Der Schausteller Karl Braun erzählt vom Leben auf dem Festplatz

Karl Braun ist schon sein ganzes Leben als Schausteller unterwegs, in Backnang ist das von den Eltern übernommene Spielgeschäft seit dem dritten Straßenfest dabei. In all den Jahren haben er und seine Frau Katrin eine Menge erlebt.

Für die kommenden Tage haben Karin und Karl Braun ihren Platz beim Ringewerfen eingenommen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Für die kommenden Tage haben Karin und Karl Braun ihren Platz beim Ringewerfen eingenommen. Foto: Alexander Becher

Von Heidrun Gehrke

Backnang. Bis gestern Nachmittag wurde gewerkelt, bis alles aufgebaut war. Jetzt ist die Bleichwiese prall gefüllt mit Fahrgeschäften und Buden, der Rummel kann starten. Viele Schausteller kommen immer wieder gerne zum Straßenfest, einige seit vielen Jahren. Einer von ihnen ist Karl Braun, der schon sein ganzes Leben lang so unterwegs ist. Während die Besucher sich amüsieren, sind die vier Tage für Schausteller wie ihn harte Arbeit.

Warum tut er es trotzdem, und immer noch mit derselben Begeisterung wie immer? „Für mich gab’s nie was anderes, ich bin reingeboren worden“, sagt Karl Braun. „Wenn man als Schausteller aufwächst, dann bleibt man’s.“ Er ist ein Jahr vor dem Abitur aus der Schule gegangen, als sein Vater gestorben ist. Seine Entscheidung war schnell gefallen. „Weil das Geschäft da war und ich es aufbauen und weiterentwickeln konnte, um gut davon zu leben“, blickt er zurück.

Seine Eltern haben in den 1950er-Jahren ein kleines Riesenrad gebaut und sind damit durch die Lande gezogen. Nach dem Verkauf 1965 wurde die Ringwurfhalle zum Hauptgeschäft. Karl Braun erinnert sich an seine ersten „Einsätze“ als „Testfahrer“: „Ich bin mit dem Riesenrad gefahren und hab unten drunter gespielt.“ Auch existiere ein Foto von ihm als kleiner Kerle, der einen riesigen Schraubenschlüssel in Händen hält. „Das war als Kind toll, dass ich immer beim Aufbau mithelfen durfte.“

Lange und harte Arbeitstage,dafür ein Gefühl von Freiheit

Inzwischen ist das Auf- und Abbauen nicht mehr wegzudenken aus seinem Leben, wie auch das Reisen von Ort zu Ort, das Leben aus dem Koffer. Wie steckt er es weg? „Es ist ein gewisses Freiheitsgefühl. Man ist selbstständig und kann über die Art und Weise, wie man lebt, frei entscheiden.“ Jedes Mal sei es anstrengend, bis man alles in die Wege geleitet hat, alles steht und läuft. „Aber wenn man es geschafft hat, freut man sich einfach.“

Er ist 69, seine Frau Karin, die ihn seit 1983 unterstützt, ist an Multipler Sklerose erkrankt. Gedanken an einen Ausstieg beschäftigen sie beide. „Unterm Strich ist es stressig. Sehr lange Arbeitszeiten von morgens bis nachts, wenig Schlaf. Essen ist nicht so optimal, immer nur zwischendurch, alles ist der Gesundheit nicht zuträglich.“ Er habe keine Kinder. Sein Onkel väterlicherseits habe zwei Töchter, die aber andere Pläne hätten. Es könnte das Ende der langen Familientradition bedeuten – da ist Karl Braun ganz realistisch.

„Es war alles ganz simpel damals“

Das Spielgeschäft hat er 1976 übernommen, seitdem bereist er zahlreiche Plätze im süddeutschen Raum, die seine Eltern ihm vermacht haben. Anfangs war immer noch seine Mutter Elsa Braun die Betreiberin, auch seine Schwester Ute war mit an Bord. Die Ringwurfhalle macht in diesem Jahr zum 49. Mal Station in Backnang, wo er als 18-jähriger, frisch gebackener eigenständiger Schausteller erstmals die Zelte aufgeschlagen hat. „In der Grabenstraße befand sich der Platz, hinter uns ein Abbruchhaus, keine Lichtorgien, nur ein paar Glühlampen, es war alles ganz simpel damals, nicht hochgestochen.“

