Der richtige Mann für alle Aufgaben

Pfarrer Tilman Wilborn geht nach 14-jährigem Wirken in Backnang in den Ruhestand – Vor allem in den Stadtgemeinden unterwegs

Von Fellbach-Oeffingen kam Tilman Wilborn im Jahr 2004 nach Backnang. Nicht in eine bestimmte Gemeinde, sondern zur Dienstaushilfe beim Dekan. Seine Hauptaufgabe bestand darin, dort einzuspringen, wo sich personelle Lücken auftaten. Auf diesem Wege hat er viele Gemeinden kennengelernt.

Nach Stationen in Bad Cannstatt, England, Oeffingen und zuletzt Backnang geht Pfarrer Tilman Wilborn in den Ruhestand. Foto: A. Becher

Nach Stationen in Bad Cannstatt, England, Oeffingen und zuletzt Backnang geht Pfarrer Tilman Wilborn in den Ruhestand. Foto: A. Becher

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Die erste Bekanntschaft mit Backnang war trauriger Art. Tilman Wilborn hatte in seiner Gemeinde in Fellbach-Oeffingen eine Chorleiterin aus Backnang gehabt. Diese war nun verstorben und aus alter Verbundenheit mit der Musikerin nahm er an deren Beerdigung auf dem Backnanger Stadtfriedhof teil. So nahm er die Murr-Metropole zum ersten Mal wahr. Nichts ahnend, dass sie Jahre später seine Wirkungsstätte werden sollte.

Weil es Differenzen gab in Oeffingen, schwere Differenzen, riet man dem Pfarrer zu einem Stellenwechsel. Backnang wurde empfohlen. Zur Dienstaushilfe, wie es im kirchlichen Jargon heißt, sollte er in die Stadt kommen. Und so geschah es denn. Das heißt: Für die fünfköpfige Pfarrfamilie war es unmöglich, eine geeignete Wohnung zu finden. So blieb nur, alles Ersparte zusammenzulegen und ein Haus zu erwerben. Gleich um die Ecke vom Gemeindehaus Heininger Weg.

Wilborn hatte eine Pfarrstelle ungewöhnlichen Zuschnitts inne. Als er im September 2004 seinen Dienst antrat, war er Mädchen – Pardon – Mann für alles. Er sollte anfangs die gemeindeübergreifende Arbeit zwischen der Markus- und der Matthäusgemeinde fördern. Dann übernahm er die Konfirmandenarbeit in der Stiftskirchengemeinde, die Besuche und Gottesdienste im „Haus am Berg“. Als die frühere Markus-Pfarrerin Birgit Sendler-Koschel in das Schuldekanat wechselte, unterstützte er deren Ehemann Günter Koschel bei der Gemeindearbeit. Als Beistand in Waldrems/Maubach/Heiningen gefragt war, tat er dies. Die Backnanger Gemeinden hat Wilborn auf diese Art intensiv kennengelernt.

Aber auch darüber hinaus war er unterwegs. Von Kirchenkirnberg bis Backnang hat er mit den Gemeinden Gottesdienste gefeiert. Wenn er Vakaturen zu vertreten hatte, gehörte er auch dem Leitungsgremium, dem Kirchengemeinderat, an. „Jede Gemeinde,“ so sagt er, „hat etwas Besonderes, jede hat ihre Stärke. Die eine die, die andere jene.“ Kommt irgendetwas überall vor? „Ja, das Zeitmanagement ist besonders in den Kirchengemeinderatssitzungen besser geworden.“ Und man zeige viel Disziplin, die Tagesordnungspunkte in einer vertretbaren Zeit zu Ende zu bringen. Aber auch dies: Mühevoller sei es geworden, Leute anzusprechen. Die Terminplanung sei anspruchsvoller geworden. Denn alle seien heute viel beschäftigt. Und dann wieder: Um eine Gemeinde gut zu leiten, müsse der Kirchengemeinderat gut zusammenarbeiten. Hier würden im Dekanat Backnang nicht wenig Bemühungen unternommen, um als Team zusammenzuwachsen. An einen Ausflug in die Laufenmühle erinnert er sich. Alle hätten sich durch den Barfußpfad gewagt, Junge wie Ältere. Gemeinsam Erlebtes hat zusammengeschweißt.

