Der Leistungstracker bleibt hier aus

Erlebniswege in der Region: Auf dem Weiterweg in Gschwend ist nicht nur Entschleunigung vom Alltag angesagt, sondern auch Besinnung und innere Einkehr möglich. Dazu sind die Stationen der Rundwanderstrecke mit Kunstinstallationen bestückt.

Bei dem Weiterweg handelt es sich um ein Land-Art-Projekt, das im Jahr 2007 von der Graf von Pückler und Limpurg’schen Wohltätigkeitsstiftung im eigenen Wald realisiert wurde .Fotos: H. Gehrke

Bei dem Weiterweg handelt es sich um ein Land-Art-Projekt, das im Jahr 2007 von der Graf von Pückler und Limpurg’schen Wohltätigkeitsstiftung im eigenen Wald realisiert wurde .Fotos: H. Gehrke

Von Heidrun Gehrke

GSCHWEND. Zwischen Gschwend und Sulzbach-Laufen ist mitten im Wald ein großer Meditations- und Andachtsraum unter freiem Himmel entstanden: Auf dem sogenannten Weiterweg taucht man ein in die Stille einer zerklüfteten, bewaldeten Landschaft, tankt neue Energie im frischen Grün des Mischwalds, genießt ein wechselndes Landschaftsbild und entdeckt an zehn Besinnungsstationen vielleicht ja einen neu markierten Lebensweg, der einen weiterführt.

Am besten ist es, wenn man sich für das Gehen Zeit nimmt, anstatt nur durchzuhecheln, um der Selbstoptimierung folgend sein tägliches Soll an Bewegung zu erfüllen. Denn oft tragen wir die Schnelllebigkeit und Hektik des Alltags nach Feierabend noch mit in den Wald. Der „Weiterweg“ ist geeignet, den Leistungstracker auszuknipsen, den heute viele am Arm tragen, die Schritte also nicht mit der App zu zählen, sondern zu spüren.

Wenn es im „Tal der Stille“ ganz ruhig ist, geht Andrea aus Frickenhofen mit ihrer Mischlingshündin Piri am liebsten auf dem Weiterweg. „Hier gehe ich ganz bewusst, um mal Tempo rauszukriegen“, sagt sie. „Man kann verschiedene Streckenlängen wählen, je nach Verfassung.“ Während der Woche, am frühen Abend, erhält das Waldstück kaum Besuch. Es ist ein ruhiger Flecken inmitten des vielerorts touristisch erschlossenen Schwäbischen Walds. Ganz in der Nähe plätschern ein paar Bächlein. Die Straße ist anfangs noch zu hören, mit jedem Schritt dominieren die Geräusche des Walds.

Der Weiterweg ist angelegt als Kunstpfad und Besinnungsstrecke.

Doch auch dieser Weg hat die Ruhe nicht für sich gepachtet: Seit Corona haben die Outdoor-Aktivitäten überall erheblich zugenommen. Von „Overtourismus“ ist bereits die Rede. Auch der Weiterweg bekommt von diesem Boom etwas zu spüren. „An den Wochenenden sieht es hier ganz anders aus“, sagt die Einheimische. Für Besucher stehen zwei Parkplätze zur Verfügung. Wer unten, direkt am Einstieg zum Weg, keinen freien Platz findet, kann den Rundgang im Gschwender Ortsteil Rotenhar, am Ortsende Richtung Frickenhofen, starten. Die Gesamtstrecke verlängert sich um einen halben Kilometer auf leicht abschüssigem Weg über den weichen Waldboden und einen Holzschnitzelpfad. Das angenehme Gehen setzt sich auf der fünf Kilometer langen Wegstrecke fort: Breite Kieswege, Waldwege und schmale Fußpfade wechseln sich ab. Ebenso wechselvoll ist die Kulisse. Der Weiterweg ist kein gewöhnlicher Wanderweg: Es handelt sich um ein Land-Art-Projekt, konzipiert als Kunstpfad und Besinnungsstrecke, im Jahr 2007 von der Graf von Pückler und Limpurg’schen Wohltätigkeitsstiftung im eigenen Wald realisiert. Einbezogen waren Revierförster, Forstwirtschaftsmeister, Waldarbeiter und ein Fachmann für Garten- und Landschaftsbau. Sie haben zehn Stationen geschaffen, die einladen zum Nachdenken und Nachspüren. Jede Station besteht aus einem Kunstwerk, geschaffen vom Tübinger Künstler Martin Burchard, sowie aus zwei Texttafeln mit Lebensweisheiten und christlichen Inhalten. Die inhaltliche Ausrichtung des Wegs hält sich an den Zweck der Stiftung, die sich der Unterstützung der evangelisch-kirchlichen Arbeit in Baden-Württemberg widmet.

