Depression: „Man denkt, dass es nur einem selbst so geht“

Vor fünf Jahren ist Claudia Schimke an einer schweren Depression erkrankt. Anfangs fiel es der Landschaftsplanerin aus Althütte schwer, sich die Krankheit einzugestehen – in ihrer Vorstellung war sie zu sehr mit Scham behaftet. Heute weiß sie: Eine Depression kann jede und jeden treffen.

Claudia Schimke möchte Menschen mit Depressionen Mut machen. Für sie war die psychische Erkrankung ein Weckruf. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Claudia Schimke möchte Menschen mit Depressionen Mut machen. Für sie war die psychische Erkrankung ein Weckruf. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Althütte. Dass sie einmal Depressionen haben würde, das hätte Claudia Schimke früher nie vermutet. „Meine Vorstellung war, dass Menschen mit einer Depression labile, instabile Leute sind, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen. Oder auch Menschen, die eine bestimmte körperliche Disposition haben“, sagt die 54-jährige Landschaftsplanerin aus Althütte. Mit ihr selbst hatten diese Vorstellungen nichts zu tun. Sie habe sich immer ganz anders wahrgenommen, sagt Claudia Schimke: „Ich bin humorvoll, habe studiert und traue mir etwas zu.“ Sie habe schon allein Trekking im skandinavischen Hochland betrieben, sei zwei Monate mit Fahrrad und Zelt in Frankreich unterwegs gewesen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Depressionen kriege“, betont sie noch einmal.

Dass es jede und jeden treffen kann, das habe sie erst während ihres Aufenthalts in einer psychosomatischen Klinik festgestellt, sagt sie. Dabei sind Depressionen sehr weit verbreitet. Jedes Jahr erkranken allein in Deutschland rund fünf Millionen Menschen an einer Depression. Im Lauf ihres Lebens sind fast ein Viertel der Deutschen selbst betroffen. Weitere 37 Prozent sind durch erkrankte Angehörige mitbetroffen. Vor dem Hintergrund könnte man meinen, dass offen über Depressionen gesprochen wird. Dass vielleicht schon Schulkinder über die Krankheit aufgeklärt werden, um im Fall der Fälle bei sich selbst, bei Freundinnen und Freunden Warnzeichen zu entdecken. Doch dem ist leider nicht so. Depressionen, sagt Claudia Schimke, seien noch immer ein Tabuthema. Das ist auch der Grund, warum sie sich an unsere Zeitung gewendet hat: Mit ihrer Geschichte möchte sie über die Krankheit aufklären und Betroffene dazu ermutigen, sich frühzeitig Hilfe zu holen. „Man denkt immer, dass es nur einem selbst so geht“, sagt sie. „Mir hätte es enorm geholfen, von anderen zu erfahren, die etwas Ähnliches durchgemacht haben.“

Da sie die Symptome nicht kannte, konnte sie diese auch nicht einordnen

Die Anfänge ihrer Erkrankung liegen fünf Jahre zurück. 2017 verstarb ihr Vater. Gleichzeitig kam es zu einer ungünstigen Situation an ihrem Arbeitsplatz – „es war eine unglückliche Gemengelage“, blickt Claudia Schimke zurück. Die Krankheit kam schleichend. Und da sie deren Symptome nicht kannte, wusste sie diese auch nicht einzuordnen. Angefangen habe es damit, dass sie bemerkte, dass die Trauerphase sehr lange anhält. „Ich habe gemerkt, ich stecke in der Trauer fest“, erinnert sie sich. „Mir hat es an Energie gefehlt, ich konnte mich über nichts mehr freuen. Gleichzeitig war ich innerlich total unruhig – eine ganz unangenehme Mischung“, beschreibt sie.

Und das war erst der Anfang. Bei ihrem Hausarzt, der auch Psychotherapeut ist, bekam sie zwar schnell einen ambulanten Therapieplatz. Nach zwei Jahren musste sie feststellen, dass dieser nicht ausreichte. „Ich vergleiche das immer mit einem Auto“, sagt Claudia Schimke. „Man fährt wie sonst auch, muss aber immer mehr Gas geben, um dasselbe Pensum zu bewältigen. Irgendwann ging mir das Benzin aus.“

Sie habe sich überfordert gefühlt mit den kleinsten Dingen, erinnert sie sich. „Ich hatte Angstzustände und das Gefühl, ich hätte Watte im Kopf.“ Antriebslosigkeit und Vergesslichkeit sind zwei Anzeichen einer Depression, die sehr häufig vorkommen. Doch die Krankheit hat noch viele weitere Gesichter – zum Beispiel Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Konzentrationsstörungen, Interessenverlust oder Suizidgedanken.

Den Schritt in die Klinik zu wagen, fällt schwer

Zweieinhalbmal war Claudia Schimke wegen ihrer Depression in einer Klinik. Der erste Aufenthalt musste wegen der Coronapandemie verkürzt werden (das war der „halbe“ Aufenthalt), die anderen zwei Male war sie sechs respektive acht Wochen vor Ort. Diesen Schritt zu wagen sei ihr schwer gefallen, berichtet sie. Anfangs habe sie versucht, die Krankheit zu verheimlichen – sowohl bei ihrer Arbeitsstelle als auch in der Nachbarschaft. „Man meint, man hat versagt, wenn man sich eingestehen muss, dass man depressiv ist“, sagt sie. „Deshalb sollte bloß keiner mitbekommen, wohin ich gehe.“ Und dann war da noch die Angst, in der Klinik auf „lauter Durchgeknallte“ zu treffen. Erst, als sie dort war, wurde ihr so bewusst, „dass das alles normale Menschen sind – nur eben mit einer psychischen Erkrankung“. Und dass die Betroffenen keine Schuld trifft, weil sie keinen Einfluss auf die Krankheit haben. „Es waren auch viele dabei, die beruflich erfolgreich waren“, berichtet sie. „Die haben so lang versucht, das zu kompensieren, bis es nicht mehr ging.“