Ein Erinnerungskoffer hilft, Gespräche in Gang zu bringen

Kostete es nicht viel Vorbereitung, immer wieder für eine andere Gemeinde Programme auszudenken? Nein, Wilborn hat sich erlaubt, Andacht, Vorträge, Bibelauslegungen, die er in der einen Gemeinde verwendet hatte, auch in anderen Gemeinden anzubringen. Viele Seniorennachmittage hat er gehalten. Um das Gespräch in Gang zu bringen, hat er sich einen Erinnerungskoffer selbst zusammengestellt. Alte Haushaltsgegenstände, Unikate der 50er-Jahre hat er gesammelt und dann vor den Senioren ausgebreitet. So sprudelten die Gespräche. Das war Tilman Wilborn wichtig: die Leute mit einzubeziehen. Und nicht bloß stumme Zuhörer zu haben.

Aus dem Wanderleben von Gemeinde zu Gemeinde im Dekanat ist für Wilborn der berufliche Lebensabschnitt geworden, der am längsten währte. Sieben Jahre war er zuvor in Oeffingen. Davor sechs Jahre in deutschen Gemeinden in Mittelengland. Und dem ging wiederum eine vierjährige Dienstzeit in Bad Cannstatt voraus. In und um Stuttgart, seiner Geburtsstadt, hat sich sein Berufsleben abgespielt. Weil sich die Landeskirche, was seine Anstellung in Württemberg anging, bei seiner Rückkehr aus England etwas spröde gab, fühlte sich Wilborn motiviert, in der Pfarrervertretung mitzuarbeiten. Die Pfarrervertretung ist, wenn man so will, eine Art Gewerkschaft für die Pfarrer. Bei vielen Sitzungen in Stuttgart war der Geistliche dabei. Kollegen hat er in schwierigen Situationen beraten und begleitet. Andere nach Burn-out bei der Wiedereingliederung unterstützt. Bei diesem Einsatz für Kollegen kam Wilborn zugute, dass er schon immer gern im Team gearbeitet hat. Auf den unterschiedlichsten Feldern kirchlicher Arbeit hat er das praktiziert.

Pfarrer Wilborn wird in Backnang wohnen bleiben. Das heißt: Genau genommen ist er ab September erst mal weg. In Zypern beziehungsweise dem griechischen Teil der Insel wird er kleine deutschsprachige Gemeinden betreuen. Eine Wohnung und ein Dienstfahrzeug werden gestellt, dazu gibt’s ein Taschengeld. Die Anstellung läuft über die evangelische Kirche in Deutschland. Und da freuen sich die Verantwortlichen, wenn sich rüstige Pensionäre für solche Sonderaufgaben melden.

Mitnehmen kann Tilman Wilborn allerdings nur, was in zwei Koffer passt. Und damit muss er in fremder Umgebung dann auskommen. Erinnerungen an früher werden durch das neue Vorhaben bei ihm virulent. Als Theologiestudent, zu DDR-Zeiten, hatte er mit anderen Kontakt zur jungen Gemeinde Magdeburg. Und weil eine Besuchsreise in den Osten Deutschlands damals kompliziert war, traf man sich in anderen Ländern. Zum Beispiel in Ungarn. Intensive Wochen seien das gewesen des Austausches und der gemeinsamen Unternehmungen. Und der Abschied sei nach den gemeinsamen Tagen schwergefallen. „Dass die innerdeutsche Grenze jetzt weg ist“, sagt Tilman Wilborn, und der Weg nach Magdeburg nicht mehr über Ungarn genommen werden muss, „ist irre“.

Weil der Theologe in den letzten Jahren
vor allem in der Gemeinde Waldrems/ Maubach/ Heiningen geholfen hat, wird
dort auch seine Verabschiedung stattfinden. Diese findet am Sonntag, 22. Juli, statt. Der Gottesdienst beginnt um 17 Uhr in der Auferstehungskirche Waldrems.

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Erstellt:
17. Juli 2018, 06:00 Uhr

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