Mit seinem Ringewurfspiel will er Menschen das Glücksgefühl vermitteln, etwas zu gewinnen. Sein eigenes Glücksgefühl stelle sich ein, wenn die Menschen ihr Ziel erreicht haben und sich freuen. „Wie sie dastehen und spielen und gierig nach dem Erfolgserlebnis sind, das tut mir gut.“

Jeder kann hier sein Glück versuchen und mit etwas Geschicklichkeit und Wurfglück einen der Preise gewinnen, die teils wie aus einer anderen Epoche wirken: Niedliche Plüschtiere, Blumenvasen, Armbanduhren. Dazwischen auch moderne Unterhaltungselektronik von der Gamingmouse bis zum Microhandy. Kann man damit die Leute locken? „Es funktioniert immer noch, der Spieltrieb ist einfach da“, sagt er. Viele Stammkunden kämen bis heute. „Sie sagen zu mir, dass sie als Kind schon hier gespielt haben, und jetzt spielen die eigenen Kinder und Enkel.“

Karin Braun teilt mit ihm die Freuden und die Mühen des Schaustellerlebens

Kinder und Jugendliche seien die Hauptzielgruppe, ihre Moden wechseln schnell, er tausche darum seine Preise regelmäßig aus und aktualisiere sie. „Ich muss up to date sein, das macht uns aus.“ Aktuell seien die kleinen Gäste ganz heiß auf angesagte Motive bei den Plüschtieren. „Ninja Turtles, Supermario, Pikachu und Baby Yoda sind der Renner und alles, was an goldigen Viechern im Fernsehen und bei Streamingdiensten begehrt ist.“ Bei den Größeren sind Handschellen mit Plüsch der absolute Renner. Auch E-Zigaretten und Gasfeuerzeuge gehen gut.

An den Gewinnen ist ein Stück weit die Zeit abzulesen. Bei seinen Vorfahren standen Porzellanfiguren und Blechspielzeuge auf den Podesten – heute absolutes „no-go“. Karl Braun wuchs in die Zeit der Walkmen und CD-Player rein, irgendwann kamen die MP3-Player, auch ihre Zeit sei abgelaufen. „Bei uns ist immer eine Bewegung drin, darum wird es auch nie langweilig.“

Immer in Bewegung und mit Karl Braun auf Tour ist seine Frau Karin, die das fahrende Leben nicht mit der Muttermilch aufgesogen hat. Sie hat Einzelhandelskauffrau gelernt und als Schuhverkäuferin gearbeitet. „Irgendwann habe ich als Eisverkäuferin auf der Kirmes gejobbt, da hab ich ihn gesehen und es hat gefunkt.“ Seitdem weicht sie nicht mehr von seiner Seite, teilt die Mühen und auch die Freuden der Schaustellerwelt, die sich von April bis in den Herbst in einem Sieben-Meter-Camping

anhänger abspielt.

„Was macht man nicht alles aus Liebe“

Wie lebt es sich für sie, zwischen Zugmaschinen und Anhängern, von morgens bis abends beschallt vom Geräuschpegel der Fahrgeschäfte und Buden, umgeben von Lichtorgeln und LED-Videowänden? „Was macht man nicht alles aus Liebe, aus Liebe denkt man nicht groß nach“, meint sie schmunzelnd. „Mein Mann hat gewusst, dass ich MS habe und sich trotzdem für mich entschieden.“ Es schmerze sie, dass sie ihm bei der körperlich oft anstrengenden Arbeit nicht mehr helfen kann. „Es bleibt alles an ihm hängen. Ich koche und mache eben, was ich im Sitzen machen kann.“

Meist ist sie in ihrem „Eckle“ anzutreffen, wo sie die Ringe verkauft, die sie mit ihrem Stock noch erreichen kann. Für sie ist das Straßenfest immer eine Zusammenkunft mit langjährigen Kunden, die inzwischen wie Freunde und Verwandte seien. Eine Frau bringe ihr immer einen Kuchen mit. „Viele erzählen mir ihre Lebensgeschichten, wir lachen und weinen miteinander, das brauche ich, das ist so schön.“

Podcast Mehr zum Rummel und zum Schaustellergewerbe erfahren Sie auch in der zweiten Folge unseres Straßenfest-Podcasts „Koi Zeit“. Darin erzählt Rummel-Betreiber Mark Roschmann von seinem Beruf und seinen Erfahrungen mit dem Backnanger Straßenfest. Den Podcast finden Sie hier: Einfach auf Start klicken und schon gehts los.

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Erstellt:
23. Juni 2023, 11:00 Uhr

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