Blackout: Wenn im Rems-Murr-Kreis die Lichter ausgehen

Eine Risikoanalyse zu den Themen Blackout und Katastrophenschutz, die bis Ende des Monats fertig gestellt sein soll, beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern und wie lange die Verwaltungen des Rems-Murr-Kreises und seiner Kommunen bei einem Stromausfall handlungsfähig bleiben.

Was passiert, wenn plötzlich in den Stromleitungsmasten im Rems-Murr-Kreis – wie hier zwischen Backnang und Maubach – länger kein Saft mehr fließt? Dieses Szenario wurde nun im Verwaltungsausschuss des Rems-Murr-Kreistags skizziert. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher Fotografie

Was passiert, wenn plötzlich in den Stromleitungsmasten im Rems-Murr-Kreis – wie hier zwischen Backnang und Maubach – länger kein Saft mehr fließt? Dieses Szenario wurde nun im Verwaltungsausschuss des Rems-Murr-Kreistags skizziert. Foto: Alexander Becher

Von Bernhard Romanowski

Rems-Murr. 72 Stunden – das klingt wie der Titel eines Actionfilms, in dem die Protagonisten unter Aufbringung ihrer letzten Kräfte einer schrecklichen Gefahr für die Menschheit die Stirn bieten und am Ende zerschunden, aber heldenhaft lächelnd als Sieger dastehen. Ganz so dramatisch und abenteuerreich dürfte der Job von René Wauro im Normalfall nicht sein. Aber das Szenario eines Blackouts mit den Auswirkungen eines umfassenden Stromausfalls für die Verwaltungsstrukturen des Rems-Murr-Kreises ist etwas, mit dem sich der Kreisbrandmeister und Leiter der Stabsstelle Brand- und Katastrophenschutz im Landratsamt Rems-Murr-Kreis durchaus einmal gedanklich auseinandergesetzt haben sollte. Im Verwaltungsausschuss des Kreistags stellte Wauro deshalb nun die vorläufigen Ergebnisse einer Risikoanalyse vor, inwieweit der Kreis und seine Kommunen auf solch ein Ereignis vorbereitet sind und wie lange die Verwaltungen im Ernstfall handlungsfähig wären.

Die Zahl der 72 Stunden spielt hier insofern eine Rolle, als es verschiedene Zeitgrenzen gibt, die bei solchen Risikoanalysen als Bemessungsgrundlage für den Verlauf der Krise von den Fachleuten verwendet werden. Mag das Thema angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auch sehr an aktueller Dringlichkeit gewinnen, so ist das aber nicht der Anlass für die Risikoanalyse. Seit März letzten Jahres, also lange vor Kriegsbeginn in Osteuropa, beschäftigt sich die Stabsstelle Brand- und Katastrophenschutz mit dem Thema. Auch hatte die Zählgemeinschaft Wilhelm/Klinghoffer seinerzeit einen Antrag auf Auskunft der Verwaltung über den Schutz vor einem Blackout gestellt.

Landkreis prüft Vorkehrungen für einen Blackout

Im Rahmen der Risikoanalyse erfolgt eine kritische Überprüfung der Vorkehrungen für einen Blackout von 72 Stunden innerhalb der Landkreisverwaltung. Das Projekt wird in enger Abstimmung mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe durchgeführt, so Wauro. Bei einem lange anhaltenden großflächigen Stromausfall sind alle Bereiche des täglichen Lebens betroffen. Eine umfassende staatliche Fürsorge kann aufgrund der enormen Anforderungen und der nur begrenzten personellen und materiellen Ressourcen dann nicht mehr sichergestellt werden. Sowohl Kommunen als auch Unternehmen und die Zivilbevölkerung müssen sich demzufolge eigenverantwortlich auf derartige Ereignisse vorbereiten.

„Im Ereignisfall muss die Handlungsfähigkeit der gesamten Verwaltung beziehungsweise deren schnelle Wiederherstellung gewährleistet sein“, erklärte Wauro. Die Risikoanalyse der Stabsstelle Brand- und Katastrophenschutz kommt für die Bereiche im direkten Einflussbereich des Landkreises indessen zu einem positiven Ergebnis. Der Rems-Murr-Kreis räume dem Thema Katastrophenschutz grundsätzlich eine hohe Priorität ein, so der Stabsstellenleiter: „Ereignisse wie die Coronapandemie und das Hochwasser im Ahrtal zeigen, wie wichtig es ist, mit einem funktionsfähigen Katastrophenschutz gut vorbereitet zu sein. Die wichtigste Rolle bei einem Ausfall der Stromversorgung im Rems-Murr-Kreis kommt den großen Netzbetreibern Syna und Netze BW, aber auch lokalen Netzgesellschaften zu. Alle technischen Schritte zur Behebung einer Netzstörung gehen im Ereignisfall von diesen Akteuren aus, so Wauro: „Lokale Netzbetreiber müssen diese Aufgaben für ihre Netze zuverlässig erfüllen. In den vergangenen Jahren kam es im Remstal bereits zu länger andauernden und flächendeckenden Stromausfällen. Diese Ereignisse machen die Verantwortung und Verpflichtung lokaler Versorger deutlich, die notwendige Leistungsfähigkeit zur schnellen Bewältigung derartiger Ereignisse vorzuhalten.“

