Dem Geruch der Murr auf der Spur

Stinkt die Murr? In den vergangenen Wochen konnte man immer wieder mal und an mehreren Stellen im Bereich der Backnanger Kernstadt einen unangenehmen Gestank wahrnehmen. Sein Zustandekommen ist offenbar biologisch begründet und auch andernorts nicht unbekannt.

Immer wieder mal offenbart die Murr in Backnang sommers eine nicht so angenehme Geruchsnote. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Immer wieder mal offenbart die Murr in Backnang sommers eine nicht so angenehme Geruchsnote. Foto: Alexander Becher

Von Bernhard Romanowski

Backnang. Manchen stinkt es gewaltig. Andere wiederum wissen von gar nichts und schauen ungläubig, wenn man sie nach dem speziellen Geruch fragt, der sich in den vergangenen Wochen immer wieder mal an verschiedenen Stellen der Backnanger Innenstadt breitgemacht hat.

Deutliche Worte für das Geruchsphänomen, das mit der Murr zusammenzuhängen scheint, finden die Mitglieder einer Backnanger Facebook-Gruppe. „Also, der Gestank ist ja abnormal“, heißt es da in einem mit entsprechenden Smileys geschmückten Beitrag. „Widerlich“, kommentiert eine Facebook-Nutzerin. „Die Murr stinkt echt bestialisch“, schreibt ein anderer. Sogar der Begriff „Verwesungsgeruch“ wird verwendet. Auch von Fischresten und Algen im Wasser ist die Rede. Der Beitrag stammt zwar aus der ersten Juliwoche, aber der Geruch ist sowohl davor als auch danach erneut aufgetreten.

Hohe Temperaturen und wenig Wasser könnten den Gestank verursachen

Bei Facebook wird freilich auch darüber spekuliert, was der Grund für das olfaktorische Phänomen sein könnte. „Ist bei jedem Fluss so, wenn kein Frischwasser reinkommt“, mutmaßt eine Nutzerin und meint, dass es eben unter anderem Essensreste aus der Kanalisation seien, die hängen bleiben und zu stinken beginnen. „Vor 40/50 Jahren, als es noch Gerbereien gab, da hat es gestunken. Das jetzt ist noch harmlos“, lautet eine weitere Meinung in der Online-Gruppe. Doch auch Irene Baum vom Seniorenbüro im Biegel hat in jüngster Zeit „einen etwas unangenehmen Geruch wahrgenommen“, wie sie uns auf Nachfrage mitteilt. Gastronomen und Hoteliers aus Backnang halten sich mit Auskünften zu ihren Geruchserfahrungen zurück. Schließlich will niemand Nestbeschmutzung betreiben und das eigene Geschäft in ein schlechtes Licht rücken. Inoffiziell wird aber mehrfach durchaus von einer unguten Duftnote berichtet. Unserer Anfrage an die Backnanger Stadtverwaltung beantwortet Lars Kaltenleitner, der das städtische Tiefbauamt leitet. Ihm zufolge führt die Murr, wie einige bei Facebook vermuteten, derzeit relativ wenig Wasser, weil „die Quellschüttung aus Murrhardt gering ist“. Auch das Wasser aus den umliegenden Kläranlagen fließe demnach nicht schnell genug, sodass es zur Geruchsbildung durch Klärreste kommen könne. Dadurch stehe das Wasser stellenweise, hohe Temperaturen und sowie der steigende CO2-Gehalt begünstigen die Algenbildung. „Wenns steht, dann stinkts“, so Kaltenleitners Formel.

Im Landratsamt scheint man die Aussagen Kaltenleitners zu bestätigen. Grundsätzlich kann es aufgrund niedriger Wasserstände in Gewässern dazu kommen, dass Biomasse, die sich normalerweise unter Wasser befindet, im Trockenen liegt, daraufhin abstirbt und im Folgenden durch unterschiedliche Prozesse zersetzt wird“, so die Antwort von Felix Salwik vom Amt für Umweltschutz, Fachbereich Oberirdische Gewässer und Abwasser im Rems-Murr-Landratsamt. Der niedrige Wasserstand könne potenziell auch zu einem Ausstoß unterschiedlicher Geruchsstoffe führen.

Auch das Kanalsystem könnte Verursacher sein

Eine Geruchsbelastung in Trockenzeiten könne zudem aus dem öffentlichen Kanalsystem kommen. Durch die hohen Temperaturen im Sommer und den dadurch bedingten geringeren Sauerstoffgehalt im Abwasser werden demnach biologische Prozesse begünstigt, die zu einer Geruchsbelastung führen können.

