Chancen für Ausbau der Murrbahn schwinden

Seit Jahrzehnten verkämpfen sich Kommunalpolitiker für einen Ausbau der bislang eingleisigen Murrbahn-Strecke zwischen Backnang und Schwäbisch Hall-Hessental. Doch ihre Hoffnungen haben jetzt einen herben Dämpfer bekommen. Nachdem ein Gutachten anstelle der Zweigleisigkeit den Einsatz von Neigetechnik-Zügen empfiehlt, droht das Projekt aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 zu fallen.

Für den Zugverkehr im Murrtal steht ab Backnang nur ein Gleis zur Verfügung: Das begrenzt die Kapazitäten und macht die Strecke anfällig für Verspätungen.Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Für den Zugverkehr im Murrtal steht ab Backnang nur ein Gleis zur Verfügung: Das begrenzt die Kapazitäten und macht die Strecke anfällig für Verspätungen.Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

BACKNANG/OBERROT. Dieser Termin war für Steffen Bilger (CDU) nicht vergnügungssteuerpflichtig: Obwohl erst vier Monate im Amt, sah sich der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium bei der Mitgliederversammlung des Murrtal-Verkehrsverbandes in Oberrot gestern massiver Kritik ausgesetzt. Die richtete sich zwar nicht gegen ihn persönlich, aber gegen sein Ministerium, das den zweigleisigen Ausbau der Murrbahn vom vordringlichen in den potenziellen Bedarf herabgestuft hatte. Nun könnte das Projekt sogar ganz aus dem Plan gestrichen werden, sofern sich das Ministerium einem Gutachten anschließt, das empfiehlt, man solle sich lieber auf den Ausbau der sogenannten Neigetechnik konzentrieren. Diese Züge können Kurven aufgrund ihrer Schräglage schneller durchfahren, was die Kapazität der Strecke erhöhen würde.

Bei den Landräten und Bürgermeistern entlang der Bahnstrecke sorgt das Gutachten für Kopfschütteln. „Ein zweigleisiger Ausbau der Strecke ist aus unserer Sicht unerlässlich“, erklärte der Schwäbisch Haller Landrat und Verkehrsverbandsvorsitzende, Gerhard Bauer. Verwundert zeigte er sich über die Feststellung der Gutachter, die Murrbahnstrecke sei noch nicht an ihrer Kapazitätsgrenze: „Diese Aussage widerspricht allem, was wir tagtäglich erleben.“ Bauer erinnerte daran, dass die Zweigleisigkeit bereits seit 1985 im Bundesverkehrswegeplan stehe – und zwar im vordringlichen Bedarf. Dass der Ausbau nun auf einmal wieder infrage gestellt werde, habe bei den Mitgliedern des Murrtal-Verkehrsverbandes „zu großem Unverständnis geführt“.

Steffen Bilger reagierte zurückhaltend auf die Kritik. Er habe Verständnis für den Wunsch der Anrainerkommunen, wolle das Gutachten, das ein externes Planungsbüro erstellt hatte, aber nicht bewerten. Der aus Backnang stammende Abgeordnete des Wahlkreises Ludwigsburg bat noch um ein wenig Geduld: Bis zum Herbst werde sein Ministerium das Für und Wider abwägen und dann eine Empfehlung an den Verkehrsausschuss des Bundestages aussprechen. Versprechen wollte Bilger den Kommunalpolitikern nichts: „Gute Argumente haben andere auch. Wir brauchen für unsere Entscheidung aber objektive Kriterien“, sagte der CDU-Politiker.

Bahn setzt nicht mehr
auf Neigetechnik

Was die Chancen auf einen zweigleisigen Ausbau sicher nicht erhöht hat, ist die Entscheidung der Deutschen Bahn, nun doch keine Fernverkehrszüge durchs Murrtal fahren zu lassen. Das wäre nur möglich gewesen, wenn es wie auf der Gäubahn gelungen wäre, den Nahverkehr in den Fernverkehr zu integrieren, erklärte Sven Hantel, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn für Baden-Württemberg. Sprich: Die Intercity-Züge wären anstelle der Regionalzüge gefahren und hätten die Haltepunkte des Nahverkehrs mit abgedeckt. Dies habe das Land aber abgelehnt, und nachdem die Strecke Stuttgart – Nürnberg ab Dezember 2019 auch noch an den Bahn-Konkurrenten Go Ahead vergeben wurde, sind Intercity-Züge auf der Murrbahn laut Hantel „kein aktuelles Thema mehr.“ Skeptisch äußerte sich Hantel auch zu einem möglichen Einsatz von Neigetechnik-Zügen. Es handle sich dabei um eine „teure und anfällige Technik“. Außerdem gebe es nur wenige Hersteller, die solche Züge überhaupt anbieten. „Wir würden nicht auf Neigetechnik setzen“, erklärte Hantel. Ähnlich äußerte sich auch Beate Schuler vom baden-württembergischen Verkehrsministerium: „Für die Murrbahn sehen wir die Neigetechnik eher kritisch“. Zumal die Waggons, die sich in die Kurve legen, auch bei den Fahrgästen nicht beliebt ist, wie Harald Ebner, Grünen-Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Schwäbisch Hall- Hohenlohe, aus eigener Erfahrung weiß: „Mir wird darin immer schlecht.“

Kritik äußerten die Verbandsvertreter nicht nur am Inhalt des Gutachtens, sondern auch an der Informationspolitik von Bund und Bahn: „Wir werden immer erst informiert, wenn die Katze schon den Baum hoch ist“, beklagte der Fichtenberger Bürgermeister Roland Miola. Der Murrtal-Verkehrsverband müsse viel früher einbezogen werden, forderte Miola. Seine Gemeinde fühlt sich von der Bahn besonders im Stich gelassen: Seit der Fahrplanumstellung im Dezember halten viele Züge auf der Fahrt von Murrhardt nach Crailsheim nämlich nicht mehr in Fornsbach und Fichtenberg.

Die beiden Landtagsabgeordneten Wilfried Klenk (CDU) und Gernot Gruber (SPD) regten an, auch über einen Teilausbau der Strecke nachzudenken. Vielleicht sei die Zweigleisigkeit zumindest zwischen Backnang und Fornsbach möglich, schlug Klenk vor. Gruber brachte kreuzungsfreie Bahnhöfe ins Spiel, an denen sich Züge begegnen oder einander überholen können. Für den Verkehrsverband steht jedenfalls fest, dass etwas passieren muss: „Seit 1995 bewegt sich in puncto Infrastruktur rein gar nichts“, so Gerhard Bauer. „Irgendwann ist unsere Geduld erschöpft.“

Gutachten empfiehlt Neigetechnik -Züge statt Zweigleisigkeit Ein Konzept muss her Von Kornelius Fritz Der Frust unter den Bürgermeistern und Landräten ist groß – das war bei der Mitgliederversammlung des Murrtal-Verkehrsverbandes in Oberrot deutlich zu spüren. Seit mehr als 30 Jahren hoffen sie auf einen zweigleisigen Ausbau der Bahnstrecke zwischen Backnang und Schwäbisch Hall, der im Bundesverkehrswegeplan immerhin als „vordringlicher Bedarf“ eingestuft wurde. Passiert ist in all den Jahren aber nichts, weil dem Bund die Mittel fehlten. Jetzt, wo endlich Geld da wäre, droht dem Projekt sogar das endgültige Aus. Wird es aus dem Bundesverkehrswegeplan gestrichen, ist der zweigleisige Ausbau für Jahrzehnte vom Tisch. Dabei sind die Probleme auf der Murrbahn offensichtlich: Verspätungen und Wartezeiten sind auf der Strecke Alltag, ein durchgängiger Taktverkehr ist nicht möglich, weil der eingleisige Abschnitt wie ein Flaschenhals wirkt. Dabei wäre eine attraktive Bahnverbindung für das Murrtal wichtiger denn je, wenn man nicht will, dass künftig noch mehr Autos über die dann vierspurig ausgebaute B14 rollen. Bund und Bahn müssen deshalb ein Konzept vorlegen, wie sie die Probleme auf der Murrbahn in den Griff bekommen wollen – ob mit oder ohne zweigleisigem Ausbau der kompletten Strecke. Dass die Lösung Neigetechnik heißt, ist nicht zu erwarten: Nach massiven Problemen mit den Zügen hatte der damalige Bahnchef Rüdiger Grube die störanfällige Technik schon 2016 zum Auslaufmodell erklärt. k.fritz@bkz.de Kommentar

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Erstellt:
10. Juli 2018, 06:00 Uhr

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