Wegen ihrer beiden Kinder (heute 19 und 21 Jahre alt, das jüngere wohnt noch zu Hause) hielt Claudia Schimke zuerst nach einem Platz in einer Tagesklinik Ausschau. Inzwischen ist sie dankbar dafür, dass keine nah genug war – und das, obwohl die erste Zeit in der stationären Klinik aufgrund der zahlreichen Verbote und des eng getakteten Tagesablaufs keine einfache war. Als eine „Mischung aus Kloster und Bootcamp“ bezeichnete ein Freund, dem sie ein Foto ihres täglichen Programms geschickt hatte, den Klinikaufenthalt einmal. „Das trifft es gut“, sagt Claudia Schimke und zwinkert. Auf den Frühsport folgten verschiedene Sportangebote, Gruppentherapiebesuche und Einzeltherapiesitzungen. Alles, was auch nur ein wenig ablenken könnte – Medien, Alkohol, Rauchen, Snacks, Handynutzung, Kontakt nach außen – war verboten. „Die Anfangszeit war schon verdammt hart“, räumt sie ein. „Aber mit der Zeit geht es einem ja auch besser. Und man bekommt bestimmte Freiheiten zurück.“ Es tue gut, aus der gewohnten Umgebung heraus zu sein und jederzeit Ansprechpersonen zu haben.

Inzwischen hat sie gelernt, sich Hilfe zu holen, wenn diese nötig ist

Die Klinikaufenthalte haben Claudia Schimke in ihr Leben zurückgeholfen. „Ich kann wieder Freude empfinden, habe Lust, Sachen zu unternehmen und kann wieder arbeiten“, sagt sie. „Durch die Aufenthalte geht es mir viel besser. Ich habe gelernt, mit der Erkrankung umzugehen – und mir Hilfe zu holen, wenn ich merke, dass ich sie brauche. Denn wenn ich Zahnschmerzen habe, versuche ich ja auch nicht, das mit mir selbst auszumachen, sondern nehme professionelle Hilfe in Anspruch.“ Sprüche wie „Reiß dich zusammen“ oder „Denk doch mal positiv“ musste sie sich von ihrem Freundeskreis und ihrer Familie glücklicherweise nicht anhören. Auch dort erfährt sie Rückhalt.

Inzwischen ist Claudia Schimke sogar so weit, zu sagen, dass ihre Erkrankung für sie eine Chance gewesen sei, zu schauen: „Was brauche ich? Wo liegen meine Grenzen?“ Der Notfallmodus, in den sich ihr Körper mit der Depression begeben hatte, sei im Prinzip ein Weckruf gewesen. Eine gesunde Reaktion auf eine ungesunde Lebensweise, erklärt sie. Grenzen zu ziehen sei gerade in unserer Leistungsgesellschaft wichtig. Eine Therapeutin habe ihr einmal gesagt, eine Depression sei „die Belohnung für lebenslanges Bravsein“, sagt Claudia Schimke. „Ich würde jetzt nicht so weit gehen, jemanden mit einer Depression zu sagen: Herzlichen Glückwunsch, das ist die Chance auf ein neues Leben! Denn Depressionen haben ja ganz verschiedene Auslöser und Verläufe.“ Doch wenn man sich der Herausforderung stellen könne, könne eine Depression „eine abenteuerliche Reise zu sich selbst sein und eine andere Sicht auf die Welt ermöglichen“, sagt sie. „Man findet ja auch ein paar Schätze auf dem Weg. Einer davon ist, dass man unabhängiger wird von der Meinung anderer Menschen.“

Anlaufstellen und Informationen für Betroffene und Angehörige

Krise In akuten Krisen sind der Hausarzt beziehungsweise die Hausärztin, die nächstgelegene psychiatrische Klinik oder der Notdienst unter der 112 die richtigen Ansprechpartner.

ZfP Klinikum Schloss Winnenden Alle Informationen zu einem möglichen stationären oder teilstationären Klinikaufenthalt im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Schloss Winnenden sowie sämtliche Kontaktdaten findet man unter https://t1p.de/e1hyr.

Telefonseelsorge Eine anonyme, kostenlose Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit erhält man unter den bundesweit gültigen Rufnummern 0800/1110111 oder 0800/1110222 der Telefonseelsorge. Sie bietet außerdem E-Mail- und Chat-Beratungen an.

Info-Telefon Depression Das bundesweite Info-Telefon Depression soll Betroffenen und Angehörigen den Weg zu Anlaufstellen im Versorgungssystem weisen. Es ist unter der 0800/3344533 kostenlos erreichbar. Die Sprechzeiten sind montags, dienstags und donnerstags von 13 bis 17 Uhr sowie mittwochs und freitags von 8.30 bis 12.30 Uhr.

Diskussionsforum Depression Betroffene und Angehörige können im Diskussionsforum Depression auf der Webseite www.diskussionsforum-depression.de Erfahrungen miteinander austauschen.

Deutsche Depressionshilfe Auf der Webseite der Deutschen Depressionshilfe (www.deutsche-depressionshilfe.de) finden Betroffene und Angehörige umfassende Informationen und viele weiterführende Links.

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Erstellt:
8. Dezember 2022, 11:30 Uhr

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