„Zudem führen Trockenperioden dazu, dass das Abwasser im Kanalsystem nicht verdünnt wird und es dadurch zu Ablagerungen kommen kann, die nicht zur Kläranlage gespült werden. Diese Ablagerungen können ebenfalls zu einer Geruchsbelastung führen“, führt Salwik aus. Kommt es hitzebedingt also generell häufiger zu solchen Geruchsphänomenen? „Bisher wurden dem Landratsamt in Trockenwetterperioden keine außergewöhnlichen Geruchsphänomene gemeldet“, sagt Salwik. Ob der Gestank auch mit der Bildung von Algen zusammenhängen kann, wollten wir noch vom Landratsamt wissen. „Generell wird die Algenbildung in Gewässern primär durch die Nährstoffkonzentration und nicht durch den Wasserstand begrenzt“, macht Salwik deutlich. Jedoch werde das Algenwachstum durch höhere Temperaturen im Sommer begünstigt. Doch der Biologe in Waiblingen entkräftet die Algentheorie auch gleich wieder: „Dass die beschriebene starke Geruchsbelastung aus der Murr lediglich von einer gesteigerten Primärproduktion, also durch Aufbau von Biomasse herrührt, ist nicht sehr wahrscheinlich.“

Ungeklärtes, gebrauchtes Wasser löst laut Salwik derzeit nicht den Geruch aus

Liegt es dann doch mehr an ungeklärten Rückständen aus den umliegenden Kläranlagen? Denn die Murr führt nun einmal Grauwasser, also eine Mischung aus Schmutz- und Niederschlagswasser. Doch, wie Salwik erläutert, wird ungeklärtes Brauchwasser aus den Haushalten lediglich im sogenannten Entlastungsfall über technische Bauwerke im Kanalsystem direkt in die Gewässer abgegeben. Bei diesen Bauwerken handelt es sich um sogenannte Regenüberlaufbecken, kurz RÜB. „Dieser Entlastungsfall tritt jedoch lediglich in Zeiten auf, in denen das Kanalsystem beziehungsweise die Kläranlage durch sehr starke Regenfälle überbelastet ist“, so der Fachmann. So ist dies in Trockenperioden beziehungsweise, wenn die Flüsse einen niedrigen Wasserstand haben, nicht wahrscheinlich.

Zwei Regenüberlaufbecken in Backnang haben indessen laut Tiefbauamtsleiter Kaltenleitner tatsächlich zuletzt für eine verstärkte Geruchsbildung gesorgt. So war erst kürzlich ein RÜB im Bereich der Backnanger Feuerwehrwache nahe dem Lidl-Markt verstopft. Das habe man gerochen, so Kaltenleitner. Er berichtet zudem von einer Meldung zu dem RÜB am verdolten Eckertsbach unweit des Media-Markts an der Sulzbacher Straße, wo das Schmutzwasser gesammelt wird. Dort wurden in der Kalenderwoche 27 Ablagerungen von Fäkalien in dem Bauwerk festgestellt und beseitigt, deren Geruch aus dem RÜB gedampft und weithin wahrnehmbar war.

Auch zwei Regenüberlaufbecken haben zuletzt für Gestank in Backnang gesorgt.
Kein neues Phänomen

Wasser zu warm Dass die Murr derweil zu wenig Frischwasser aus den Quellzuläufen führt, ist ein bereits seit Jahren beobachtbares Phänomen, wie Justin Guest erläutert. Guest ist als beratender Biologe der Hegegemeinschaft Einzugsgebiet Murr tätig. Für die Fische im Fluss, insbesondere die Barbe und die Bachforelle, wird die Situation immer schlechter. Das Wasser wird einfach zu warm für die Tiere. Es kommt zum Fischsterben. Die Beschattung des Gewässers durch Bäume fehlt.

Fischtreppen notwendig Das Lied von der Renaturierung der Murr in Backnang mit voller Durchgängigkeit für die Fische singt die Hegegemeinschaft schon lange. Die Herrichtung der beiden Fischtreppen im Bereich Biegel und Bleichwiese ist projektiert, muss aber noch umgesetzt werden.

Anderswo genauso Auch Alexander Schaal vom Anglerverein Backnang bestätigt, dass der Geruch kein spezifisches Phänomen der Murr ist: „Das haben sie an den Wehren an der Rems oder der Iller genauso.“

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Erstellt:
21. Juli 2022, 20:28 Uhr

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