Damit keiner in die Röhre schauen muss
Mit Sensoren und intelligenter Software der Backnanger Firma Premiso können Chemiefabriken ihre Leitungssysteme einfacher überwachen. Durch Corona hatte das von Ex-Telent-Mitarbeitern gegründete Unternehmen einen schwierigen Start, doch die Ziele bleiben ehrgeizig.

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Die Leitungssysteme in großen Chemiefabriken sind oft mehrere Hundert Kilometer lang. Sebastian Blocher zeigt einen der Sensoren, die Beschädigungen an den Rohren von außen erkennen und automatisch melden.Foto: A. Becher
Von Kornelius Fritz
Backnang. In der ersten Etage des Bürogebäudes in der Backnanger Blumenstraße ist noch reichlich Platz und das liegt nicht nur daran, dass die Angestellten der Premiso AG zurzeit überwiegend von zu Hause arbeiten. „Wäre alles nach Plan gelaufen, hätten wir jetzt schon über 20 Mitarbeiter“, sagt Sebastian Blocher beim Blick auf die leeren Schreibtische. Der 34-Jährige darf sich „Director Sales & Marketing“ einer Aktiengesellschaft nennen. Momentan ist es aber noch eine sehr kleine AG: vier Beschäftigte hat Premiso in Backnang, hinzu kommen noch ein Büro in Schwerin mit zwei Kollegen sowie ein Finanzchef, der in Düsseldorf wohnt und arbeitet.
Für ein Unternehmen, das gerade mal ein Jahr alt ist, ist das nicht wenig, doch Premiso-Gründer Lars Petermann hatte höhere Ziele. Schließlich ist er mit seinen 53 Jahren auch nicht der klassische Jungunternehmer und hat als ehemaliger Geschäftsbereichsleiter bei der Backnanger Firma Telent schon reichlich Führungserfahrung. „Gerade als wir startklar waren, kam dann Corona“, erinnert sich Blocher. Die Premiso-Gründer sind aber davon überzeugt, dass die Pandemie den Erfolg ihrer Firma nur kurzfristig ausgebremst hat. Möglichst schon in diesem Jahr soll das Start-up die im Businessplan anvisierten Wachstumsziele erreichen, 2022 soll es dann erste Gewinne abwerfen.
Der Optimismus von Vorstand Lars Petermann und Marketingchef Sebastian Blocher gründet auf der Überzeugung, dass sie ein Produkt anbieten, dass es so noch nie gab und das aus ihrer Sicht perfekt in die Zeit passt. Denn die Abläufe in Industriebetrieben werden zunehmend digitaler, Industrie 4.0 heißt das Zauberwort. Eine wichtige Rolle spielen dabei Sensoren, die Informationen liefern, die sonst nur mit großem Aufwand oder überhaupt nicht verfügbar wären. Zum Beispiel in großen Chemiefabriken. Dort laufen teils hochgiftige Chemikalien durch kilometerlange Rohrleitungen, die auf keinen Fall undicht werden dürfen. Aber wie erkennt man von außen, ob alle Rohre in einwandfreiem Zustand sind?
Bisher sei das mit großem Aufwand verbunden, erzählt Sebastian Blocher: „Heerscharen von Prüfern laufen durch die Anlagen und schauen, ob alles in Ordnung ist“. Oft würden die Leitungen nach einer bestimmten Zeit auch einfach auf Verdacht ausgetauscht, selbst wenn sie eigentlich noch in einwandfreiem Zustand sind.
Durch ihre Arbeit bei Telent wussten Petermann und Blocher von einem Tüftler aus Dresden, der Sensoren entwickelt hatte, die Beschädigungen in Rohren aus Stahl und Kunststoff mit Ultraschall aufspüren und automatisch melden (siehe Infobox). Allerdings stellte Telent die Arbeit an diesem Projekt nach einem Eigentümerwechsel Ende 2019 ein. Petermann wollte die Chancen, die er sah, aber nicht einfach ungenutzt verstreichen lassen. Deshalb tat er sich mit dem Entwickler Matthias Müggenburg zusammen und gründete die Premiso AG, sein Kollege Sebatsian Blocher stieg mit ein.
