Ex-Nationalspieler vor Gericht
Das Urteil für Boateng fällt milde aus
Im Gewalt-Prozess wird der Profi-Fußballer nur verwarnt wegen Körperverletzung. Er muss 100 000 Euro an Kinder-Hilfsvereine zahlen.
Von Patrick Guyton
Als die Vorsitzende Richterin Susanne Hemmerich um 11.10 Uhr im Landgericht München das Urteil spricht, zeigt Jérôme Boateng keinerlei Regung. Doch der Profi-Fußballspieler hätte allen Anlass zum Jubel. Im mittlerweile vierten Prozess wegen Körperverletzung erhält der 36-Jährige ein sehr mildes Urteil: Das Gericht verwarnt ihn lediglich unter Strafvorbehalt wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung an seiner früheren Partnerin.
Das bedeutet: Nur wenn er innerhalb eines Jahres erneut eine ähnliche Straftat begeht, wird dieses Urteil tatsächlich umgesetzt. Nur dann wäre eine vom Gericht jetzt angekündigte Strafe von 40 Tagessätzen zu je 5000 Euro fällig, also insgesamt 200 000 Euro. Das Gericht erlegt Boateng lediglich zwei Spenden zu je 50 000 Euro an zwei Vereine der Kinder- und Jugendhilfe auf, also zusammen 100 000 Euro. Zuvor war er in zwei Prozessen zu Geldstrafen in Millionenhöhe verurteilt worden. „Vom Vorwurf des notorischen Frauenschlägers bleibt gar nichts übrig“ gibt Richterin Hemmerich zu Beginn ihrer Begründung die Richtung vor. Zwischen Boateng und der Mutter seiner Töchter habe eine „toxische Beziehung“ bestanden. Die Frau habe ihn auch geschlagen.
Gewalttätige Auseinandersetzung im Karibik-Urlaub
Das Amtsgericht München hatte 2021 eine Geldstrafe verhängt: 60 Tagessätze zu je 30 000 Euro, insgesamt 1,8 Millionen Euro. Das Landgericht München verurteilte ihn im Oktober 2022 in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 000 Euro – das machte 1,2 Millionen Euro.
Die Prozesse gehen zurück auf ein Ereignis vor sechs Jahren, am 19. Juli 2018, als es beim Karibikurlaub des Paares mit den beiden Zwillingsmädchen und zwei Freunden zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kam. Nach der Provokation, Boateng habe beim Kartenspielen „geschummelt“, habe dieser, so die Richterin „ein Kissen nach vorne geschmissen“. Dann sei er mit dem Fuß an den Tisch gestoßen, wobei ein „ Windlicht zu Bruch geht“. Ob er mit einer Kühltasche geworfen habe, wie es in der Anklage stand, sei überhaupt nicht zu ermitteln gewesen.
Die beiden beleidigten sich gegenseitig
Und weiter: Die beiden beleidigen sich gegenseitig mit äußerst vulgären Schimpfbegriffen. Die Frau verletzt Boateng mit einem Ring oder einer Kette, sodass er blutet. Daraufhin habe sie von ihm „einen wuchtigen Schlag vor das Auge bekommen“. Danach habe es „weiteres Gerangel“ gegeben. Diesen Schlag – die Zeugin hatte zur Dokumentation ein Foto der Schwellung gemacht – sieht das Gericht als einzige erwiesene Körperverletzung an.
Die Richterin beklagt, dass der ganze Fall von „vielen Nebenkriegsschauplätzen“ bestimmt worden sei. Damit ist zum einen der jahrelange Streit um die beiden heute 13-jährigen Töchter gemeint. Es gab einen zermürbenden Kampf, wer das Aufenthaltsbestimmungsrecht erhält und welche finanziellen Vorteile die Mutter bekommt – eine 120-Quadratmeter-Wohnung mit Garten im Münchner Nobelvorort Grünwald, ein Auto und ihre Versorgung. „Alles wurde vor das Familiengericht gezogen“, sagt Hemmerich.
Die Richterin sieht eine Vorverurteilung Boatengs
Zweiter „Nebenkriegsschauplatz“ ist die laut Richterin angebliche „mediale Vorverurteilung“ Boatengs, die „sein ganzes Leben prägen“ werde. So sei etwa von dem von Medien aufgegriffenen Vorwurf, Boateng habe von seiner anderen Freundin Kasia L. eine so genannte Verschwiegenheitserklärung „abgepresst“, nicht viel übrig geblieben. Mit einer solchen Erklärung verpflichtet sich eine Person nach Ende der Beziehung nichts über die gemeinsame Zeit zu erzählen.
Hat die Schlammschlacht um Aufenthalts- und Sorgerecht, hat die teils recht ausführliche Berichterstattung auch über Boatengs andere Affären und Probleme etwas mit diesem Prozess und den konkreten Anklagevorwürfen zu tun? Nein. Doch es ist die Richterin, die dieses ganze Knäuel um den Fußball-Weltmeister von 2014 selbst immer wieder thematisiert. Und Boateng selbst auch, der in der Verhandlung sein Bedauern über das Schicksal von Kasia L. ausdrückte. Kurz nachdem er ihr per „Bild“ die Beziehung aufgekündigt und heftige Vorwürfe gemacht hatte, nahm sie sich das Leben.
Noch kann Revision gegen das Urteil eingelegt werden
Über Boatengs Aktivitäten, seine Person in ein gutes Licht zu rücken, schweigt das Gericht. So tummelte sich an den Verhandlungstagen ein „Medienberater“ unter den Presseleuten, der sich als Mitglied des „Teams Boateng“ vorstellte. Er versuchte zu erklären, was in dem Prozess alles für seinen Geldgeber sprach. Problematisch erscheint, wie Hemmerich in ihrer Begründung die Ex-Lebensgefährtin abkanzelte, die Zeugin war und Opfer. „Von ihrer Glaubwürdigkeit bleibt wenig übrig“, sagte die Richterin. Sie ließ durchklingen, dass die Frau wohl „Druck im Familienverfahren“ habe machen wollen.
Innerhalb einer Woche kann Revision gegen das Urteil eingelegt werden. Eine Sprecherin der Anklage sagte: „Die Staatsanwaltschaft hatte eine härtere Strafe gefordert wegen gefährlicher Körperverletzung.“ Berücksichtigen müsse man aber die lange Verfahrensdauer. Man werde nun beraten.