In einer Infobroschüre der Stiftung ist zu erfahren, dass Graf Gottfried von Pückler und Limpurg und seiner Ehefrau Adele die christliche Mission ein sehr wichtiges Anliegen war – „Mission“ im Sinne von Jesu Christi verstanden, „von seiner Art, mit anderen Menschen umzugehen. Entgegenkommend, einladend, helfend und dann oft mit befreiender, heilender Wirkung.“

Der Eigenname „Weiterweg“ hat nach Auskunft der Stiftung drei Gründe: Unser Leben soll ein „weiter Weg“ und kein „enger Weg“ sein. Denn Enge ist beklemmend, Weite und Offenheit tun uns gut. Dieser Impuls, Begrenzungen zu überwinden oder zumindest zu überdenken, begegnet dem Pilger an der Station „Weiter Weg, enger Weg“. Die Konstruktion aus Holzstäben symbolisiert enge und weite Gedanken. Überhaupt umgibt einen an den Stationen viel Symbolhaftes: Die Zehn Gebote, dargestellt mit Stelen und einer Skulptur aus Straßenleitplanken ist betitelt als „Leitplanken des Lebens“, die uns auffangen, wenn wir im Leben mal aus der Spur geworfen werden. Der „Ring der Trauer“, ein Mini-Holzlabyrinth, setzt die Osterbotschaft in Szene. Mit schwarzer Folie und spannendem Lichteinfall sind Tod und Verlust, aber auch Leben und Licht präsent. Ganz in der Nähe plätschert der Osterbach. Gegenüber bekundet die „Himmelsleiter“ lebensfroh und bunt: „Fühle dich (gedanklich) wie neu geboren.“

Die Stationen offenbaren eindeutig eine christliche Sicht, wollen diese aber laut Geschäftsleitung niemandem aufdrängen. Die Kombination von Natur, Kunstwerk und den eigenständigen Texten lasse Raum für eigene Interpretationen und Sichtweisen. Vielmehr soll der Weiterweg eine Hilfe für den „weiter-en“ Lebensweg sein. Für weit angereiste Besucher steckt ein Wortspiel drin, denn für sie ist der Waldpfad eben schon etwas „weiter weg“. Weit weg vom Alltag ist hier aber jeder – ob aus Stuttgart oder ganz aus der Nähe hergepilgert.

Man kann staunen über mancherlei Wurzelformation am Wegrand, erlebt bei entsprechendem Sonnenstand schillernde Lichtreflexe im dichten Nadelwäldchen, stößt auf manchen neuen „Durchblick“: Durch bunte Scheiben in den Wald zu schauen ist nicht so prickelnd wie die Perspektive durch die unverglaste Panoramascheibe – wie die Station „Durchblick II“ zeigt: Die Natur pur, nicht durch die „rosarote“, gelbe oder blaue Brille betrachtet, erlaubt uns die schönste, die ursprünglichste Wahrnehmung. So wäre auch dieses schöne Waldstück ganz ohne die Ausstattung mit Skulpturen und Tafeln ein erholsamer, ein kraftgebender Ort, zur Stressreduktion absolut empfehlenswert.

Martin Buchard aus Tübingen schuf die christlich basierten Kunstwerke der einzelnen Stationen.

Martin Buchard aus Tübingen schuf die christlich basierten Kunstwerke der einzelnen Stationen.

Bizarre Wurzelwerke säumen den Weg.

Bizarre Wurzelwerke säumen den Weg.

Der Weiterweg in Gschwend

Der Weiterweg ist ein Rundwanderweg
mit drei verschiedenen Varianten für Fußgänger (Rundweg A), Familien mit Kinderwagen (B) sowie Menschen mit Einschränkungen (C).

Highlight sind die zehn Stationen zu Themen wie Stille, Gemeinschaft, Trauer, Leid, Hoffnung und verbindliche Werte.

Startpunkt ist der obere Parkplatz am Ortsausgang von Hohenmar (Richtung Frickenhofen) oder der untere Parkplatz an der Landstraße.

Schwierigkeitsgrad: leicht. Länge: rund
fünf Kilometer. Die reine Gehzeit beträgt rund 1,5 Stunden. Mit Besichtigung
der zehn Stationen sollten 2,5 bis drei
Stunden eingeplant werden.

Sitzmöglichkeiten: zahlreiche Bänke entlang des Wegs. Geeigneter Rastplatz für mitgebrachtes Vesper: der „Große Tisch des Friedens“, an dem 56 Personen Platz haben.

Infrastruktur: Keine Toiletten, keine Grillstelle, keine Mülleimer. Die Besucher werden gebeten, ihren Müll mitzunehmen.

Einkehrmöglichkeiten finden sich in Gschwend und Umgebung.

Zur Beachtung: Das Waldgebiet am Weiterweg ist ein Privatwald, der bewirtschaftet wird. Das Betreten der Stationen erfolgt
auf eigene Gefahr. Das Besteigen der
Kunstinstallationen ist nicht gestattet.

Weitere Infos findet man online unter www.weiterweg.info.

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Erstellt:
12. Juli 2021, 06:00 Uhr

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