Christoph Jäger verabschiedet sich vom Großerlacher Rathaus

Bürgermeister sei für ihn der schönste Beruf der Welt, sagt Christoph Jäger. Trotzdem nimmt er nun bereits mit 55 Jahren Abschied vom Großerlacher Rathaus. Eine Entscheidung der Vernunft.

Christoph Jäger am „Weg der Lieder“: Die Skulptur von Walter Wieland passt zum Lied „Ungebrochen“, das der Bürgermeister selbst geschrieben hat. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Christoph Jäger am „Weg der Lieder“: Die Skulptur von Walter Wieland passt zum Lied „Ungebrochen“, das der Bürgermeister selbst geschrieben hat. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Großerlach. Als lockerer Typ, der gerne Musik macht und es beim legendären Wacken-Festival auch mal ordentlich krachen lässt, ist Christoph Jäger bekannt. Dass er einmal in ein tiefes Loch fallen würde, hätte der leutselige Bürgermeister selbst nicht für möglich gehalten. Und doch ist es passiert – plötzlich und ohne Vorwarnung. Sechs Jahre liegt das nun zurück und Jäger spricht ganz offen darüber. „Ich dachte, ich wäre unverwüstlich. Aber ich musste mir eingestehen: Auch du hast deine Grenzen.“

Der Abschied fällt ihm sichtbar schwer

Mit professioneller Unterstützung hat er damals einen Weg aus der psychischen Krise gefunden. Doch als seine dritte Amtszeit langsam zu Ende ging und er entscheiden musste, ob er noch einmal zur Wahl antritt, stellte sich Christoph Jäger zwei Fragen. Reicht meine Kraft für weitere acht Jahre mit einer 60-Stunden-Woche? Und würde ich eine solche Krise noch einmal überstehen? Beides konnte er nicht mit Gewissheit bejahen. Deshalb entschied er sich zum Rückzug, obwohl ihm der Abschied sichtlich schwerfällt. „Ich hätte auf manche Dinge noch richtig Bock gehabt“, gibt er zu, „aber man muss auch loslassen können.“ Nach 24 Jahren ist am Montag, 16. April, sein letzter Arbeitstag im Großerlacher Rathaus.

Dass der Badener Christoph Jäger im Schwäbischen Wald sein Glück fand, ist einer Verkettung von Zufällen zu verdanken. „Eigentlich wollte ich nie Bürgermeister werden“, erinnert er sich. Schließlich wusste er, was dieser Beruf bedeutet: Sein Vater war Bürgermeister der Gemeinde Sasbach am Kaiserstuhl gewesen.

Der Sohn wollte nach dem Studium an der Verwaltungshochschule in Kehl eigentlich bei der Stadtverwaltung in München anfangen. „Ich hatte ein gutes Angebot.“ Doch seine damalige Partnerin bekam einen Job im Rems-Murr-Kreis, und so landete auch Christoph Jäger zunächst in Waiblingen, wo er im Ausländeramt des Landkreises tätig war. Als er mit 31 Jahren gefragt wurde, ob er bei der Bürgermeisterwahl in Großerlach antreten möchte, beschloss er, sein Glück zu versuchen. „Es war ein Bauchgefühl“, erinnert er sich. In der ländlichen Gemeinde auf den Höhen des Schwäbischen Waldes habe er sich sofort wohlgefühlt. Und die Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit: Trotz zweier Gegenkandidaten bekam Jäger gleich im ersten Wahlgang fast 75 Prozent der Stimmen.

Zu Beginn gab es viel Streit im Gemeinderat

Die erste Zeit an der neuen Wirkungsstätte war allerdings nicht einfach. Im Gemeinderat wurde damals über ein neues Gewerbegebiet gestritten und auch zwischen den Bewohnern der einstmals selbstständigen Gemeinden Großerlach und Grab gab es Animositäten. Wenn man Christoph Jäger heute fragt, auf welche Leistung er besonders stolz ist, nennt er deshalb weder den Bau der neuen Gemeindehalle noch die Umsetzung der Trinkwasserkonzeption an erster Stelle, sondern dass es ihm gelungen ist, die alten Gräben zuzuschütten und die Gemeinde zusammenzuführen.

Weitere Themen

Menschen zuzuhören und ihnen mit Respekt zu begegnen, auch wenn sie eine andere Meinung haben, das war und ist Christoph Jäger ein Anliegen. Deshalb geht er als CDU-Mitglied ebenso selbstverständlich zum politischen Aschermittwoch der Grünen, wie er mit überzeugten AfD-Anhängern diskutiert, von denen es in Großerlach mehr gibt als anderswo. „Wenn ich Menschen ausgrenze, die sich beim Wählen vertan haben, hole ich sie bestimmt nicht ins Boot der demokratischen Mitte zurück“, ist Jäger überzeugt. Stattdessen will er gerne Brücken bauen und das Gespräch suchen. Dass politische Diskussionen immer häufiger zu einer Art Glaubenskrieg ausarten, bei dem Andersdenkende persönlich diffamiert oder sogar bedroht werden, erfüllt den scheidenden Bürgermeister mit Sorge: „Wir brauchen wieder mehr Respekt gegenüber denjenigen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.“

Viele Projekte in der Region angeschoben

Dass Christoph Jäger anders ist als viele seiner Amtskollegen, zeigt sich nicht nur daran, dass er neben dem Job im Rathaus regelmäßig als „Liedermacher Chris“ auf der Bühne steht. Auch im Amt hat Jäger seine kreative Ader gerne ausgelebt. So war er es, der den Schnittpunkt der drei Landkreise Schwäbisch Hall, Heilbronn und Rems-Murr zum „Magischen Dreieck“ ernannte und gleich noch eine Sage dazu erfand. So soll ein Versprechen, das an diesem Ort gegeben wird, angeblich ewigen Bestand haben. Auch die Schwäbische Waldfee geht auf eine Idee von Christoph Jäger zurück. Als er sie im Kollegenkreis äußerte, hielten die anderen sie zunächst für einen Scherz. Inzwischen ist die märchenhafte Figur zum wichtigsten Werbeträger der Region geworden und Christoph Jäger trägt voller Stolz den inoffiziellen Titel des „Waldfee-Papas“.

Als „Herzensprojekt“ bezeichnet Jäger auch den „Weg der Lieder“, den er in Großerlach verwirklicht hat. Entlang des 13 Kilometer langen Themenwegs stehen Skulpturen und Tafeln mit Liedern, die man über das Handy auch anhören kann. Dass auch zwei Titel vom Liedermacher Chris mit dabei sind, ist Ehrensache.

Die Musik wird im Leben des 55-Jährigen auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen, vielleicht eine noch größere als bisher. Und Christoph Jäger hat noch weitere Zukunftspläne. So will er künftig auf freiberuflicher Basis die Dinge tun, die ihm schon als Bürgermeister Spaß gemacht haben, zum Beispiel Reden bei Hochzeiten und Trauerfeiern halten oder Dialogprozesse moderieren. Auch politisch will er sich weiterhin engagieren: Am 9. Juni kandidiert er erneut für den Kreistag. Er gehe also keineswegs in den Ruhestand, betont Jäger, sondern lediglich in einen neuen Lebensabschnitt, „von dem ich mir etwas mehr Freiheit erhoffe“.

Zum Artikel

Erstellt:
15. April 2024, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen