Prozess um Prinz-Reuß-Gruppe
Der Angeklagte lobt die Richter für Fairness
Im Stuttgarter Verfahren um die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe um Prinz Reuß beschäftigen sich die Juristen mit einem wichtigen Vermerk eines Kriminalen. Auf den haben sich Richter und die Bundesanwälte gut vorbereitet. Etliche Verteidiger hingegen nicht.
Von Franz Feyder
Die Richterinnen und Richter rollen mit ihren Bürostühlen aufeinander zu, als seien sie Teil des Musicals Starlight Express, bei dem die Darsteller mit Rollschuhen an den Füßen in die Rolle von Lokomotiven schlüpfen und durchs Theater rasen. Der schmale Spalt zwischen Richtertisch und der hellen Holzwand mit dem Landeswappen in Saal 1 der Stammheimer Außenstelle des Stuttgarter Oberlandesgerichts (OLG) wird zu Rollbahn: Köpfe werden zusammengesteckt, Buchstaben- und Zahlenreihen diktiert – auf den überdimensionalen Bildschirmen an den Seitenwänden des Gerichtssaals flimmern Tabellen, Schaubilder und Dokumente auf: Die drei Richterinnen und beiden Richter des 3. Senats harmonieren, als wäre das nicht erst das erste Staatsschutzverfahren, das sie gemeinsam verhandeln.
Vor ihnen seit drei Verhandlungstagen: Zeuge Kriminaloberkommissar Tim H., Bundeskriminalamt, 34 Jahre alt, kurzes, schwarzes Haar. Der Ermittler hat fast ein Jahr lang einen Vermerk geschrieben, der vielleicht einer der wichtigsten Beweise im Verfahren gegen die mutmaßliche Terrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß ist. Ihr wirft der Generalbundesanwalt vor, Hochverrat begangen und geplant zu haben, das politische System Deutschlands stürzen zu wollen. Tim H. hat in einem mehr als 200 Seiten umfassenden Vermerk mit hunderten von Fußnoten Berichte, Telefonmitschnitte und Auswertungen ungezählter Kollegen zusammengetragen und analysiert, wie sich die Gruppe um Reuß gegründet und strukturiert haben soll.
Hält dieser Vermerk dem kritischen Blick der Richter und Verteidiger stand, ist er ein wichtiger Beweis dafür, dass sich eine Terrorgruppe bildete – die Voraussetzung dafür, dass die vor den OLG in Stuttgart, Frankfurt und München Angeklagten als Terroristen verurteilt werden könnten.
Aktensicher kramen vor allem die beiden Bericht erstattenden Richterinnen Anna Müller-Nies und Gabriele Maser aber auch der Vorsitzende Joachim Holzhausen in den Fußnoten des Ermittlervermerks, projizieren Asservate auf die Bildschirme. Werden nicht müde zu betonen, dass der Analyst tat, was Analysten weltweit in der Kriminologie so tun: nicht selbst ermitteln, sondern bewusst mit dem Blick von außen auswerten, was andere selbst ermittelt haben. Quellen benennen, aus ihnen plausible Schlussfolgerungen ziehen, Widersprüche aufzeigen. Dass hat Tim H. gemacht – penibel, vorbildlich, wie sich zeigt.
Wahrscheinlich liegen deshalb die Nerven bei den Verteidigern blank. Sie arbeiten sich an Formalien ab. Der Zeuge berichte nicht aus einer Erinnerung, beanstanden etliche. Die Argumente der Richter und von Oberstaatsanwalt Michael Klemm, dass der Kriminale keine eigenen Ermittlungen anstellte und es ihm kaum möglich sei, diese aus der Erinnerung zu zitieren, verfängt bei den anderen Juristen nicht: „Das geht aber zu Lasten der Struktur“, warnt der Ankläger.
