Melih Göksu hat das Handwerk von Fachleuten gelernt

Bürgermeisterwahl Großerlach Melih Göksu hat sich mit einer Weiterbildung zum Verwaltungsfachwirt auf das Bürgermeisteramt vorbereitet. Für seinen Wahlkampf fährt er täglich von Stuttgart nach Großerlach.

Bei einem gemütlichen Beisammensein im Silberstollen beantwortet Melih Göksu Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Bei einem gemütlichen Beisammensein im Silberstollen beantwortet Melih Göksu Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Foto: Alexander Becher

Von Lorena Greppo

Großerlach. Melih Göksu ist in Großerlach schon richtig angekommen. An jenem Abend hat er zu einem gemütlichen Beisammensein und Kennenlernen in den Silberstollen eingeladen. Als es um die Sanierung der Ortsmitte geht, kennt er die Nachfrage der Gäste schon, bevor sie kommt: Welche Ortsmitte? Die Besucherinnen und Besucher quittieren es mit einem Schmunzeln. Und auch als er die Begründung dafür nennt, warum eine attraktive Großerlacher Ortsmitte wünschenswert ist, zeigt sich, dass er sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt hat: „Die Graber fahren nach Murrhardt, die Großerlacher nach Sulzbach und wer in Neufürstenhütte wohnt, fährt nach Wüstenrot oder Mainhardt.“ Er wolle ermöglichen, dass man sich auch im Ort trifft. Seine Idee: ein neues Rathaus, das im Erdgeschoss ein Café hat. Denn, das hebt er hervor, am Rathaus ist definitiv etwas zu tun. Schon allein, weil es nicht barrierefrei zugänglich ist.

Seine Idee findet Anklang bei den Gästen. Sie nutzen die Gelegenheit, ihre Anliegen bei Melih Göksu zu platzieren. Philipp Schwarz weist auf das Lärmproblem an der Hauptstraße hin und äußert die Befürchtung: „Auch eine Tempobegrenzung wird da nicht viel bringen, die Leute halten sich nicht daran.“ Melih Göksu betont, er wolle nichts unversucht lassen, um eine Verbesserung herbeizuführen. Die Anregungen der Bürgerschaft notiert er sich gewissenhaft. Jan Vogel weist etwa darauf hin, dass in Neufürstenhütte seit längerer Zeit vier abgemeldete Autos stehen, von denen niemand weiß, wem sie gehören. Ihm schwebe vor, einen Gemeindevollzugsdienst einzurichten, so Göksu. Weil das aber für eine Kommune der Größenordnung Großerlachs allein nicht zu stemmen sei, ist seine Überlegung, sich dahingehend mit Spiegelberg zusammenzutun. „Die haben das gleiche Problem“, sagt der Kandidat.

Zurzeit täglich von Stuttgart nach Großerlach

Viele Anliegen der Großerlacher sind Melih Göksu inzwischen vertraut. Täglich fährt er von seinem Wohnort Stuttgart in den Schwäbischen Wald, besucht Unternehmen und Vereine, nimmt an Veranstaltungen teil und trifft sich mit den Bürgerinnen und Bürgern. Manchmal begleitet ihn seine Frau Gözde Göksu-Hergül, so auch an diesem Abend. Auch sie fühlt sich wohl in der Gemeinde, sagt sie. Beide äußern Pläne, bei einem Wahlgewinn in die Gegend zu ziehen – entweder direkt nach Großerlach oder in eine der Nachbarkommunen. In ihrem Beruf könne sie zum Glück viel im Homeoffice erledigen, sagt die Wirtschaftsjuristin.

Melih Göksu hat das Handwerk von Fachleuten gelernt

Ist das aber kein Kulturschock, als Städter aufs Land zu ziehen? Das Ehepaar winkt ab. Ihr aktueller Wohnort, der Stadtteil Mühlhausen, sei für Stuttgarter Verhältnisse ebenfalls recht ländlich, sagt Melih Göksu. Allerdings habe er sich schon Gedanken dazu gemacht, wie man als „Neigeschmeckter“ im Ort ankommt. „Hier kennt jeder jeden, wird man da vom Hof gejagt?“, fragt er lachend. Insofern sei er positiv überrascht gewesen: „Ich habe die Großerlacher als bodenständige, angenehme Menschen kennengelernt.“ Die gute Gemeinschaft im Ort sei sehr erfreulich.

Die Grünen-Vergangenheit wird im Wahlkampf oft thematisiert

Dass er einen Migrationshintergrund hat, sei im Wahlkampf kaum Thema gewesen – obwohl Melih Göksu im Vorfeld seiner Kandidatur auf das überdurchschnittliche AfD-Ergebnis in Großerlach bei der Bundestagswahl 2021 hingewiesen wurde. Beeindruckt hat ihn dieser Umstand nicht. „Kompetenz ist keine Frage der Herkunft“, sagt er. Und eine Bürgermeisterwahl sei schließlich vor allem eine Persönlichkeitswahl.

