Der Kampf um die Villa Franck geht weiter

Patrick Siben hat sich vor 20 Jahren mit der Übernahme des Hauses in Murrhardt zu einem Riesenprojekt entschlossen. Die Bedingungen waren nie einfach, doch nun brechen die Einnahmen weg und er muss befürchten, die Kreditraten nicht mehr leisten zu können.

Regenwetter und schlechte Zeiten für den Kapellmeister der Stuttgarter Saloniker: Patrick Siben kämpft seit Jahren um sein Lebenswerk und die Abtragung der Schulden, die er wegen der Sanierung der Villa Franck gemacht hat. Durch Corona hat sich die Lage nun akut weiter verschärft. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Regenwetter und schlechte Zeiten für den Kapellmeister der Stuttgarter Saloniker: Patrick Siben kämpft seit Jahren um sein Lebenswerk und die Abtragung der Schulden, die er wegen der Sanierung der Villa Franck gemacht hat. Durch Corona hat sich die Lage nun akut weiter verschärft. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Am Wochenende standen bei Patrick Siben und seinen Stuttgarter Salonikern ein Kinderkonzert und ein Jazzfrühschoppen auf dem Killesberg in Stuttgart auf dem Programm. Bei den Veranstaltungen zeichnet sich ein Rückgang der Besucherzahlen ab. Letztlich sind die Menschen vor dem Hintergrund steigender Infektionszahlen ja auch aufgerufen, ihre Kontakte zu reduzieren. „Ich kann verstehen, dass die Leute nicht rauswollen, ich bin da keinem bös“, sagt der Kapellmeister der Stuttgarter Saloniker. Allerdings hat Patrick Siben neben der Tatsache, dass er als Musiker seinen Lebensunterhalt bestreitet, mit der Villa Franck noch eine beachtliche finanzielle Belastung zu stemmen. Die Entscheidung für dieses Riesenprojekt reicht mittlerweile rund zwei Jahrzehnte zurück. Siben erinnert sich, wie er die Sommerresidenz des Zichorien-Fabrikanten Robert Franck zu Beginn 2000 von Haus Hohenstein in Erbbaupacht übernommen hat. Das anthroposophisch ausgerichtete Alten- und Pflegeheim wiederum hatte sich damals vor 50 Jahren dort in der Villa Franck gegründet und das Haus auch in diesem Sinne genutzt. „Sie haben einen Nachfolger gesucht“, erzählt Patrick Siben. Da ihm die Ausrichtung von Haus Hohenstein gefiel, entwickelte er die Vision für die Villa als Kulturhaus, das Anwohnern und Interessierten offen stehen sollte.

Im Jahr 2000 vor Übernahme der Villa Franck: Der Jugendstilsalon und...

Im Jahr 2000 vor Übernahme der Villa Franck: Der Jugendstilsalon und...

Die Erbbaupacht sei mit einem unkündbaren Mietvertrag auf 50 Jahre verknüpft gewesen sowie der Verpflichtung, für den Erhalt des Gebäudes zu sorgen, und damit wurde das Projekt zu einem großen. Denn der Sanierungsbedarf der Villa Franck war beachtlich. „Der Umfang der Kosten wurde damals auf rund zwei Millionen Euro geschätzt“, erinnert sich Siben. Doch er sollte von öffentlicher Hand Unterstützung bekommen. In einem Maßnahmenpapier wurden sowohl notwendige Schritte wie Standfestigkeit des Gebäudes oder Fenster- und Heizungssanierung als auch Wünschenswertes wie Instandsetzung der Freitreppe oder Wandmalereien festgeschrieben. Vor dem Hintergrund dieser Konzeption erhielt Patrick Siben Zuschusszusagen vom Land Baden-Württemberg, der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz und der Denkmalstiftung Baden-Württemberg, erzählt er. „Somit waren 80 Prozent fremdfinanziert, für mich blieben 400000 Euro. Das über 20 Jahre abzubezahlen, habe ich mir zugetraut.“ Nicht rechnen können habe er mit dem Haushaltsstrukturgesetz, dessen Entwurf unter Ministerpräsident Günther Oettinger für 2007 eingebracht wurde. Das Ziel des Landes Baden-Württemberg, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, bedeutete großflächige Kürzungen, die auch das Sanierungsprojekt Villa Franck betrafen. „Ein zugesagter Zuschuss wurde ohne mein Verschulden um 400000 Euro verringert.“ Somit hätten sich die 400000 Euro Schulden in Summe verdoppelt. Konkret bedeutet das für Patrick Siben, dass er wegen der Sanierungen jeden Monat eine Rate von 8000 Euro stemmen muss.

