Das Defi-Netz soll dichter werden

Dank der beherzten Hilfe seiner Sportkameraden und eines Defibrillators vor Ort hat Jürgen Hestler einen Herzstillstand überlebt. Nun setzt sich der SPD-Kreisrat dafür ein, dass mehr von den lebensrettenden Geräten angeschafft werden. In Backnang gibt es dafür schon konkrete Pläne.

Jürgen Hestler (Zweiter von rechts) mit seinen „Schutzengeln“: Die Sportkameraden Arian Khodamoradi (Zweiter von links) und Pascal Kühnert (rechts) leisteten Erste Hilfe, Sebastian Wörner vom DRK war als „Helfer vor Ort“ nach wenigen Minuten zur Stelle. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Jürgen Hestler (Zweiter von rechts) mit seinen „Schutzengeln“: Die Sportkameraden Arian Khodamoradi (Zweiter von links) und Pascal Kühnert (rechts) leisteten Erste Hilfe, Sebastian Wörner vom DRK war als „Helfer vor Ort“ nach wenigen Minuten zur Stelle. Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang/Weissach im Tal. Jürgen Hestler hat nicht mehr viele Erinnerungen an den 16. September. Wie jede Woche hatte sich der pensionierte Lehrer an diesem Donnerstag mit ehemaligen Kollegen zum Sport in der Bize-Halle in Weissach im Tal getroffen. Hestler weiß noch, dass er beim abschließenden Fußballspiel ein Tor geschossen hat und später von einem Ball am Kopf getroffen wurde. Was dann passierte, kennt er nur aus Erzählungen: Plötzlich brach Jürgen Hestler zusammen und verlor das Bewusstsein, sein Herz hörte auf zu schlagen. Dass er heute noch lebt, verdankt der 71-Jährige einer Rettungskette, die geradezu mustergültig funktioniert hat. Einer der Sportkameraden begann sofort mit der Herzdruckmassage, ein anderer alarmierte den Rettungsdienst und holte den Defibrillator, der im Foyer der Sporthalle hängt.

Sebastian Wörner war zu diesem Zeitpunkt zu Hause in Backnang-Heiningen, als sein Handy Alarm schlug. Wörner ist einer von rund 200 „Helfern vor Ort“ (siehe Infobox), die bei lebensbedrohlichen Notfällen von der Leitstelle informiert werden. Wörner, wie Hestler von Beruf Lehrer, sprang sofort ins Auto und traf noch vor dem Rettungsdienst an der Sporthalle ein. Der ausgebildete Rettungssanitäter, der sich ehrenamtlich beim DRK-Ortsverein Backnang engagiert, löste die Laien bei der Reanimation ab und überbrückte die Minuten, bis Rettungswagen und Notarzt eintrafen. Nach mehreren Elektroschocks mit dem Defibrillator begann Jürgen Hestlers Herz schließlich wieder zu schlagen und er konnte ins Krankenhaus nach Winnenden gebracht werden. Dort wachte er erst einen Tag später auf der Intensivstation wieder auf.

Den Kreislaufstillstand hat Hestler, der zuvor nie Herzprobleme hatte, dank der schnellen Hilfe ohne bleibende Schäden überstanden. Heute geht es dem 71-Jährigen wieder recht gut. Die Ärzte haben ihm inzwischen einen festen Defibrillator implantiert, der bei einem weiteren Herzstillstand automatisch Stromstöße abgeben würde. „Ich habe jetzt einen Hybridmotor – sowohl Verbrenner als auch elektrisch“, sagt Hestler schmunzelnd.

Rückblickend spürt der 71-Jährige eine große Dankbarkeit gegenüber seinen „Schutzengeln“: „Ich weiß nicht, ob ich in einer solchen Situation auch so entschlossen gehandelt hätte.“ Inzwischen hat er seine Lebensretter auch wieder getroffen: „Das war schon sehr emotional“, erzählt Hestler. Er hat sich überlegt, wie er seinen Dank ausdrücken kann. Eine Flasche Wein würde in diesem Fall kaum reichen, fand Hestler und kam auf eine bessere Idee: „Ich möchte dazu beitragen, dass andere in einer solchen Situation auch so viel Glück haben wie ich.“ Deshalb will sich der langjährige Kommunalpolitiker nun aktiv dafür einsetzen, dass es künftig mehr öffentlich zugängliche Defibrillatoren in der Region gibt.

Dasselbe Ziel verfolgt auch Klaus-Dieter Fackler, Vorsitzender des DRK-Ortsvereins Backnang. Bereits vor zwei Jahren hat er gemeinsam mit dem Kardioverein Rems-Murr und der Stadt Backnang eine „Arbeitsgruppe Defi“ ins Leben gerufen. Zum Auftakt fand im November 2019 im Bürgerhaus eine Veranstaltung unter dem Motto „Backnang schockt“ statt. Wegen der Coronapandemie sei man zwar noch nicht so weit gekommen wie erhofft, sagt Fackler, erste Erfolge kann der DRK-Vorsitzende aber schon vermelden. So ist es gelungen, die „Helfer vor Ort“ mit einem eigenen Defibrillator auszurüsten. Auch die Zahl der öffentlich zugänglichen Geräte in Backnang ist von 19 auf 23 gestiegen. Kreisweit sind nun insgesamt 367 Defis registriert: Die Leitstelle kann die Ersthelfer im Notfall nun schnell zum nächstgelegenen Standort lotsen.

Damit ist Klaus-Dieter Fackler aber noch nicht am Ziel. Zum einen möchte das DRK weitere „Helfer vor Ort“ ausbilden. In Backnang gibt es bis jetzt erst fünf, der Vorsitzende wünscht sich mindestens doppelt so viele. Und auch die Zahl der Defi-Standorte soll weiter wachsen. „Es gab mal die Vision, dass man überall in der Stadt maximal 100 Schritte bis zum nächsten Defi gehen muss“, sagt Fackler.

Dazu will auch die Stadt Backnang ihren Teil beitragen. „Wir wollen weitere Defibrillatoren anschaffen und haben dafür auch schon Geld im Haushalt eingeplant“, berichtet Hauptamtsleiter Timo Mäule. Die Verwaltung hat dabei vor allem Sportanlagen, aber auch Friedhöfe und viel frequentierte Bereiche in der Innenstadt im Blick. Mit den Fachleuten aus der Arbeitsgruppe wolle man ein Konzept entwickeln und die neuen Geräte dann spätestens nächstes Jahr beschaffen. Damit würde auch einem Antrag der SPD-Fraktion im Gemeinderat entsprochen, die nach dem Herzstillstand des dänischen Fußballers Christian Eriksen bei der Europameisterschaft die Anschaffung von Defibrillatoren für alle Backnanger Sporthallen gefordert hatte.

Dass er mit dem SPD-Kreisvorsitzenden Jürgen Hestler nun einen namhaften Unterstützer auf seiner Seite hat, freut Klaus-Dieter Fackler. Hestler möchte dazu beitragen, dass das, was in Backnang erfolgreich gestartet wurde, auch in den umliegenden Gemeinden fortgesetzt wird. Neben der Anschaffung der Geräte geht es auch darum, Aufklärungsarbeit zu leisten, damit sich möglichst viele Menschen trauen, bei einem Notfall genauso schnell und entschlossen zu handeln, wie es die Ersthelfer bei Jürgen Hestler getan haben.

Ein neuer Defi-Standort steht übrigens schon fest: Als Vorsitzender des Heimatvereins Weissacher Tal möchte Jürgen Hestler ein Gerät am dortigen Bauernhausmuseum installieren. Die Kosten von rund 1000 Euro will er aus eigener Tasche bezahlen.

Jürgen Hestler
verdankt Ersthelfern sein Leben „Ich weiß nicht, ob ich in einer solchen Situation auch so entschlossen gehandelt hätte.“
Im Notfall zählt jede Minute

Defibrillator Ein automatisierter externer Defibrillator (AED) gibt bei lebensbedrohlichem Kammerflimmern über Elektroden auf der Brust des Patienten Stromstöße ab, um den natürlichen Herzrhythmus wiederherzustellen. Moderne AED-Geräte können auch von Laien bedient werden. Über eine Sprachausgabe bekommen die Ersthelfer Anweisungen, ein Elektroschock wird nur abgegeben, wenn das Gerät eine lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung erkannt hat.

Helfer vor Ort Die ehrenamtlichen Helfer werden bei lebensbedrohlichen Notfällen in ihrer Nähe parallel zum Rettungsdienst alarmiert. Ihre Aufgabe ist es, die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes zu überbrücken. Dies erhöht die Überlebenschance und reduziert die Gefahr bleibender Schäden. Mit Spenden, unter anderem aus der Aktion „BKZ-Leser helfen“, konnten fast alle der rund 200 „Helfer vor Ort“ im Rems-Murr-Kreis mit einem AED ausgestattet werden.

Ausbildung Wer „Helfer vor Ort“ werden will, muss eine Sanitäterausbildung absolviert haben. Daran schließen sich weitere praktische und theoretische Schulungen sowie ein kurzes Praktikum beim Rettungsdienst an.

Defi-Karte Insgesamt gibt es im Rems-Murr-Kreis zurzeit 367 Defibrillatoren, die öffentlich zugänglich sind. Eine Karte mit allen Standorten ist auf der Homepage des DRK-Kreisverbands abrufbar: www.drk-rems-murr.de/definetz.html

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Erstellt:
22. Oktober 2021, 06:00 Uhr

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