste Fasern und flüssige Bestandteile voneinander getrennt.

© Alexander Becher

So kommt der geschredderte Biomüll in die Versuchsanlage. Bei dem Verfahren werden feste Fasern und flüssige Bestandteile voneinander getrennt.

Im Schatten der großen Flüssigdüngerspeicher in Neuschöntal haben die Forscher in den vergangenen Monaten ein Zelt mit einer Versuchsanlage aufgebaut. „Hier wollen wir verschiedene Technologien testen“, erklärt Claudia Maurer vom Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft an der Universität Stuttgart. Herzstück der Anlage ist ein großer Stahltank für die sogenannte Thermodruckhydrolyse. Ein Gemisch aus Bioabfällen und Wasser wird hier unter großem Druck bei Temperaturen von mehr als 160 Grad aufgekocht. „Das funktioniert wie bei einem Schnellkochtopf“, erklärt Benedikt Hülsemann von der Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie an der Uni Hohenheim. Bei diesem Verfahren platzen die Zellen der organischen Substanzen auf. „Dadurch werden die Fasern von der Flüssigkeit getrennt“, erläutert Hülsemann.

Verfahren werden erstmals in größerem Maßstab erprobt

Wenn man die festen Faserbestandteile anschließend trocknet und presst, entsteht daraus ein recht stabiles Material. Daraus könnte man zum Beispiel Pflanztöpfe für Gärtnereien produzieren, die bisher meist aus Kunststoff sind. Im Rahmen des Forschungsprojektes soll das getestet werden.

Die flüssigen Bestandteile eignen sich hingegen wesentlich besser für die Biovergärung, weshalb die Produktion von Biogas durch das neue Verfahren beschleunigt werden könnte. Die Wissenschaftler sehen darin auch eine Chance für die Energiewende, weil Biogas die einzige regenerative Energiequelle ist, die man wie fossile Brennstoffe problemlos speichern und je nach Bedarf verwenden kann. Auch Rohstoffe, aus denen sogenannter Biokunststoff produziert wird, möchten die Forscher gerne aus den Abfällen gewinnen.

Versuchsanlage in Backnang geht demnächst in Betrieb

Dass das alles grundsätzlich möglich ist, ist im Labor längst bewiesen. Doch eignen sich diese Verfahren auch für einen Einsatz in größerem Stil? Genau das soll nun in Backnang getestet werden. Die Versuchsanlage, die in Kürze in Betrieb gehen wird, kann pro Tag etwa eine Tonne Biomüll verarbeiten und soll mindestens ein Jahr lang laufen. In dieser Zeit wollen die Wissenschaftler verschiedene Testreihen starten, um herauszufinden, unter welchen Bedingungen die neuen Verfahren funktionieren und wann es Probleme gibt.

Wichtig sei zum Beispiel, dass „Störstoffe“ wie Steine oder Sand zuverlässig ausgefiltert werden, da sie die empfindlichen Anlagen beschädigen können, erklärt Axel Steffens von der Universität Stuttgart. Interessant ist für die Forscher auch, wie sich Unterschiede bei der Zusammensetzung des Biomülls auf die Ergebnisse auswirken. „Im Winter sind zum Beispiel viele ausgediente Christbäume dabei“, weiß Benedikt Hülsemann. Funktioniert das Verfahren dann genauso gut wie im Herbst, wenn vor allem Laub in den braunen Tonnen landet?

Die Hoffnung: Das neue Verfahren soll in größerem Stil in der Praxis eingesetzt werden

Das Forschungsprojekt ist zunächst bis Oktober 2024 befristet. Die Beteiligten hoffen aber, dass sie ihre Arbeit auch darüber hinaus fortsetzen können. Am liebsten wäre ihnen natürlich, wenn ihre neuen Verfahren bald auch in größerem Stil in der Praxis eingesetzt werden. „Wir haben Firmen im Hintergrund, die das schnell umsetzen könnten“, sagt Benedikt Hülsemann.

Bei der Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM), die den Wissenschaftlern das Gelände und die Infrastruktur in Neuschöntal zur Verfügung stellt, ist man jedenfalls sehr interessiert an den Forschungsergebnissen: „Das ist ein spannendes Projekt“, findet Technikvorstand Lutz Bühle. Zum einen als Beitrag für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz, zum anderen hat er auch die wirtschaftliche Seite im Blick, denn Müllentsorgung ist teuer. Sollte es gelingen, aus Biomüll nachgefragte Produkte und Rohstoffe zu gewinnen, könnte der kreiseigene Betrieb damit zusätzliche Erlöse erzielen. Davon würden dann alle Bürgerinnen und Bürger im Rems-Murr-Kreis profitieren – in Form von geringeren Müllgebühren.

Biovergärungsanlage

Strom In der Biovergärungsanlage Neuschöntal wird seit 2011 der Biomüll aus dem gesamten Landkreis verarbeitet. Durch die Vergärung wird Biogas gewonnen, das in zwei Blockheizkraftwerken in Strom und Wärme umgewandelt wird. Der erzeugte Strom deckt den Bedarf von rund 3000 Haushalten.

Wärme Die Abwärme wurde früher zur Trocknung des Klärschlamms aus der benachbarten Kläranlage verwendet. Dieses Verfahren wurde aber Ende 2021 eingestellt. Seitdem bleibt die Wärme größtenteils ungenutzt. Doch das soll sich wieder ändern: Geplant ist ein Nahwärmenetz, um damit Gebäude in Backnang zu beheizen.

Kompost und Dünger Die Biomasse, die nach der Vergärung übrig bleibt, wird zu Kompost und Flüssigdünger weiterverarbeitet, die kostenlos an Landwirte und private Gartenbesitzer abgegeben werden.

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Erstellt:
20. September 2023, 06:00 Uhr

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