...die Freitreppe in schlechtem Zustand, es war viel zu tun. Fotos: privat

...die Freitreppe in schlechtem Zustand, es war viel zu tun. Fotos: privat

Die Bedingungen dafür sind nicht einfacher geworden. Der Kapellmeister der Saloniker nennt weitere Erschwernisse, die hinzukamen. Mit der Schließung des Stuttgarter Fernsehturms aufgrund der Situation um den Brandschutz ab 2013 war für die Musiker einer ihrer wichtigsten Auftrittsorte für fast drei Jahre unzugänglich geworden. „Dort haben wir unsere Vollmondkonzerte bestritten und mussten mit erheblichen Umsatzeinbußen zurechtkommen.“ Der Brandschutz und die mit ihm verbundenen Bauvorschriften wirkten sich auch an anderer Stelle aus, da die Veranstalter die gestiegenen Kosten für Umrüstung auf die Mieten umlegten.

Seit Längerem spielt auch ein Angebot des Stammsitzes der Saloniker finanziell so gut wie keine Rolle mehr – Hochzeiten und Familienfeiern in der Villa Franck. Das hängt für Patrick Siben zum einen an der Art, heutzutage Hochzeit zu feiern, nämlich mit DJ und lauter Musik, was wegen der Nachbarn nicht möglich ist, zum anderen an der Beschränkung der Stadt, nur noch eine Trauung im Monat für andere Veranstalter anzubieten. Ein weiterer Punkt: die Zahlungsunfähigkeit des Hauses Hohenstein 2014, die ihn später dazu bewogen hat, das Grundstück aus der Insolvenzmasse zu erwerben. Das bedeutete, dass er vom Besitzer zum Eigentümer der Villa wurde und auch dies zu finanzieren hatte.

Der Druck war die ganze Zeit hoch, jetzt verstärkt er sich nochmals.

Mit diesem Druck lebt Patrick Siben nun schon lange Zeit, vor sieben Jahren hat er seine Situation auch einmal vor Hunderttausenden Zuschauern in der SWR-Talksendung Nachtcafé öffentlich gemacht. Und nun kommt seit dem Frühjahr die schwierige Lage mit Corona hinzu, was heißt, dass sich die Situation weiter verschärft, der Kampf um die Villa weitergeht. Bisher hat Siben mit seinen Salonikern rund 300 Konzerte im Jahr bestritten – 100 Auftritte in der Villa Franck, 100 weitere in Stuttgart (die Hälfte davon auf dem Fernsehturm) und 100 Konzerte in verschiedenen Städten in ganz Baden-Württemberg. In diesem Jahr waren es aber weniger als ein Drittel und diese waren nur halb so gut besucht wie sonst, so Patrick Siben. Es ist nicht schwer zu erraten, was das für die Tilgung der Kreditforderungen bedeutet. Für den September habe er die Raten bezahlen können, im Oktober funktioniere es vermutlich gerade noch. „Aber ich habe das Gefühl, dass die Leute im November nicht mehr ins Konzert kommen.“

In der Zeit vor Corona habe er die Raten gerade so geschafft, manchmal habe es aber auch nicht geklappt. Und wenn die Familien beschließen, im Dezember, in dem musikalische Adventsangebote auf dem Programm stehen, zu Hause zu bleiben, könnte es eng werden. Kann Siben die Novemberrate nicht zahlen, erwartet er eine Mahnung, und verändert sich die Situation nicht, so müsse er damit rechnen, dass dann im Januar für Anfang Februar ein Termin für die Zwangsversteigerung der Villa Franck festgesetzt wird. Er habe Verständnis für den Rückzug der Menschen, aber angesichts der noch abzutragenden rund 120000 Euro sei er traurig, dass auf den letzten Metern möglicherweise Schluss sein solle. Nach seiner Einschätzung sind es noch anderthalb bis zwei Jahre, bis er insgesamt schuldenfrei ist und dann erneut in die Villa Franck investieren könnte. Da der Sommer mit den Open-Air-Konzerten gut gelaufen sei, hofft er, die Situation irgendwie durchzustehen, weil dann in Richtung Frühjahr mit Konzerten finanziell wieder Entlastung winke.

Selbst eine private Insolvenz anzumelden, sei für ihn keine Option, vor allem weil er sich gegenüber seinen Musikerkollegen – den Salonikern – verpflichtet fühlt. Worauf setzt er also? Für Siben gibt es drei Möglichkeiten: Unterstützung durch den Erwerb von Konzertkarten, dessen Kosten die Käufer nicht zurückfordern, auch wenn sie den Auftritt nicht wahrnehmen, sowie durch Spenden, die ordentlich verbucht würden. Punkt drei sind private Darlehen, mit denen er die einnahmenschwache Zeit zu überbrücken hofft.

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Erstellt:
28. Oktober 2020, 06:00 Uhr

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