Verteidiger haben kein militärisches Hintergrundwissen recherchiert
Zumal sich etliche Verteidiger auch nach 33. Verhandlungstagen offenbar nicht damit beschäftigt haben, sich ansatzweise militärisches Hintergrundwissen für das Verfahren anzueignen. Immerhin sind in Stuttgart neun Männer angeklagt, die den militärischen Arm der mutmaßlichen Terrorgruppe gebildet haben sollen.
Verbindungsoffiziere sind ein Thema. Nach den Führungsvorschriften der Bundeswehr und der NATO werden diese zwischen Stäben ausgetauscht. Das heißt: Jeder Stab entsendet einen Offizier in den jeweilig anderen Stab. In Asservaten taucht als Verbindungsoffizier der Reußler zur ominösen Allianz der Pforzheimer Betrüger Marco van H. auf, der sich als Oberleutnant des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr ausgab.
Die „Allianz“, ein internationaler Zusammenschluss von Menschen in Militär, Geheimdiensten, Regierungen um den designierten US-Präsident Donald Trump, die Präsidenten Wladimir Putin in Russland und Jinping Xi in China, den saudischen Herrscher Mohammed bin Salman und – je nach Glauben – einer galaktischen Komponente mit Außerirdischen. Es gibt es keine Beweise dafür, dass diese „Allianz“ existiert. In aufgefundenen Dokumenten „Informationen für die Allianz“ heißt es: „Antrag auf einen abzustellenden Verbindungsoffizier für den Militärstab“ der Gruppe um Reuß.
Ein dauernd anwesender Militär-Gutachter würde den Prozess bereichern
Das heißt, dass der als Oberbefehlshaber der neuen deutschen Armee vorgesehene, unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassenen Straftäter, Oberstleutnant Rüdiger von Pescatore, einen Verbindungsoffizier der Allianz an seiner Seite wissen wollte. Für seinen Stab, nicht von ihm zur Allianz. Gegenseitiger Austausch von Verbindungsoffizieren wie was Unteroffiziere mit Portepee sind, sind den Verteidigern Marco van H.s immer noch ein Rätsel.
Natürlich: Ein immer anwesender Gutachter für militärische Zusammenhänge wäre ein Segen für das Verfahren. Der könnte auch gleich darauf hinweisen, dass die Bezeichnung „I a“ neben der Funktion des „Chefs des Stabes“ auf den beschlagnahmten Präsentationen ebenso wie „IV b“ neben dem Gesundheitswesen und gezeigten Dienstgrade und deren Abzeichen der Wehrmacht des Nationalsozialismus entnommen sind.
Auch die fehlende Kommunikation zwischen den Verteidigern führt zu Diskussionen, Unterbrechungen und damit Verzögerungen. So fehlt Verteidiger Michael Böcker aus Berlin am ersten Tag, als Tim H. befragt wird. Offenbar ohne mit dem seinem Mandanten an diesem Tag vertretenden Kollegen Rücksprache zu halten, rollt er bei der Befragung des Ermittlers am diesem Verhandlungstag bereits ausführlich geführten Diskussionen mit Richtern und Bundesanwälten wieder auf, beantragt Unterbrechung der Verhandlung, um sich mit seinem Mandanten besprechen und einen Befangenheitsantrag gegen Richter vorbereiten zu können. „Ein Theater“ macht Ankläger Klemm aus und mutmaßt, dass „hier für die Galerie aber nicht für das Verfahren gespielt wird. Die strukturierte Aussage des Zeugen wird torpediert“.
Der Angeklagte lobt die Richterinnen und Richter des Senats
Was offensichtlich auch Böckers Mandant Markus H. so sieht. Der meldet sich zu Wort: „Wir sind jetzt schon seit 23 Monaten in Untersuchungshaft unter Bedingungen wie die RAF. Ich habe mich mit meinen Verteidigern beraten, auch was Ablehnungsgesuche anbelangt. Sie haben mir gesagt, dass das Gericht bisher eigentlich fair gearbeitet hat. Das sehe ich auch so. Ich möchte Sie bitten, dass Sie das Verfahren weiterhin so fair führen.“