Dämmen mit Schilf und Lehm - das geht
Energiewende vor der Haustür (10) Ob Stroh, Hanf oder Kork: In der Natur findet man eine breite Palette an nachwachsenden Rohstoffen, die eine Alternative zum Dämmen mit Mineralfaserstoffen darstellen. Ihre Verwendung ist nicht neu, sondern hat auch bei uns eine lange Tradition.
Von Kai Wieland
Aspach/Murrhardt. Es erinnert ein wenig an einen großen Experimentierkasten. „Das hier oben ist normales Stroh, das hier unten habe ich mit Hanf gemacht“, erklärt Hauk-Ulrich Bayer und rührt zur Demonstration in einem Eimer etwas Lehm an, mit dem das jeweilige Material anschließend vermengt und zwischen den Balken einer Zwischenwand aufgeschichtet wird. Der 58-Jährige saniert in Rietenau ein denkmalgeschütztes Haus aus dem Jahr 1593 und verwendet dafür in erster Linie natürliche Baustoffe, insbesondere bei der Dämmung. Vom Glasschaumschotter bis hin zum Elefantengras, das im Rahmen eines Sozialprojekts in Afrika geerntet und gebunden wird, kommen bei ihm die verschiedensten ökologischen Materialien zum Einsatz. Schwerpunktmäßig arbeitet er jedoch mit Schilfrohrmatten unterschiedlicher Dicke in Verbindung mit Lehm oder Kalkputz.
„Ökologische Dämmstoffe können aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden, aus Recyclingmaterial bestehen oder natürlichen mineralischen Ursprungs sein“, erklärt Stefan Layer, der seit über 20 Jahren als Energieberater tätig und bei der Energieagentur Rems-Murr angestellt ist. Eine einheitliche Definition in Form eines allgemein gültigen Prüfzeichens gebe es bislang zwar nicht, sagt er. „Der Blaue Engel kann aber Orientierung bieten, welche Dämmstoffe umweltschonend sind.“
Hauk-Ulrich Bayer hat bereits im Jahr 2012 mit der Sanierung seines Hauses begonnen. Fast die ganze Fassade und ein großer Teil des Wohnbereichs sind mittlerweile fertig. Beim Ausbau der Wohnung im Obergeschoss, welchen der Garantiesachbearbeiter im Automobilbereich mit Ausnahme der Elektrik vollständig selbst umsetzt, kann er somit auf einiges an Erfahrung zurückgreifen. Die Verwendung natürlicher Baustoffe ist dabei nicht etwa eine Vorgabe des Denkmalamts, sondern Bayer hat sich aus Überzeugung dafür entschieden. „Ich wollte keine Glaswolle verwenden, die schon zum Herstellen einen Haufen Energie braucht, und auch kein Styropor, das gesundheitsschädlich und im Gegensatz zu Schilf nicht dampfdiffusionsoffen ist“, argumentiert er.
Rückbesinnung auf Bautraditionen
Rolf Canters, Baubiologe und Energieberater aus dem Murrhardter Teilort Vordermurrhärle, begrüßt den Trend, bei der Auswahl der Dämmstoffe auch wieder solche Aspekte in den Blickpunkt zu rücken. „Die Erkenntnis, dass wir für den Menschen bauen, setzt sich gerade so langsam wieder durch“, stellt er fest. Die Verwendung von Lehm, Stroh oder gar Schilf ist schließlich keine neue Erfindung, sondern vielmehr die Rückbesinnung auf Bautraditionen, die deutlich älter sind als etwa die Verwendung von Glaswolle. „In jedem Haus unserer Region, das älter als 80 Jahre ist, wurde Lehm verarbeitet“, erklärt Canters und bezeichnet diesen als universelles Bindeglied für das nachhaltige Bauen. „International ist das ökologische Bauen, etwa mit Bambus, sehr verbreitet. Bei uns gibt es eine Tradition mit Stroh und Lehm, aber auch mit Schilf als Putzträger. Selbst in Murrhardt finden wir auf alten Dachstühlen fünf Zentimeter gebundene Schilfmatten.“
Im Jahr 2002 erwarben Rolf Canters und seine Frau Eva das 1857 erbaute alte Schulhaus in Vordermurrhärle und sanierten es unter Verwendung nachhaltiger Baustoffe. Dabei experimentierte Canters sogar mit Schilf aus der Murrhardter Froschgrube, entschied sich aber für qualitativ hochwertiges Schilf aus der Türkei. Auch die Schilfrohrmatten, die Hauk-Ulrich Bayer in unterschiedlicher Dicke über den Naturbaustoffhandel seines Sohnes bezieht, stammen vom Bosporus.
