Brutale Blockade

Maduro stoppt Hilfe für Venezuela – Guaidós Plan gescheitert

Eskalation - Es sollte der Tag sein, an dem Venezuelas Opposition das Militär für sich gewinnt und Hilfsgüter für die notleidende Bevölkerung ins Land bringt. Am Ende brennen Lebensmittel. Demonstranten fliehen vor Tränengas. Der Machthaber tanzt.

Cúcuta/Caracas Als die Lkw angezündet, die Medikamente und Nahrungsmittel verbrannt und die Hoffnungen erloschen sind, macht sich die Wut Luft. Junge Männer maskieren sich, bewaffnen sich mit Steinen, Gasmasken und selbst gebauten Sprengsätzen und stürzen sich in Cúcuta am Grenzübergang in die Schlacht. Das Wrack eines ausgebrannten Lastwagens dient als Schützengraben. Immer wieder holen sie aus dem Táchira-Fluss Steine und schleppen die Wurfgeschosse in Taschen und Kartoffel­säcken nach vorne. Dort haben die venezolanischen Sicherheitskräfte drei Panzerwagen quergestellt, verschanzen sich und laden die Tränengaswerfer durch.

Es sollte der große Befreiungsschlag gegen Venezuelas sozialistischen Staatschef Nicolás Maduro werden. Doch der Versuch der Opposition, dringend benötigte Hilfsgüter aus Kolumbien und Brasilien über die abgeriegelte Grenze nach Venezuela zu bringen, endet an einer Wand aus Panzern, Soldaten und Tränengas. Die von der Opposition ersehnte Unterstützung des venezolanischen Militärs bleibt bis auf Ausnahmen aus.

Venezuelas selbst ernannter Interimspräsident Juan Guaidó spricht von „Sadismus“, US-Außenminister Mike Pompeo nennt Maduro einen „kranken Tyrannen“, der humanitäre Hilfe brutal an den Grenzen abschmettern lasse. Guaidó kündigt an, mit seinen internationalen Unterstützern wie beispielsweise US-Vizepräsident Mike Pence an diesem Montag in Bogotá das weitere Vorgehen zu besprechen und dabei „alle Optionen“ offenzuhalten. Pompeo droht Gegnern der Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela Maßnahmen an.

Dieser 23. Februar, der von der Opposition zum „Tag der Entscheidung“ erklärt wurde, endet in einem totalen Desaster. Kein einziges Medikament rettet Leben in Venezuela, kein einziges Nahrungsmittel füllt Mägen. Aber 285 Verletzte an den venezolanisch-kolumbianischen Grenzübergängen zählt die Organisation Amerikanischer Staaten. Bis zu 14 Tote soll es zudem auf der venezolanischen Seite bei Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Paramilitärs mit der Bevölkerung gegeben haben. Dabei wollten die Menschen nur die humanitäre Hilfe abholen, auf die sie so sehnlichst warten und die der selbst ernannte Übergangspräsident Guaidó versprochen hatte für diesen Tag. „Sí o sí“ – ohne Wenn und Aber.

Aber statt Hilfspakete in einer Menschenkette zu transportieren, fliegen von Kolumbien aus in hohem Bogen Steine und Brandsätze auf Soldaten und Nationalgardisten keine hundert Meter entfernt in Venezuela. Die Venezolaner, die am Vormittag noch ­voller Euphorie und Hoffnung waren, kommen weinend und fassungslos zurück. Die Sicherheitskräfte auf der anderen Seite schießen – mit Tränengas und laut Amnesty International in einigen Landesteilen auch mit Maschinengewehren auf die Demonstranten. Nur vereinzelt lösen sich Uniformierte aus den Formationen und werden gefeiert, als sie die Seiten wechseln. Alle paar Minuten werden Verletzte aus der Menge gezogen. Ein Mann mit einem langen Holzkreuz begleitet nahezu jeden Verletzten auf dem Weg von der Unruhezone bis in die Krankenwagen. „Sie schießen auf uns“, ruft er aufgebracht und zeigt auf die Wunde am Bein eines Mannes. Die kolumbianischen Sanitäter leisten Schwerstarbeit.

