„Das Thema Wohnraum brennt überall“
Seit 40 Jahren gibt es das Haus Friedrichstraße in Backnang, ein Aufnahmehaus der Erlacher Höhe für Menschen in Wohnungsnot. Die Probleme der Bewohner sind vielfältig, eines der drängendsten ist die Suche nach einem eigenen Zuhause.
Von Annette Hohnerlein
Backnang. „Ich wünsche mir, wieder richtig auf die Füße zu kommen und in einer eigenen Wohnung zu leben“, sagt ein Bewohner des sogenannten Aufnahmehauses der Erlacher Höhe in der Backnanger Friedrichstraße. Wir nennen den Mann Jan Maier, seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Maier sagt: „Für Bürgergeldempfänger ist es aber unmöglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden.“ Der 40-Jährige, der seit vier Monaten im Aufnahmehaus lebt, ist vom Schicksal nicht verwöhnt worden. „Mein früheres Leben war kompliziert“, so drückt er es aus. Immerhin hat er Angehörige, zu denen er Kontakt hält, sein Vater, seine zehnjährige Tochter und seine Ex-Frau. „Früher hatte ich auch falsche Kontakte, da waren Alkohol und Drogen im Spiel, es konnte ausarten“, erzählt er. Sein Zimmer im Haus Friedrichstraße ist schlicht möbliert, Bett, Schrank, Schreibtisch, Fernseher; Platz für persönliche Dinge gibt es wenig. Aber Hauptsache ein Dach überm Kopf.
14 Männer zwischen 18 und 55 Jahren wohnen derzeit in dem Gebäudekomplex, es gibt eine Kurzunterbringung für Notfälle und eine sogenannte abstinente Wohngruppe. Frauen in Wohnungsnot können im Haus Karla in unmittelbarer Nähe unterkommen. Petra Brinckmann berät die Bewohner im Haus Friedrichstraße und unterstützt sie dabei, mit ihrem Leben wieder besser klarzukommen. Sie hilft ihnen bei der Arbeits- und Wohnungssuche, bei Behördenangelegenheiten, bei der Schuldenregulierung oder beim Umgang mit einer Suchterkrankung. „Früher war das Problem hauptsächlich der Alkohol, heute sind es eher Drogen“, erzählt die Sozialarbeiterin.
Das Haus Friedrichstraße gibt es seit 40 Jahren, es war bei seiner Inbetriebnahme 1983 ein Novum in Baden-Württemberg. Erstmals wurden hilfesuchende Menschen nicht nur beraten, sondern auch ambulant untergebracht und versorgt. Es ist als vorübergehende Wohnmöglichkeit für Menschen gedacht, die ansonsten auf der Straße stehen würden. Anton Heiser, langjähriger Mitarbeiter der Erlacher Höhe und bis vor seinem Ruhestand für die Ambulanten Hilfen Rems-Murr zuständig, blickt zurück: „Früher mussten wohnungslose Menschen nach Großerlach. Ab den 80er-Jahren gab es dann mehr ambulante Angebote, man wollte die Menschen dort aufsuchen, wo sie sind.“ Er erinnert sich, dass in den 90er-Jahren 25 Personen in Backnang auf der Straße lebten. Sie übernachteten in Zelten oder selbst gebauten Unterständen, viele auch unter der Annonaybrücke. 1993 formierte sich ein Kreis ehrenamtlicher Unterstützer, die „Brückenhilfe Backnang“.
Heute gibt es in nahezu allen Orten Angebote wie das Haus Friedrichstraße, erklärt Wolfgang Sartorius, Vorstand der Erlacher Höhe, beim Pressegespräch anlässlich des runden Geburtstags des Aufnahmehauses. Wenn wohnungslose Menschen allerdings pflegebedürftig werden, dann herrsche große Not. Für diesen Personenkreis gebe es im Moment landesweit nur zwei Häuser. „Die Probleme werden komplexer“, ergänzt Michael Belz, der die Ambulanten Hilfen Rems-Murr leitet, und verweist auf die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Wegen ihrer schwierigen Lebensumstände tun sich die Klienten der Erlacher Höhe auf dem Wohnungsmarkt besonders schwer. „Wir haben massive Probleme, eine Anschlussunterkunft für die Bewohner vom Haus Friedrichstraße zu finden. Im Moment stehen acht bis zehn Personen auf unserer Warteliste“, berichtet Belz. Er wünscht sich mehr Unterstützung durch die Politik, zum Beispiel, indem mehr sozialer Wohnraum gebaut wird. Vor allem Ein- und Zweizimmerwohnungen seien im Raum Backnang Mangelware. „Das Thema Wohnraum brennt überall.“
Damit es möglichst gar nicht erst zum Verlust der eigenen Wohnung kommt, setzt man heute vermehrt auf Prävention, betont Anton Heiser. Gemeinsam mit der Stadt Schorndorf unterhalte man seit zwei Jahren eine Fachstelle für Wohnungssicherung. Dort werden Mieter beraten, die in Gefahr sind, ihre Wohnung zu verlieren. Und das mit Erfolg, 50 Prozent der Betroffenen konnten in ihren Wohnungen bleiben. Sartorius ergänzt: „Auch die Vermieter sind dankbar für unsere Beratung, sie sind oft hilflos, wenn jemand nicht zahlt.“
Jan Maier hat sich mit seiner derzeitigen Situation arrangiert und fühlt sich ganz wohl. „Es kommt immer drauf an, wer mit im Haus wohnt; momentan haben wir ein sehr gutes Verhältnis“, findet er und erzählt, dass er am Abend mit ein paar Mitbewohnern zum Kartfahren geht.