Experte über Rentenpaket II
„Das Rentenpaket ist nicht generationengerecht“
Um das Rentenpaket II wurde in der Ampelkoalition viel gestritten. Auch Jörg Tremmel von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen schaut kritisch auf die Pläne. Welche Probleme er sieht, erklärt er im Interview.
Von Clara Eisenreich
Stabile Renten, kein höheres Renteneintrittsalter – so steht es im Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Gleichzeitig soll die Rente auch generationengerecht sein. Erreicht die Bundesregierung das mit dem geplanten Rentenpaket II? Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen stellt das infrage. Im Interview erklärt Stiftungsvorsitzender Jörg Tremmel, wieso er die Pläne der Bundesregierung für falsch hält – und wie es seiner Meinung nach besser gehen würde.
Herr Tremmel, Sie kritisieren das Rentenpaket, weil Sie es nicht für generationengerecht halten. Warum?
Das Rentenpaket ist nicht generationengerecht, weil der Nachhaltigkeitsfaktor damit abgeschafft werden soll. Dieser wurde eingeführt, um die demografischen Lasten für das Umlagesystem zwischen Rentnern und Beitragszahlern zu teilen. Das Rentenpaket II sieht aber nur noch vor, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken darf – für den Beitragssatz gibt es keine Haltelinie mehr. Das heißt: Die Lasten werden zwischen den Generationen nicht mehr verteilt.
Was bedeutet das für die jüngere Generation?
Diese Rentenreform würde einseitig die Arbeitnehmer, also der jüngeren Generation, belasten. Sie soll höhere Beiträge zahlen, wenn die Babyboomer – also diejenigen, die aus den geburtenstarken Jahrgängen stammen – in Rente gehen. Es geht um richtig viel Geld, weil die Rentenversicherung rund 340 Milliarden Euro pro Jahr ausgibt. Das Rentenpaket II ist die teuerste Sozialreform des Jahrhunderts – wenn sie so wie geplant in Kraft tritt. Dies schadet auch den wirtschaftlichen Aussichten im Land. Denn wenn die Sozialversicherungsbeiträge steigen, wird Arbeit für die Unternehmen automatisch teurer.
Wäre es eine Lösung, das Renteneintrittsalter zu erhöhen?
Die Möglichkeit, nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente zu gehen, sollte abgeschafft werden. Bis 2031 ist ein Anstieg des regulären Renteneintrittsalters bereits geltendes Recht. Ab dem Jahr 2032 und einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren könnte man dann die Lebensarbeitszeit stufenweise an die statistische Lebenserwartung in Deutschland anpassen. Wenn wir immer länger leben, sollte es dazu führen, dass wir ein Drittel länger im Ruhestand sind, und zwei Drittel länger im Arbeitsleben.
Mit dem Rentenpaket II soll auch ein Generationenkapital geschaffen werden. Die Idee: Der Staat legt Geld aus Bundesmitteln am Aktienmarkt an, die Erträge sollen helfen, die Rente zu stabilisieren. Was halten Sie davon?
Das kommt 20 Jahre zu spät. 2035, wenn die ersten Auszahlungen kommen sollen, sind die Babyboomer ja schon fast alle im Ruhestand. Außerdem ist das Geld, das auf diesem Weg wahrscheinlich mobilisiert wird, viel zu wenig. Eine echte Entlastung für die Beitragszahler ist damit kaum drin.
Sie setzen sich dafür ein, auch Beamte in die Rentenversicherung einzubeziehen. Was ist Ihr wichtigstes Argument?
Man stelle sich vor, es gäbe zwei Steuersysteme in Deutschland: eines für die Gutverdiener, eines für alle anderen. Das wäre offensichtlich ungerecht. Bei der Altersvorsorge aber gibt es diese Zwei-Klassen-Gesellschaft. Das System der Erwerbstätigenversicherung, die wir langfristig anstreben, ist solidarischer als die unterschiedlichen Parallelsysteme, wie wir sie heute haben.
Was bedeutet das?
Die Erwerbstätigenversicherung, in die Arbeitnehmer und Beamte einzahlen sollen, wollen wir über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten verwirklichen. Für die Beamten von heute bliebe alles, wie es ist. Aber wer neu verbeamtet wird, müsste in die Erwerbstätigenversicherung einzahlen. In 40 Jahren hätten wir dann ein System, das alle einbezieht. Die ersten, für die sich etwas ändern sollte, müssen aus unserer Sicht die Abgeordneten sein. Wenn sie in die Erwerbstätigenversicherung einzahlen würden, wäre das ein gutes Vorbild.
Kann ein Rentensystem überhaupt generationengerecht sein?
In unserem Umlagesystem – die arbeitende Generation zahlt für die in Rente – ist die Nachwuchsgeneration ein Drittel kleiner als ihre Vorgängergeneration. Generationengerecht kann dieses System erst wieder sein, wenn die Bevölkerungsstruktur wieder homogen ist. Die Jüngeren sind also für rund 40 Jahre im Nachteil. Es geht nur darum, die Generationenungerechtigkeit in diesem Zeitfenster abzumildern und die Lasten möglichst fair zu verteilen.
Zur Person
GeschäftsführerJörg Tremmel ist Herausgeber der Zeitschrift „Intergenerational Justice Review“ und leitet die Geschäfte der „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“.
ProfessorTremmel forscht an der Schnittstelle zwischen Philosophie und Politik und ist außerplanmäßiger Professor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen.