Bürokratie bremst die Wirtschaft im Raum Backnang aus

Interview Michael Prochaska spricht als Vorsitzender der Südwestmetall, Bezirksgruppe Rems-Murr, über die aktuelle Lage der Metall- und Elektroindustrie, der größten und stärksten Branche im Land, und deren Perspektiven.

Schwierige Standortbedingungen für die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie im Kreis. Foto: stock.adobe.com/Ingo Bartussek

© Ingo Bartussek - stock.adobe.com

Schwierige Standortbedingungen für die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie im Kreis. Foto: stock.adobe.com/Ingo Bartussek

Herr Prochaska, wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage im Rems-Murr-Kreis?

Eher schlecht. Die aktuelle wirtschaftliche Situation im Kreis unterscheidet sich nicht von der in Baden-Württemberg und im gesamten Südwesten. Wir befinden uns in einer Phase, in der vor allem die schwierigen Standortbedingungen für alle Unternehmen dominieren. Also die Energiepreise, die Bürokratie, die Steuerbelastung und im internationalen Vergleich hohe Personalkosten. Und das alles gleichzeitig. Das sind die Faktoren, die in Zeiten der Transformation und Digitalisierung herausfordern, teilweise bremsen und auch einschränken. Wir hatten in den letzten Monaten immer wieder Rückgänge bei den Auftragseingängen. Im März hatten wir beispielsweise landesweit einen Rückgang von rund 20 Prozent bei Produktion und Auftragseingang.

Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen?

Viele unserer Betriebe befinden sich derzeit im Umbruch. Das bedeutet, viel in Neues zu investieren und gleichzeitig noch kaum Rückflüsse zu haben, also wenig Ertrag, den man mit neuen Produkten erzielen kann. Zudem sind die Margen bei vielen unserer Mitgliedsunternehmen nicht besonders hoch, was gleichzeitig die Investitionsmöglichkeiten einschränkt.

Sie haben vorhin auch die Bürokratie als Herausforderung genannt. Was genau meinen Sie damit?

Nehmen Sie zum Beispiel das erst kürzlich verabschiedete Gesetz zur Sorgfaltspflicht in der Lieferkette. Die Ziele des Gesetzes sind ja grundsätzlich begrüßenswert: der Schutz vor Kinderarbeit, das Recht auf faire Löhne, der Schutz der Umwelt, also die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten.

Warum wird das Gesetz dennoch von vielen Unternehmen kritisiert?

Es ist schwierig, vollständige Transparenz und vor allem Wirksamkeit über die gesamten Lieferbedingungen herzustellen. Jedes Unternehmen hat ja nicht nur Lieferanten in der ersten Lieferbeziehung, sondern dahinter gibt es weitere Ketten von Lieferanten. Das macht den bürokratischen Aufwand sehr hoch. Nehmen Sie zum Beispiel die Firma Stihl. Dieses Unternehmen hat allein mehr als 10000 Lieferanten in der ersten Stufe. Wir sind grundsätzlich offen für europäische Regelungen, aber was dann als Gesetz gekommen ist, führt zu einer Überregulierung. Denn es sind ja nicht nur die großen Unternehmen, die sich daran halten müssen, sondern auch die kleinen und mittleren Unternehmen in der Lieferkette, die alle einen hohen und personalintensiven Dokumentations- und Überwachungsaufwand betreiben müssen.

Wo liegen die Schwierigkeiten bei
der Einhaltung des Gesetzes?

Es ist vor allem der Zeitaufwand für die Unternehmen. Denn sie müssen nicht nur die Bestätigungen ihrer Lieferanten einholen, sondern diese auch in regelmäßigen Abständen auditieren. Das heißt, man muss vor Ort gehen und sich die Situation anschauen. Außerdem sind mittlerweile der Umfang und die Dynamik der regulatorischen Anforderungen sehr ausufernd. Es gibt ja nicht nur das Lieferkettensorgfaltsgesetz, sondern auch ein Gesetz zum CO2-Grenzausgleich, ein Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten und vieles mehr. Die Unternehmen müssen letztlich zu oftmals gleichen Themen unterschiedliche Dokumentationen führen und veröffentlichen. Das ist ein enormer bürokratischer Aufwand. Mit der Interpretation der Anforderungen aus diesen Gesetzen sind die Unternehmen außerdem meist alleingelassen. Aus der Umsetzung wird dann ein Projekt, das unterstützt werden muss, und damit ein gutes Geschäft für Unternehmensberater.

Michael Prochaska sagt: „Wir befinden uns in einer Phase, in der vor allem die schwierigen Standortbedingungen für alle Unternehmen dominieren.“ Foto: Südwestmetall

Michael Prochaska sagt: „Wir befinden uns in einer Phase, in der vor allem die schwierigen Standortbedingungen für alle Unternehmen dominieren.“ Foto: Südwestmetall

Ein weiteres Thema, das die Unternehmen beschäftigt, ist der Fachkräftemangel. Wie schätzen Sie diesen ein?

