Das Leben von Unterweissacher Hans Schick ist ein großes Auf und Ab
Ein 69-jähriger Unterweissacher hat in seinem Leben viel Leid erfahren, aber nie aufgegeben. Jahrelang kümmerte sich Hans Schick um seinen Bruder, den er buchstäblich auf der Straße aufgelesen hatte. Gleichzeitig gilt seine Sorge seinem 35-jährigen Sohn, der an Schizophrenie leidet.
Von Armin Fechter
Weissach im Tal. Das Leben des Hans Schick gleicht einer Achterbahnfahrt. Dem Mann widerfuhren übelste Kränkungen und schlimme Misshandlungen. Er geriet auf die schiefe Bahn – und doch fing er sich wieder, weil er Menschen fand, die ihm zur Seite standen und ihm aus den großen Tiefen, in die er gefallen war, heraushalfen. Und dann erlebte er wieder erstaunliche Glücksmomente, die ihm Kraft gaben, für andere da zu sein. „Er hat vieles gemacht, was er nicht hätte machen müssen“, beschreibt der Weissacher Pädagoge und Politiker Jürgen Hestler Hans Schicks fürsorgliche Handlungsweisen, „und er hat so den Sozialstaat entlastet.“ Dabei war dem heute 69-Jährigen die Hinwendung zu seinen Mitmenschen keineswegs in die Wiege gelegt, wie seine reichlich verkorkste Kindheit und Jugend zeigen.
An seine leibliche Mutter kann sich Schick nicht erinnern – sie ging, als er drei Jahre alt war. Zurück blieb er mit mehreren Geschwistern und seinem Vater, der bald wieder heiratete. Doch die folgenden Jahre wurden zum fortwährenden Martyrium. Er musste Übergriffe und Misshandlungen erleiden, physische und psychische Qualen ertragen. Er wurde weggesperrt, Essen wurde ihm vorenthalten. „Ich hatte ein schlechtes Elternhaus“, fasst Schick zusammen. Wegen der desaströsen familiären Verhältnisse verbrachte er seine jungen Jahre zeitweise in verschiedenen Heimen.
Wenn er wieder argen Hunger litt, türmte er, um sich etwas Essbares zusammenzustehlen.
Als er später, nach der Schule, bei der Backnanger Baufirma Fritz Müller eine Lehre als Maurer und Betonbauer antrat, bekam er Zugriff auf Werkzeug. Er nahm einen Schlägel mit nach Hause. Damit bearbeitete er heimlich die Wand in seinem Zimmer und schuf sich einen versteckten Ausgang. Wenn er wieder argen Hunger litt, türmte er, um sich etwas Essbares zusammenzustehlen. Auch Kleidungsstücke holte er sich auf diesem Weg von fremden Wäscheleinen. Irgendwann erwischte ihn aber die Polizei und er bekam eine erste Anzeige. Bei seinen nächtlichen Ausflügen lernte er andere Jugendliche kennen, die ebenfalls am Rand der Gesellschaft lebten. Mit ihnen zusammen ging er auf Beutezüge – bis die Bande ausgehoben und nach Stammheim in U-Haft gebracht wurde. Die Gang wurde damals auch wegen des Mords am Seniorchef des Backnanger Kaufhauses Max Mayer 1973 in die Mangel genommen, mit dem die Jugendlichen jedoch nichts zu tun hatten.
Parallel zu den Gerichtsverfahren um die RAF-Anführer Andreas Baader und Ulrike Meinhof wurde auch ihm der Prozess gemacht. Das Urteil war hart – sechs Jahre, von denen er aber nur einen Teil absitzen musste. Schon vor Gericht war deutlich geworden, dass Hans Schick eigentlich ein unglücklicher Junge war, der ein weiches Herz hat. „Ich bin stolz, dass ich nicht gekippt bin“, sagt er rückblickend.
Nach der Lehre arbeitete Hans Schick für verschiedene Unternehmen – Altvater und Benignus in Backnang, Schäf in Murrhardt. Bald kannte man ihn als Baggerführer und Müllfahrzeuglenker und als einen, der auch mit schwierigen Kollegen klarkam.
