Champions-League-Kolumne: Madrid – ein königliches Mysterium

Champions-League-Kolumne: Madrid – ein königliches Mysterium

Von Marco Seliger

Große Ereignisse werfen auch in der Planung ihre Schatten voraus. Der VfB in der Champions League bei Real Madrid – das ist groß. Also macht man sich innerhalb der Redaktion dem Anlass entsprechend viele Gedanken um möglichst viele schöne Geschichten rund um das Duell bei den Königlichen. Eine davon – oder besser: ihr Ansatz – lag auf der Hand: Hat der VfB schon mal gegen die Königlichen gespielt, und, falls ja: Wer war dabei und könnte schöne Anekdoten von damals erzählen?

Schnell wurden wir zumindest bei Ersterem fündig. Zweimal trat der VfB in Freundschaftsspielen gegen das weiße Ballett an: einmal 1974 – das zweite Mal dann 1993, und da unter anderem gegen den Stürmerstar Ivan Zamorano und den Mittelfeld-Virtuosen Robert Prosinecki aufseiten Reals.

Und sonst so? Fragen wir mal nach bei ein paar Zeitzeugen. Die können sicher viele spannende Geschichten rund um dieses bisher letzte VfB-Spiel gegen Real erzählen.

Dachten wir.

Unsere erste Nachricht ging raus an Andreas Buck, den damaligen Tempomann des VfB im Mittelfeld. Nachweislich stand er auf dem Platz damals – es gibt einige Beweisbilder: Buck im Zweikampf gegen einen gewissen Alberto Toril, Buck in der Freistoßmauer. Also, Nachricht von uns (sinngemäß): Hallo Herr Buck, wie war das damals gegen Real, hätten Sie Zeit und Lust, mit uns darüber zu plaudern? Antwort Buck (Wortlaut): „Hallo, an ein Spiel gegen Real Madrid kann ich mich nicht erinnern . . . und DAS wüsste ich noch.“

Wir schickten Andi Buck daraufhin einige der besagten Beweisbilder, um ihm auf die Sprünge zu helfen. Vergeblich. Nachricht Buck (wieder Wortlaut): „Ernsthaft? Gegen Real Madrid?“ Buck hängte noch das Emoji mit den weit aufgerissenen Augen an.

Das erste Kapitel mit dem ersten möglichen Zeitzeugen haben wir damit schnell geschlossen – also schlugen wir guten Mutes das nächste auf. Dieter Hoeneß war damals im November 1993 der Manager des VfB. Also, SMS an Hoeneß, mit dem ähnlichen Inhalt wie bei Buck. Die Antwort – kam zwei Tage lang nicht. Also riefen wir an. Nach dem ersten Klingeln ging der Vater des heutigen VfB-Trainers Sebastian ran. Wir legten los, fragen, ob er die SMS nicht gelesen habe. Sofort schritt Hoeneß ein. „Doch, doch, aber ich frage mich bis jetzt, ob wir wirklich gegen Real Madrid gespielt haben.“ Und dann, der entscheidende Satz: „Ich kann mich da an gar nix mehr erinnern.“ Wir erzählten die Geschichte mit Andi Buck, wieder unterbrach Hoeneß – mit schallendem Gelächter: „Ja sapperlot, das gibt’s doch nicht!“

Wir versuchten wieder auf die Sprünge zu helfen. Dieses Mal nicht mit Bildern, sondern mit ersten Rechercheschnipseln rund um das Spiel aus dem Jahr 1993: nur 3000 Zuschauer in der großen Schüssel Gottlieb-Daimler-Stadion, Führungstor für den VfB kurz vor der Pause durch Eyjölfur „Jolly“ Sverrisson, für Real glich dann José Morales aus. Und: Es gibt einen SWR-Beitrag rund um die Partie von damals – aufgezogen am Real-Fanclub „Peña Real Madrid Stuttgart e. V.“, dessen Mitglieder das Spiel selbstredend im Stadion verfolgten. Später am Abend besuchten dann drei Real-Stars die Anhänger in deren Fanclubheim in der Heubergstraße.

Der Clou: Dieter Hoeneß gibt in dem TV-Beitrag ein Interview. Er sagt: „Dass es in Stuttgart einen Fanclub von Real Madrid gibt, finde ich fantastisch – wenn der VfB mal einen Fanclub in Madrid haben wird, dann sind wir schon sehr weit.“

Heute weiß Hoeneß von alldem: nichts mehr. Wieder schallendes Gelächter in der Leitung. Und: „Das gibt’s doch nicht, dass ich mich da an nichts mehr erinnern kann.“

Dafür kann Hoeneß dann noch wunderbare Anekdoten über andere Aufeinandertreffen mit Real erzählen. Die beste: In den 80er Jahren – Hoeneß war Stürmer des FC Bayern – demütigte er mit seinen Kollegen die Königlichen bei einem Freundschaftsspiel in München mit einem Kantersieg. Wenig später lud Real zum Vorbereitungsturnier ins Estadio Santiago Bernabéu ein. Hoeneß sah schnell „Füße auf Gesichtshöhe“, denn: Nach der Schmach von München ging Real vor 80 000 Zuschauern zum Gegenangriff über. Die Folge: Der FC Bayern schritt zwischendurch vom Platz, die körperliche Unversehrtheit war nicht mehr garantiert.

Die Moral von der Geschicht’: Reize das große, stolze Real besser nie, es will im Zweifel bis aufs Blut zurückschlagen.

Mit diesem Selbstverständnis im Rücken hätten wir dann gerne auch noch einen weiteren Beteiligten aus dem Freundschaftsspiel von 1993 in Stuttgart befragt.

Also, erst Whatsapp, dann Anruf bei Fritz Walter, dem damaligen VfB-Torjäger. Antwort: „Wir gegen Real Madrid? Ich kann mich da wirklich an nichts mehr erinnern.“

Mit diesem neuen Kenntnisstand meldeten wir uns dann doch noch mal bei Andi Buck. Seine Antwort, so klar wie einleuchtend: „Ich denke, das Spiel fand in einem Paralleluniversum statt.“

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Erstellt:
12. September 2024, 22:04 Uhr
Aktualisiert:
13. September 2024, 22:05 Uhr

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