Weitere Themen

Wohl thematisiert wird aber Göksus Grünen-Vergangenheit: „Das ist im Wahlkampf die wohl größte Hürde“, räumt er ein. Dabei grenzt er sich inzwischen von der Partei ab, seine Mitgliedschaft habe er mit Bekanntgabe der Kandidatur gekündigt. Seinen Beitritt vor etwa zwölf Jahren begründet er mit dem Wunsch, im Mühlhausener Bezirksbeirat mitzuwirken. Die Grünen seien einfach die erste Partei gewesen, die ihm eine Nominierung für das Gremium in Aussicht stellten. Eine Parteimitgliedschaft ist zwar formal nicht verpflichtend für den Beitritt in das Gremium. Theoretisch kann man auch als „Parteiloser“ von einer Partei für das Gremium vorgeschlagen werden. Dies sei aber in der Praxis selten der Fall, daher bestehe eine gewisse faktische Notwendigkeit, Mitglied einer Partei zu sein.

Das Mandat im Bezirksbeirat hat er niedergelegt

Der Bezirksbeirat, betont Melih Göksu, sei aber ein sachkundiges Gremium, in dem es eben nicht um Parteipolitik gehe. „Ich habe in der CDU vermutlich mehr Freunde als unter den Grünen“, führt er aus. Seine aktive Zeit im Beirat sieht er als Vorteil, hat sie ihn doch kommunalpolitische Erfahrung sammeln lassen. Das Mandat habe er dennoch niedergelegt: „Ich will 100-prozentig für Großerlach da sein, ich halte mir keine Hintertür offen.“

Auf das Bürgermeisteramt hat sich Melih Göksu gezielt vorbereitet und im vergangenen Jahr eine Weiterbildung zum Verwaltungsfachwirt begonnen, die er voraussichtlich in diesem Frühjahr abschließt. Zu den Referenten zählten neben Althüttes Bürgermeister Reinhold Sczuka und Auenwalds Ex-Schultes Karl Ostfalk auch der Waiblinger Erste Bürgermeister Ian Schölzel und Backnangs Kämmerer Alexander Zipf. „Man lernt das Handwerk von den Fachleuten aus dem Kreis“, berichtet der Stuttgarter. Von ihnen habe er auch einige gute Tipps bekommen. Ebenfalls als Vorteil wertet er seine Verbindungen ins Landratsamt des Rems-Murr-Kreises, sein derzeitiger Arbeitgeber. Gerade in Sachen Temporeduzierung in den Ortsdurchfahrten sei ein guter Draht in die Kreisbehörde viel wert, so Göksu.

Seine Arbeit im Fachbereich Koordination und Planung der Flüchtlingsunterbringung hat ihn auch schon mit Großerlach zusammengebracht. Schließlich sei er auch für die Kommune zuständig gewesen, so Melih Göksu. Zudem habe ihn der Job auf die Arbeitsbelastung eines Bürgermeisters eingestimmt. „Ich weiß, was es heißt, 60 oder 70 Stunden in der Woche zu arbeiten und nachts um 3 Uhr aus dem Bett geklingelt zu werden.“

Dass er aktuell auch zusätzlich zu seinem Vollzeitjob Wahlkampf betreibt, nimmt er gelassen. Er mache es gern, sagt er. Und schließlich fühlt sich nicht alles nach Arbeit an. Beim Kennenlerntreffen im Silberstollen kommt das Gespräch schnell ins Rollen und schon bald hat man das Gefühl, hier unterhalten sich Bekannte.

Lebenslauf

Ausbildung Melih Göksu ist in Stuttgart aufgewachsen. Nach der Schule absolvierte er von 2009 bis 2012 eine Ausbildung bei einer Stuttgarter Bank. Hiernach wechselte Göksu in die öffentliche Verwaltung zum Landratsamt Rems-Murr-Kreis. Seit 2023 macht er eine Weiterbildung zum Verwaltungsfachwirt an der Verwaltungsschule des Gemeindetags Baden-Württemberg.

Beruf Seit mehr als acht Jahren ist Melih Göksu Mitarbeiter des Fachbereichs Koordination und Planung Flüchtlinge im Landratsamt in Waiblingen.

Ehrenamtliches Seit 2011 bringt sich Melih Göksu als Mitglied des Bezirksbeirats Stuttgart-Mühlhausen ein. 2019 wurde er zum Fraktionssprecher der Grünen (die Parteimitgliedschaft hat er inzwischen aber gekündigt) und ist seit 2021 Sprecher des Arbeitskreises „Kinder und Jugend“ der sozialen Stadt Neugereut. Er engagiert sich zudem seit Kurzem als ehrenamtlicher Richter am Landgericht Stuttgart.

Privates Seit Februar 2023 ist Göksu mit einer Wirtschaftsjuristin verheiratet.

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Erstellt:
22. Januar 2024, 06:00 Uhr

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