Weil er für seinen Sohn keine Betreuung bekam, nahm er ihn mit zu Arbeit
Schick heiratete. Doch die Ehe ging bald auseinander. Im Streit um das Sorgerecht für den damals dreijährigen Sohn obsiegte er geradezu sensationell: Trotz seiner unrühmlichen Vorgeschichte wurde Schick einer der ersten Männer im Rems-Murr-Kreis, denen per Gerichtsbeschluss die Obhut für ihr Kind zugesprochen wurde. Und das zog er konsequent durch. Da es für den Knirps keine andere Betreuung gab, nahm er ihn zur Arbeit mit, wo er im Bagger auf einem eigenen Sitz angeschnallt dabei war. Schick konnte auch eine „Mutter“-Kind-Kur mitmachen – eine kuriose Sache war das, lacht er noch heute: er zusammen mit 40 Frauen in einer Einrichtung im Schwarzwald.
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Als der Junge dann in den Kindergarten kam, fand Schick Verständnis und Unterstützung bei den Erzieherinnen: Er konnte den Kleinen frühmorgens, noch vor den offiziellen Öffnungszeiten, bringen. Und am Nachmittag durfte der Kleine bleiben, bis der Vater ihn nach der Arbeit abholen konnte. Manchmal fuhr Schick auch mit dem Radlader vor, das war für die Kinder eine Riesenschau. Zum Dank für ihre Hilfe verteilte er an die Erzieherinnen Pralinen – Mon Chéri. Sein Markenzeichen bis heute.
Er musste immer wieder Schicksalsschläge in seiner Umgebung aushalten. Zuletzt traf es seinen Bruder, der auf der Straße gelebt und den er zu sich geholt hatte. Nach einem schweren Unfall befand sich dieser auf dem geistigen Stand eines Sechsjährigen, entsprechend musste er umsorgt werden. Vor Kurzem ist er gestorben. Weitere Todesfälle begleiteten ihn von Kindesbeinen an. So kamen die beiden Söhne, die seine Stiefmutter in die Ehe mitgebracht hatte, auf tragische Weise ums Leben. Während der Bundeswehrzeit bekam er mehrere Suizide mit, gefolgt von weiteren fürchterlichen Vorfällen, die ihn bis heute belasten.
Sobald Behörden ins Spiel kommen, geht im Leben des Hans Schick alles schief.
Aktuell sorgt er sich um seinen Sohn, um den er sich seit Jahren aufopfernd kümmert. Der 35-Jährige leidet unter einer Form der Schizophrenie, die von Wahnvorstellungen und Ängsten – etwa vor Aliens und Ufos – begleitet wird. Schick befürchtet, dass der Sohn sich selbst zur Gefahr werden könnte. Eine Unterbringung in der Psychiatrie scheitert aber bislang offenbar an formalen Hürden. „Hans Schick zerbricht daran“, sagt Jürgen Hestler, der dem Besucher immer zuhört, wenn er wieder vor seiner Tür steht und unter Tränen sein Herz ausschüttet.
Eine Sache gibt es aber, bei der Schick aufblüht, nämlich wenn die Rede auf die Kennedys kommt. Als Kind hatte er den legendären Auftritt des damaligen US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in Berlin erlebt – der Junge war damals in einem Heim untergebracht, dessen Bewohner mit dem Bus in die Stadt gefahren wurden. Seitdem sammelt der Unterweissacher alles, was er an Informationen über die Familie bekommen kann, und hat bei sich ein ganzes Zimmer mit Devotionalien ausgestattet – eine Art Museum, das auch den früheren Geschichtslehrer Hestler staunen lässt.
Unterwegs ist Schick immer mit einer knallroten Ape Piaggio (Anm. d. Red.: ein dreirädriges Rollermobil des italienischen Herstellers Piaggio), so ist er im ganzen Ort bekannt – und so kam auch der Kontakt zu Hestler zustande, der selbst eine Leidenschaft für das Dreiradauto hegt. Schicks Leben biete Stoff für einen Sozialroman, sagt Hestler nach den vielen Gesprächen mit. Schick sei „ein herzensguter Mensch“ – aber sobald Behörden ins Spiel kämen, gehe alles schief. Er verzweifle an dem bürokratischen Monster und dem für ihn undurchdringlichen Kompetenzwirrwarr.