Im Ernstfall kann über Satellitentelefon kommuniziert werden

Eine wichtige Grundlage für die Bewältigung des Krisenfalls ist die gesicherte Kommunikation mit den Netzbetreibern im Ereignisfall. Es wurden feste Kontaktpersonen benannt, über die der Landkreis zuverlässige und aktuelle Informationen zur Lage erhält. Mit diesen Kontaktpersonen kann der Landkreis im Ernstfall auch über Satellitentelefon kommunizieren. Im Fall eines lange anhaltenden und großflächigen Stromausfalls tritt der Verwaltungsstab des Landkreises zusammen. Die Stabsräume befinden sich derzeit in den Kellerräumen im Hauptgebäude des Landratsamts am Alten Postplatz. Der Begriff „Keller“ lässt bereits nichts Gutes ahnen: „Die Räume sind beengt und verfügen über keine natürliche Belichtung und Belüftung. Die technische Einrichtung ist veraltet. Bereits in der ersten Phase der Coronapandemie wurde deutlich, dass eine längerfristige und zeitgemäße Stabsarbeit im Katastrophenfall hier nicht möglich ist“, so der nüchterne Befund des Kreisbrandmeisters Wauro. Da trifft es sich freilich gut, dass ohnehin gerade am Landratsamt gebaut wird (wir berichteten). Die Unterbringung des Bereichs Katastrophenschutz im Zuge der Sanierung des Westflügels ist in der Planung vorgesehen. Wauro: „Die Pläne beinhalten sowohl eine Verbesserung der räumlichen Situation als auch der technischen Ausstattung.“

Im Landratsamt gibt es eine sogenannte Netzersatzanlage, gemeinhin Notstromaggregat genannt, um die Notversorgung wichtiger Bereiche für eine Laufzeit von bis zu 16 Tagen sicherzustellen. Die Anlage, Baujahr 1984, war aber wohl erst einmal auch ein Forschungsgegenstand, wenn man Wauro im Verwaltungsausschuss so reden hörte: „Wir wussten nur: Da ist so ein Ding. Wir wussten aber nicht, wozu genau es da ist beziehungsweise was es versorgt.“ Um hierüber Sicherheit zu erhalten, wird in Kürze ein sogenannter Schwarztest durchgeführt und ein vollständiger Stromausfall simuliert, wie Wauro ankündigte. Mit den Erkenntnissen aus diesem Versuch könne eine Notversorgung aller wichtigen Bereiche zukünftig sichergestellt und die notwendige Leistungsfähigkeit eines neuen Notstromaggregats festgelegt werden. Die Infrastruktur mit der zentralen Informationstechnik (IT) im Landratsamt wird bis zum Anlaufen des Notstromaggregats durch eine unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) sichergestellt. Nach Auskunft des Innenministeriums Baden-Württemberg werden bei einem großflächigen Stromausfall in kurzer Zeit die öffentlichen Telefon- und Mobilfunknetze sowie die Internetzugänge ausfallen. Das Landratsamt hält deshalb zwei mobile Satellitentelefone zur Sicherstellung der Kommunikation mit Stellen außerhalb der Landkreisverwaltung vor. „Die Kommunikation mittels Digitalfunk BOS zwischen der unteren Katastrophenschutzbehörde im Landratsamt und den Rettungsdiensten, Feuerwehren, Polizei, THW und weiteren Hilfsorganisationen sowie der Bundeswehr wird bei einem Stromausfall durch eine Notstromversorgung für mindestens 72 Stunden weiter verfügbar sein“, so Wauro.

Eine Umfrage zu den Vorkehrungen der kreisangehörigen Städte und Gemeinden mit Blick auf einen längeren Stromausfall zeigt übrigens, dass aktuell rund 75 Prozent der Kommunen im Rems-Murr-Kreis über die Möglichkeit verfügen, die Bevölkerung unabhängig von einer Stromversorgung mit wichtigen Informationen zu versorgen. Rund 30 Prozent der Kommunen verfügen über IT-Systeme mit Notstromversorgung. Nur eine Kommune hält derzeit ein Satellitentelefon vor – die Stadt Backnang.

Abwasserentsorgung würde schnell ausfallen

Nach Auskunft der Kommunen kann die Trinkwasserversorgung ohne Stromversorgung in der Regel noch für rund einen Tag weiter gewährleistet werden. Die Abwasserentsorgung ist zum überwiegenden Teil nicht mit einer Notstromversorgung ausgestattet und würde zeitnah ausfallen. Die Ausgabe von Notstromaggregaten durch die öffentliche Verwaltung oder Energieversorger ist laut Wauro nicht vorgesehen. Eine Vorhaltung und Wartung von Geräten in ausreichender Zahl sei schlicht nicht leistbar. Die freiwilligen Feuerwehren und THW-Ortsgruppen im Landkreis verfügen teilweise über große Notstromaggregate, mit denen im Ereignisfall sogenannte Lichtinseln eingerichtet werden können. Der Abschlussbericht zur Risikoanalyse wird bis zum 30. Juni vorliegen, versprach Wauro im Ausschuss. Die Erkenntnisse werden mit den Städten und Gemeinden analysiert und dann in die zukünftige Planung des Landkreises zur bestmöglichen Vorbereitung auf den Ereignisfall einfließen.

Auf der Homepage des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe findet man unter www.bbk.bund.de Informationsmaterial und Handlungsempfehlungen für Kommunen, Unternehmen und Privathaushalte. Um die gemeinsame Verwaltung von Katastrophenschutzplänen und Kontaktdaten durch die Stabsstelle und die Gemeinden zukünftig zu vereinfachen, wird der Landkreis eine zentral verwaltete digitale Plattform einrichten und die hierfür notwendige Software beschaffen.

Zum Artikel

Erstellt:
1. Juni 2022, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen