Der Ruhestörer

Gesundheitsminister Spahn eckt mit seinem Politikstil immer wieder an – was treibt ihn?

Debatte - Jens Spahn agiert als Bundesgesundheitsminister so verhaltensauffällig, dass es allen anderen im politischen Berlin schon fast schwindelig wird. Sein Gehabe könnte Teil einer Taktik sein.

Berlin Konflikte vermeiden, Ärger eindämmen, den Frieden wahren. Dass Ruhe die erste Ministerpflicht ist, bekommen Bundesgesundheitsminister schon mit Aushändigung der Berufungsurkunde wieder und wieder mit auf den Weg gegeben. Zu groß ist die Gefahr, im Haifischbecken des Gesundheitswesens zum Futter zu werden. Zu hoch das Risiko, dass die Regierung in Bedrängnis kommt, wenn auf dem Minenfeld von Ärzte-Interessen und Patientenbedürfnissen eine Sprengfalle hochgeht. Zu heikel auch die Themen. Immer geht es um Fragen, die den Bürgern noch näher gehen als Steuertarife oder Abgasnormen.

„Mit Gesundheitspolitik gewinnst du keine Wahlen, aber du kannst sie damit verlieren.“ CSU-Chef Horst Seehofer wird dieser Satz zugeschrieben. Auch er ist einer, der sich in dem Ministerium aufgerieben hat. Daniel Bahr (FDP), Philipp Rösler (FDP), Hermann Gröhe (CDU) – spätestens mit diesen drei Amtsinhabern hatte sich ein eher vorsichtiger Regierungsstil etabliert, der das Seehofer-Diktum sehr ernst nahm.

Vorbei, verweht, nie wieder. Mit der Ruhe ist es vorerst aus. Nun steht mit Jens Spahn ein Mann an der Spitze des Hauses, der sich in seinem ersten Amtsjahr als notorischer Unruhestifter gezeigt hat. Kein Tag mehr ohne den täglichen Spahn. Fettabsaugung und Organspenden, dann Pränatal-Diagnostik, Kassenbeiträge und Psychotherapeuten-Ausbildung: Der CDU-Politiker betreibt Gesundheitspolitik im Stakkato. Neue Themen im Wochentakt. Anhörungen, Debatten, Proteste. Und Schlagzeilen, Schlagzeilen, Schlagzeilen. Schwindelig kann es einem werden. Am Wegesrand die Fachpolitiker in Hechelatmung. Es ist eine einzige grandiose Ruhestörung.

Wie lange geht so etwas gut? Jeder zirkuserfahrene Jongleur weiß, dass niemand unbegrenzt viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten kann. Irgendwann fällt einer runter und die ganze Nummer ist im Eimer. Spahn kämpft derzeit an so vielen Fronten, dass sich viele fragen, ob seine Methode nun an eine Grenze stößt. Christopher Hermann, der Chef der Südwest-AOK, kritisiert, dass „Jens Spahn einen Politikstil pflegt, der viele vor den Kopf stößt“. Er gehe „mit einem Tempo und an den unterschiedlichsten Ecken des Gesundheitswesens parallel voran, dass kaum eine Chance auf nachhaltige und durchdachte Ergebnisse besteht“.

Wie zur Bestätigung eröffnet Spahn an diesem Donnerstag eine vermutlich heftige Debatte über die zukünftige Finanzierung der Altenpflege. In windstilleren Zeiten würde das Thema für wochenlange Polemiken sorgen, denn beiläufig rüttelt der 39-jährige Minister an einer Systemfrage der Gesundheitsfinanzierung. Man werde wohl auch über eine Steuerfinanzierung der bisher beitragsfinanzierten Pflege reden müssen. Tatsächlich aber ist der provokante Vorstoß nur einer unter vielen.

In seinem Bemühen, drei Millionen Frauen zu helfen, die an einem Lipödem, also an einer krankhaften Fettverteilungsstörung leiden, will Spahn die Fettabsaugung zur Kassenleistung machen. Gleichzeitig aber will er sich mit der Vollmacht ausstatten, grundsätzlich Behandlungsmethoden in das System der gesetzlichen Krankenkassen zu heben – selbst dann, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), das höchste Selbstverwaltungsorgan im Gesundheitswesen, ausdrücklich dagegen ist. Das wäre eine Revolution. Das böse Wort vom Ermächtigungsgesetz geht um.

GBA-Chef Josef Hecken sagt: Spahn öffnet dem Populismus Tür und Tor, wenn er ohne Rücksicht auf wissenschaftlich erfolgte Wirksamkeitsnachweise in den Leistungskatalog eingreifen könne.

Gleichzeitig rumort es in der Apothekerschaft, weil Spahn den Versandhandel aus dem Ausland nicht unterbindet. Gleichzeitig laufen die Verbände der Psychotherapeuten Sturm, weil Spahn Wege finden will, den Zugang zu den Therapeuten zu steuern, um angesichts langer Wartezeiten diejenigen zum Zuge kommen zu lassen, die am dringendsten einer Therapie bedürfen. Und genauso gleichzeitig macht sich bei den Krankenkassen Unruhe breit, weil er über Wege nachdenkt, noch mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen anzufachen.

Am Ende, auch das gehört zur Methode Spahn, wird sich der Minister nie ganz durchsetzen. Aber immer ein bisschen. Das Ermächtigungsgesetz wird er zurückziehen, die Revolution wird ausbleiben, aber es wird ein Weg gefunden werden, den betroffenen Frauen die Fettabsaugung zu ermöglichen. Apotheker werden mit dem Versandhandel für Medikamente dauerhaft leben müssen, aber ihre Kompensation wird reich sein.

Es ist ein Drahtseilakt, und zu viel Sturm birgt akute Sturzgefahr. Warnungen gibt es genug. Unter den Gesundheitspolitikern der Union gibt es durchaus viel Grundsympathie für den hyperaktiven Minister. Sie sei „glücklich, dass er Dinge anpackt“, sagt Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion. „Aber es mangelt ihm an einem Frühwarnsystem“, meint die Stuttgarter Abgeordnete.

Auch der Nürtinger CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich lobt Spahn als Anpacker. Aber er arbeite eben auch unkonventionell und unorthodox. Und mit einer „zu hohen Drehzahl“. Das Zusammenspiel von Politik und Parlament habe bei Spahn noch Potenzial, noch besser zu werden. Das ist eine sehr höfliche Umschreibung dafür, dass die Fachpolitiker oft verärgert darüber sind, wenn sie mal wieder von einem Ad-hoc-Vorstoß des ministeriellen Schnellschützen überrumpelt wurden.

Zum Bild gehört aber auch, dass Spahn darauf achtet, die Parlamentarier nicht zu sehr zu provozieren. So lobt die SPD, dass Spahn „die vereinbarten Vorgaben des Koalitionsvertrags korrekt umsetzt“, wie der Vize-Fraktionschef der SPD, Karl Lauterbach bestätigt. Aber dieser Minister agiert so außergewöhnlich und verhaltensauffällig, dass längst eine Zunft der Spahn-Deuter entstanden ist, die nur eine Frage umtreibt: Warum? Warum bricht hier jemand mit allen etablierten Rollenbildern eines Gesundheitsministers? Was treibt ihn?

In den Reihen der SPD sagt man: Spahn sei so ehrgeizig, dass jeder neue Vorschlag das Profil des Machers schärfen soll, ein Profil, dass sich irgendwann als kanzlertauglich erweisen soll. Nur zu gut passt in dieses Bild, dass sich der Minister gerade mit dem Sozialwissenschaftlers Timo Lochowski einen Experten des rechten Populismus ins Haus geholt hat. Das mag tatsächlich dokumentieren, dass Spahn sich nicht auf die Gesundheitspolitik verengen lassen will. Warum auch? Im Rennen um den CDU-Vorsitz hatte Spahn nach der überraschenden Kandidatur von Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz zwar nur noch eine Außenseiterrolle inne. Aber nach einer guten Rede und nach dem eingeleiteten Totalrückzug von Merz ist Spahn nun wieder Hoffnungsträger der konservativeren Unionskreise.

Es gibt aber auch andere Deutungen. Spahn habe begriffen, dass die Koalition vielleicht nicht mehr lange halte. Wenn er noch etwas erreichen wolle, gehe ihm also die Zeit aus. Aus seinem Umfeld kommt die Einschätzung, Spahn sei bei seiner Rückkehr in die Gesundheitspolitik – er war früher gesundheitspolitischer Sprecher – entsetzt darüber gewesen, wie viele Dauer-Baustellen noch immer nicht abgeschlossen worden seien.

Vielleicht aber ist alles auch viel einfacher. Vielleicht muss man sich Spahn einfach als glücklichen Menschen vorstellen, wenn er sich in das intellektuelle Gefecht begibt. „Bei mir fängt die Kiste da oben immer erst richtig zu arbeiten an, wenn es Gegenmeinungen gibt“, hat er einmal gesagt. Insofern passiert da oben gerade eine ganze Menge. Es kann gut sein, dass das Zitat den Kern trifft. Denn in Kreisen der Gesundheitspolitiker wird durchweg ein Charakterzug hervorgehoben, den Michael Hennrich so beschreibt: „Spahn ist kein Übelnehmer. Er nimmt Kritik an und ist nicht stur.“

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Erstellt:
21. Januar 2019, 16:11 Uhr

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