Als Erstes musste die Technik noch zur Marktreife entwickelt werden. In Schwerin fanden sie auch eine Firma, die die Sensoren im Auftrag produziert. Gleichzeitig arbeiteten die Gründer zusammen mit einem Programmiererteam aus Rumänien mit Hochdruck an einer Software, die die Messergebnisse auswertet und überwacht. Wichtig war ihnen dabei, dass diese Plattform auch mit den Sensoren anderer Hersteller kompatibel ist: So lässt sich das Überwachungssystem beliebig erweitern, ohne dass die Bediener zwischen verschiedenen Programmen hin- und herspringen müssen.
Die Premiso-Gründer sind überzeugt, dass sie mit ihrer Entwicklung Erfolg haben werden: „Unser Produkt verringert den manuellen Aufwand und erhöht die Anlagensicherheit“, erklärt Blocher. Das spare den Kunden eine Menge Geld, denn ein einziger Tag Produktionsstopp koste in einer großen Chemiefabrik bis zu drei Millionen Euro.
Jetzt müssen die Backnanger ihre potenziellen Kunden allerdings noch von diesem Nutzen überzeugen. Und das ist in der Pandemie nicht so einfach: „Wir hatten letztes Jahr sechs Messen gebucht, alle sind ausgefallen“, erzählt Blocher. Auch persönliche Akquisebesuche waren unmöglich. „Das hatten wir uns natürlich anders vorgestellt, aber es hatte nicht nur Nachteile“, sagt Vorstand Petermann. Denn so habe man mehr Zeit für die Entwicklung gehabt und könne nun mit einem technisch ausgereiften Produkt an den Markt gehen.
Die erste Resonanz sei äußerst positiv, berichtet Blocher. Zehn Kunden wollten die neue Technik in Pilotprojekten testen, ein großer Chemiekonzern habe bereits Interesse bekundet, das System an seinen 157 Standorten weltweit einzusetzen. Ein Rahmenvertrag solle demnächst unterschrieben werden. „Jetzt wollen wir endlich die Handbremse lösen und durchstarten“, erklärt Sebastian Blocher. Rückenwind gibt dabei der „German Innovation Award“, mit dem die Firma kürzlich für ihre Entwicklungen ausgezeichnet wurde.
Nun gilt es, die Firma und ihre Produkte noch bekannter zu machen: „Wir wollen massiv in den Vertrieb gehen und zeigen, was wir haben“, kündigt der Marketingchef an. Gleichzeitig arbeitet man bei Premiso an der Entwicklung neuer Sensoren. Um die finanzielle Basis zu stärken, wird auch noch ein Investor gesucht. Läuft alles nach Plan, werden sich sicher auch die Schreibtische in der Blumenstraße bald füllen.
„Wir hatten letztes Jahr sechs Messen gebucht, alle sind ausgefallen. Jetzt wollen wir endlich die Handbremse lösen und durchstarten.“ Sebastian Blocher,Marketingleiter der Premiso AG
Technologie Die Sensoren der Premiso AG arbeiten mit der LoRaWAN-Technik. Die Abkürzung steht für Long Range Wide Area Network. Die Technologie ermöglicht ein energieeffizientes Senden von Daten über lange Strecken. Mit LoRaWAN können mehrere Hundert Sensoren innerhalb eines Netzwerkes verwaltet und ihre Daten verarbeitet werden. Die Sensoren können bis zu zehn Jahre ohne Batteriewechsel betrieben werden.
Sensoren Zusammen mit der Firma Kurotec, einem Hersteller von Rohrleitungen mit Sitz in Stade, hat das Backnanger Unternehmen zwei eigene Sensoren entwickelt. Der eine ist in der Lage, mit Ultraschallwellen Spannungsveränderungen in Rohren aus glasfaserverstärktem Kunststoff zu erkennen. Der andere misst die Wandstärke von Stahlrohren und kann dadurch sowohl Lecks als auch Ablagerungen finden.
Plattform Die Firma Premiso verknüpft die eigenen Sensoren und die anderer Hersteller auf einer Plattform namens Ambrella. Mit dieser Software können die Betreiber größerer Industrieanlagen die Messergebnisse aus unterschiedlichen Bereichen zentral überwachen. Defekte und Risiken lassen sich so frühzeitig erkennen, ohne dass die Anlage abgeschaltet werden muss. Das reduziert Wartungsaufwand und Kosten.