Der Schlüssel zu den Grenzwerten liegt in Brüssel
EU überprüft Richtlinie – Berlin müsste Druck ausüben
Saubere Luft - Am erfolgsversprechendsten ist aus Sicht der betroffenen Städte der Versuch der Bundesregierung, bei den Grenzwerten Milde walten zu lassen. Sie will Fahrverbote erst ab 50 Mikrogramm NOx zulassen. EU-Recht sind 40 Mikrogramm.
Brüssel Die Zweifel von Lungenärzten an den Grenzwerten für Schadstoffe in der Luft stoßen die Debatte um Fahrverbote neu an. Doch selbst wenn sich die Wissenschaft einig wäre – wie leicht ließen sich die Grenzwerte überhaupt ändern? Und ist der politische Wille dafür inzwischen da?
Frage: Wer muss tätig werden, um die Grenzwerte zu ändern?
Die Grenzwerte werden in der EU beschlossen. Die EU-Kommission müsste dafür eine neue Luftreinhaltungsrichtlinie vorschlagen. FDP-Chef Christian Lindner fordert Angela Merkel auf, diesbezüglich Druck zu machen. „Wir müssen jetzt untersuchen, ob die EU-Schadstoffgrenzwerte tatsächlich dem neuesten medizinischen Kenntnisstand entsprechen – dafür brauchen wir ein politisches Moratorium“, sagte er unserer Zeitung: „Es ist erreichbar, wenn die Bundeskanzlerin dies in Brüssel zur Chefsache macht.“
Wie lange würde es dauern?
Selbst wenn es zu einem solchen Kommissionsvorschlag käme, wären aber – wie bei jedem Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene – erst einmal die beiden Gesetzgeber am Zug: alle 27 Mitgliedstaaten, vertreten durch ihre Umweltminister, sowie das Europaparlament. Das Verfahren dauert mindestens ein Jahr, häufig länger. Klar ist, dass die Kommission frühestens 2020 die Initiative ergreift, da 2019 wegen der Europawahl nichts mehr passiert. Und in der jetzigen Kommission ist der politische Wille nicht vorhanden. EU-Umweltkommissar Karmenu Vella verteidigt die Grenzwerte: Sie seien von allen Mitgliedstaaten und dem Europaparlament verabschiedet worden und „basieren auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation, der weltweit führenden Autorität in Gesundheitsfragen“. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sieht es ähnlich.
Frage: Kann Berlin auf eigene Faust etwas machen?
Antwort: Eigentlich nicht, denn die Grenzwerte sind europaweit einheitlich und verbindlich. Die Bundesregierung versucht es dennoch: Sie will ein Gesetz verabschieden lassen, das weniger scharfe Grenzwerte zur Folge hätte. Sie hält nämlich Fahrverbote für unverhältnismäßig, wenn der Grenzwert bei Stickoxid von 40 Mikrogramm nur geringfügig überschritten wird. Sie will durchsetzen, dass bis zu Konzentrationen von 50 Mikrogramm keine Fahrverbote verhängt werden. Das Gesetz liegt zur Begutachtung in Brüssel. Bis Mitte Februar können die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten ihre Kommentare dazu abgeben. Erst danach kann es im Bundestag beschlossen werden.
Überprüft die Kommission die Grenzwerte?
Anders als auf nationaler Ebene werden EU-Gesetze regelmäßig überprüft. Eine derartige turnusgemäßeÜberprüfung der Luftreinhaltungsrichtlinieläuft tatsächlich gerade.Ende des Jahres soll das Ergebnis vorliegen. Umweltkommissar Vella hat bereits erklärt, dass es bei einer Überprüfung zu Änderungen kommen könnte.
Frage: Kann das Europaparlament etwas tun?
Es hat nicht die Gesetzgebungsinitiative und kann nur politischen Druck aufbauen. Dies versucht etwa der baden-württembergische EU-Abgeordnete Norbert Lins (CDU). Auf seine Initiative hin hat das Europaparlament eine Studie zu den Messstellen in Auftrag gegeben. Die Studie soll prüfen, ob die Behörden in den Mitgliedstaaten jeweils die gleichen Kriterien bei der Auswahl der Messstellen für die Luftqualität anlegen. Die Ergebnisse der Studie sollen Mitte März vorliegen. Lins nennt die Fahrverbote in Deutschland „unverhältnismäßig“: „Deutschland befindet sich in einer Schieflage. Kein anderes europäisches Land hat Fahrverbote von Euro-4-Fahrzeugen. Nur Stuttgart hat die komplette Innenstadt gesperrt“, so Linz. Er hält eine Veränderung der Grenzwerte für möglich: „Sobald wir die Ergebnisse derStudie zu Messstellenund auch neue Erkenntnisse zu den Grenzwerten haben, müssen die richtigen Schlüsse für die Zukunft der europäischen Luftreinhaltungsrichtlinie getroffen werden.“