Doch ist es aus ökologischer Sicht sinnvoll, Rohstoffe zu verwenden, die zuvor lange Strecken zurücklegen? Der Transport auf dem Seeweg schlage nur minimal zu Buche, die Fahrt auf der Autobahn schon eher, erklärt Canters. „Wenn wir uns aber den Kreislauf anschauen, kommen wir mit allem, was naturnah ist, um die Abfallproblematik herum.“ Natürlich sei ein Wirtschaften der kurzen Wege am nachhaltigsten. Der größte deutsche Hersteller sitze jedoch im Norden und sei auf Reetdächer spezialisiert, Schilfrohrmatten zur Wärmedämmung vertreibe er als Nebenprodukt. Dabei schlummere in der Region ein enormes Potenzial. „Das ganze Donautal ist eigentlich eine Schilffläche“, so der Bauingenieur.
In der Praxis eignet sich Schilf aus mehreren Gründen als Dämmstoff. So ist es ein guter Putzträger, auf den auch dickere Schichten Lehm aufgetragen werden können, was wiederum dem Raumklima entgegenkommt. „Lehm entzieht dem Bauwerk Wasser. Wenn er nicht von außen nass wird, hat er im Jahresmittel etwa fünf Prozent Feuchtigkeit im Material“, erklärt Hauk-Ulrich Bayer. Für Schimmel und auch für das meiste Ungeziefer sei das zu wenig. Außerdem ist Schilfrohr als Pflanze, die in Feuchtgebieten wächst, von Natur aus sehr resistent gegen Feuchtigkeit. Die Dämmwerte seien bei Schilf, das als natürlicher Rohstoff eine weniger homogene Struktur hat als synthetische Dämmstoffe, zwar vielleicht etwas schlechter. „Das juckt mich aber nicht, weil Lehm einen großen Teil unserer abgestrahlten Energie reflektiert. Damit kann man die Wohlfühltemperatur problemlos um zwei Grad absenken.“
Verwendung von Lehm ist im Kommen
Auch Canters hält große Stücke auf den Einsatz von Schilf. „Es hat eine hohe Masse und bietet passablen Wärmeschutz bei geringstem Primärenergieeinsatz, eigentlich wird nur für den Bindedraht Energie aufgewendet.“ Außerdem sei Schilf anders als viele Mineralfaserstoffe nicht leicht entflammbar. In dieser Hinsicht ist der Baubiologe, der im Jahr 2011 von einer Stichflamme aus dem Ofen seines Heizraums schwer verletzt wurde, im wahrsten Sinne des Wortes ein gebranntes Kind. „Allein schon aufgrund seiner hohen Masse ist das Brandverhalten von Schilf eher vergleichbar mit dem von Holz. Es verkohlt an der Außenfläche, ist aber weitgehend beständig. Bei einer Schilfrohrmatte im Brandraum waren die ersten anderthalb Zentimeter angekohlt, aber innen drin war sie noch knallgelb.“ Auch im Hinblick auf Mäuse oder Ungeziefer sieht Canters bei nachwachsenden Dämmstoffen keinen entscheidenden Nachteil. „Man muss es sowieso immer ordentlich machen, die Feuchtigkeit und den Dampfdruck beachten. Eine luftdichte Ebene erfordern alle Dämmstoffe.“
Wer sich nicht in der Lage sieht, wie Hauk-Ulrich Bayer selbst Hand anzulegen, könnte allerdings Mühe haben, entsprechende Handwerker zu finden. „Da fehlt einfach die Erfahrung“, sagt Canters. Während bei Zimmerleuten der Einsatz ökologischer Holzfaserplatten im Dachaufbau bekannt und sogar üblich sei, müsse man sich bei der Schilfdämmung oftmals eher im Restauratorenbereich umsehen. „Lehm zum Beispiel ist aber wieder im Kommen.“
Stefan Layer von der Energieagentur Rems-Murr sieht die Vorteile ökologischer Dämmstoffe abgesehen vom umweltschonenden An- und Abbau, dem geringeren Energieeinsatz und der Vermeidung von Sondermüll insbesondere in einem guten Wohnklima und der überwiegenden Schadstofffreiheit. „Auch bauphysikalisch haben sie Vorteile. Sie bieten guten Hitzeschutz im Sommer und manche von ihnen sind feuchtigkeitsregulierend.“ Gegenüber konventionellen Dämmstoffen seien sie zwar oftmals etwas teurer und hätten eine etwas höhere Wärmeleitfähigkeit. „Mit einer entsprechend angepassten Dämmstoffschichtdicke ist das aber ausgleichbar“, so Layer. Auch eine KFW-Förderung ist für die Dämmung mit nachwachsenden Rohstoffen grundsätzlich möglich, solange die notwendige Effizienz damit erreicht wird.