Einige Maduro-Gegner flehen die kolumbianischen Militärs an einzugreifen. Doch die tun nichts. Würden sie die Venezolaner unterstützen, wäre ein kriegerischer Konflikt programmiert. Und so bleibt es ein ungleicher Kampf bewaffneter Venezolaner gegen unbewaffnete. Zu diesem Zeitpunkt sind das unbekümmerte Lachen, die Zuversicht aus dem Gesicht von Juan Guaidó verschwunden. Am Tag zuvor war er über die Grenze gekommen – obwohl ihn die treu zu Maduro stehende Justiz mit einer Ausreisesperre belegt hat. Lachend überquerte er eine Grenzbrücke und beteuerte, die Militärs hätten ihm dabei geholfen. Da war er sich seiner Sache noch sicher. Mitstreiter hatten den Grenzübertritt per Handy dokumentiert. Doch innerhalb von wenigen Stunden hat der populäre junge Parlamentspräsident gelernt, was es heißt, sich mit einem der rücksichtslosesten Machthaber Lateinamerikas anzulegen.

Maduro, der foltern und außergerichtlich hinrichten lässt und bei Wahlniederlagen einfach das Parlament entmachtet, lässt sich von Lebensmittelpaketen und Medikamenten ebenso wenig beeinflussen wie von der Massenflucht seiner Landsleute. Er hat seine Kräfte in Caracas gebündelt und geschafft, einige Tausend Anhänger in der Hauptstadt zu versammeln. „Der Staatsstreich (der Opposition) ist gescheitert“, sagt er am Samstag und bezeichnet Guaidó als „Clown, Hampelmann, Marionette des US-Imperialismus“. Am Abend sieht die Nation den 56 Jahre alten Maduro in einer Übertragung des Staatsfernsehens mit seiner Frau in der Hauptstadt Caracas Salsa tanzen. „Ich bin stärker als jemals zuvor“, sagt er. ­„Warum ich hier bin? Weil ihr [das Volk] diejenigen seid, die das entscheiden und nicht Donald Trump.“

Am Ende des Tages hat es keiner der acht Lkw über die Grenze geschafft. Maduro hat seine Streitkräfte so im Griff, dass diese bereit sind, trotz der humanitären Krise im Land und verzweifelten Patienten in den Krankenhäusern die Hilfstransporter zu stoppen. Damit ist Guaidós Plan gescheitert, Maduros Autorität über diesen Weg auszuhebeln. Im Poker um die Macht hat sich das Blatt innerhalb weniger Stunden gewendet. Guaidó steht plötzlich relativ blank da, und aus seinem Gesicht ist jeder Anflug eines ­Lächelns verschwunden. In der Opposition wächst die Wut wegen des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte, und nun ist kein Plan B zur Hand. Schlimmer noch: Guaidó droht wegen seines Grenzübertritts die Verhaftung durch die linientreue Maduro-Justiz.

An diesem Montag will sich Guaidó mit der Gruppe von Lima in Bogotá abstimmen, auch US-Vize Pence ist dabei. Doch so mächtig seine außenpolitischen Verbündeten auch sein mögen, das Wochenende hat gezeigt: Bislang ist er ein machtloser Interimspräsident, dem zwar die Sympathien der Mehrheit der Venezolaner gehören, doch der keinerlei Zugriff auf die Institutionen hat. Inzwischen ist auch der Regierung von US-Präsident Donald Trump klar geworden, dass der ­Guaidó-Plan nicht aufgegangen ist. US-Außenminister Mike Pompeo drohte Gegnern der Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela Maßnahmen an,

Guaidó selbst schließt „keine Option“ mehr aus. Damit soll auch eine militärische Option gemeint sein – jenes Szenario, vor dem Maduro gewarnt hat. Der ist erstmals wieder aus der Defensive herausgekommen. Zwar reagiert die Welt empört auf die Bilder der Gewalt gegen die Demonstranten, doch bisher hat sich Maduro noch nie um seinen Ruf gekümmert, wenn es darum ging, die eigene Macht abzusichern. Wer keine militärische Lösung in Venezuela will, die in einem unkalkulierbaren und unverantwortlichen Blutvergießen enden könnte, wird mit Maduro verhandeln müssen. Genau das aber hat die Opposition von Guaidó zuletzt immer wieder ausgeschlossen.

An der Grenzbrücke Simon Bolivar sind die wenigen Lokale, die geöffnet haben, überfüllt. Die Menschen hängen an den Bildschirmen, um die Entwicklungen auf beiden Seiten der Grenze mitzubekommen. Viele haben Tränen in den Augen. Ihr Traum von der Revolution ist geplatzt. Einige hatten sogar weiße Nelken dabei, die sie den Soldaten überreichen wollten.

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Erstellt:
26. Februar 2019, 10:26 Uhr

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