Wir haben in Baden-Württemberg mit rund vier Prozent glücklicherweise noch eine relativ niedrige Arbeitslosenquote. Gleichzeitig befinden wir uns in einer Phase, in der die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge in Rente gehen werden. Zeitgleich kommen deutlich weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Dies führt dazu, dass es für viele Unternehmen im Rems-Murr-Kreis schwierig geworden ist, Auszubildende zu finden. In unserer attraktiven M+E-Branche konnte in den vergangenen Jahren ein niedriger einstelliger Prozentsatz der Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Mittlerweile liegen wir bei mehr als 13 Prozent. Das bedeutet, dass jeder siebte Ausbildungsplatz aufgrund fehlender oder ungeeigneter Bewerbungen nicht besetzt werden kann. Aber auch an erfahrenen Fachkräften mangelt es bereits. Früher hat es beispielsweise bei der Firma Stihl 14 Wochen gedauert, bis ein Vertrag für eine Fachkraft unter Dach und Fach war. Heute brauchen wir teilweise ein halbes bis dreiviertel Jahr, um eine Expertenstelle zu besetzen.

Ihre Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage haben Sie eingangs mit den Worten „eher schlecht“ beschrieben. Was müsste sich denn Ihrer Meinung nach ändern, damit Sie zu der Einschätzung „eher gut“ oder „gut“ kommen würden?

Weitere Themen

Aus meiner Sicht müssen wir uns auf das besinnen, was uns stark gemacht hat. Damit meine ich Innovationen, also den schwäbischen Tüftler. Dazu müssen aber Bedingungen geschaffen werden, die diese Innovationen ermöglichen. Das fängt damit an, dass wir mehr in Bildung investieren müssen. Darüber hinaus müssen die Standortbedingungen so attraktiv gestaltet werden, dass Innovationsleistungen entstehen können.

Kommen wir zu einem weiteren Thema, das derzeit diskutiert wird: die Viertagewoche. Was halten Sie davon?

Das kann man nicht pauschal diskutieren. In der Metall- und Elektroindustrie haben wir mit der 35-Stunden-Woche bereits unglaublich gute Arbeitsbedingungen geschaffen. Auch bei den Löhnen und Gehältern sind unsere Unternehmen sehr, sehr attraktiv. Es gibt aber auch weniger attraktive Branchen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Ob dort solche Modelle funktionieren, müssen diese selbst entscheiden. Insgesamt müssen wir aber aufpassen, dass wir die bereits genannten Standortnachteile im internationalen Vergleich nicht noch vergrößern. In der Metall- und Elektroindustrie haben wir heute schon so viele Arbeitszeitmodelle, die oft auch die Verteilung der Arbeitszeit auf vier Tage erlauben, dass sich eine Diskussion über die Viertagewoche erübrigt. Einzelne unserer Mitgliedsunternehmen haben es ausprobiert. Interessanterweise war die Resonanz der Belegschaften manchmal nicht so positiv, weil die Arbeit dann auf vier Tage verdichtet wird.

Geben Sie uns zum Schluss noch eine Einschätzung, worauf es aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren ankommt, wenn wir von einem erfolgreichen Standort sprechen wollen?

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir optimistisch bleiben und nicht nur wehklagen. Dazu müssen aber auch die richtigen politischen Akzente gesetzt werden. Die Standortbedingungen müssen so gestaltet werden, dass es sich lohnt, hier zu produzieren und zu arbeiten. Dann werden wir in Baden-Württemberg, im Südwesten, in unserem Landkreis auch in Zukunft weiter tolle Produkte und Dienstleistungen herstellen. Denn die Innovationskraft hat uns immer stark gemacht. Die Standortbedingungen müssen attraktiv sein und dürfen sich auf keinen Fall verschlechtern.

Das Gespräch führte Andreas Ziegele.

Arbeitgeberverband Südwestmetall

Südwestmetall ist der Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg mit 675 Unternehmen (902 Betrieben) und rund 525000 Beschäftigten (Stand 31. Dezember 2022). Der Verband vertritt seine Mitgliedsunternehmen in tarif-, sozial- und bildungspolitischen Fragen.

Bezirksgruppe Rems-Murr Die Bezirksgruppe betreut rund 100 Mitgliedsunternehmen im Rems-Murr-Kreis. Der Altkreis Backnang wird dabei nicht separat erfasst. Die Bezirksgruppen beraten die Mitgliedsunternehmen in allen arbeits- und sozialrechtlichen Fragen.

Michael Prochaska ist im Ehrenamt Vorstand von Südwestmetall und Vorsitzender der Bezirksgruppe Rems-Murr. Der 1962 geborene Prochaska ist Mitglied des Vorstands und Arbeitsdirektor der Andreas Stihl AG&Co. KG und verantwortlich für Personal, Recht, Patente, Compliance, Nachhaltigkeit und interne Services.

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Erstellt:
6. Juni 2024, 06:00 Uhr

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