Österreich-Wahl

Der Schrecken von Rechtsaußen auf dem Vormarsch

Herbert Kickl ist ein scharfzüngiger Provokateur und Populist, radikalisierte seine FPÖ und könnte deshalb die Nationalratswahl im Nachbarland Österreich gewinnen.

Setzt sich gerne in Szene: FPÖ-Politiker Herbert Kickl.

© AFP/ALEX HALADA

Setzt sich gerne in Szene: FPÖ-Politiker Herbert Kickl.

Von Patrick Guyton

Herbert Kickl wird mit Jubel in der Messehalle Graz begrüßt. Auf dem Podium legt er gleich los und verlangt die „Regierungsmacht“, wenn seine FPÖ, die Freiheitliche Partei Österreich, bei der Parlamentswahl stärkste Kraft werden sollte. Die politische Konkurrenz bezeichnet er als „armselige Gestalten“, die „Machtmissbrauch“ betrieben. Sie hätten eine „anti-demokratische Brandmauer gegen die eigene Bevölkerung“ hochgezogen, wie einst in der DDR. Aber der Mauerfall komme „am 29.9., liebe Freunde“. Da wählt Österreich ein neues Parlament, den Nationalrat.

Die Rede von Kickl, dem Rechtsaußen der österreichischen Politik, der als mächtiges Schreckgespenst durch die Alpenrepublik spukt, ist im Internet in voller Länge zu sehen, sie dauerte etwas über eine Stunde. Samt häufigem Szenenapplaus und „Herbert, Herbert“-Anfeuerungsrufen aus dem Publikum. Das war in der ersten Septemberwoche.

Die FPÖ gegen die anderen – dieses Szenario hat Kickl entworfen. Er nennt die vier größeren Mitbewerber von der konservativen ÖVP, den Sozialdemokraten, Grünen und den linksliberalen Neos denn auch provozierend „Einheitspartei“. Ein angeblicher Block steht also gegen die aufrechte FPÖ und gegen die Menschen. Kickl sagt: „Das Volk ist der Chef, und wir sind sein Werkzeug.“ Er möchte „Volkskanzler“ werden, diesen auch für Adolf Hitler verwendeten Begriff hämmert die FPÖ ihren Anhängern auf allen Kanälen ein. Das zeigt, was die „Freiheitlichen“ in Teilen auch sind: Rechtsextremisten.

Urnengang gilt als „Schicksalswahl“

Als „Schicksalswahl“ wird der Urnengang an diesem Sonntag, den 29. September, immer wieder in Österreich bezeichnet. Als Wahl, bei der es um die Verteidigung der Demokratie geht, die von Kickl aus ihren Grundfesten gehoben werden könnte. Was die gegenwärtige FPÖ ist, lässt sich leicht sagen: Sie ist ungefähr so wie die AfD in Deutschland ausgerichtet.

Die politische Gesamtlage in der Alpenrepublik ist komplex. Das schwarz-grüne Regierungsbündnis unter ÖVP-Kanzler Karl Nehammer wird sicher nicht weitermachen. Laut jüngster Umfrage vom 19. September stehen die Konservativen bei 25 und die Grünen bei neun Prozent. Die Mehrheit ist dahin. Wahlsieger würde als stärkste Kraft die FPÖ mit 27 Prozent werden. Die oppositionelle SPÖ würden 20 Prozent wählen, die Neos liegen bei elf.

Die Botschaften der FPÖ sind recht simpel

Die Botschaften von Kickls FPÖ sind recht simpel: Das „Establishment“ in Österreich, das regierende „System“ betrüge das Volk und wirtschafte in die eigenen Taschen. Weitere Hauptschuldige an ganz vielen Dingen sind demnach Menschen mit Migrationshintergrund, Ausländer oder Geflüchtete. Und Kickl haut auf alles, was als politisch links gilt.

Alle anderen politischen Bewerber scheinen in eine Abwehrschlacht oder Aufholjagd mit der FPÖ eingestiegen zu sein. Kanzler Nehammer versucht, sich als Kandidat der politischen „Mitte“ zu positionieren. Der ÖVP-Slogan lautet: „Stabilität für Österreich.“

Für die SPÖ geht Andreas Babler an den Start, der Parteilinke war im März 2023 zum Vorsitzenden geworden. Er verspricht das Einfrieren der Mieten, will Arbeitnehmer ent- und Millionäre stärker belasten. Über die FPÖ sagt er, diese sei „brandgefährlich für die Demokratie“. Grünen-Chef Werner Kogler nennt Kickl einen „Putin-Freund, Europa-Gegner und Verschwörungstheoretiker“. Und die Neos sehen in der FPÖ ein „Sicherheitsrisiko für Europa“.

Er beherrscht die Klaviatur der Demagogie

Kickl ist kein mitreißender Redner. Aber der 55-Jährige beherrscht die Klaviatur der Demagogie und brutalen Ausgrenzung. 2015 seien keine qualifizierten Fachkräfte ins Land gekommen, sagt er in Graz, „sondern Messerexperten“. Heute stünden die Österreicher „in der Gefahr, die Minderheit zu sein“. Die Regierungspolitiker „lassen alle herein, sie bieten ihnen alles an“. Die Polizei müsse gestärkt werden bei „Straßenschlachten von irgendwelchen Ausländerbanden“. Und: „Wir brauchen natürlich Remigration.“ Es wirkt ein wenig kurios, wenn er gegen Ende meint: „Nichts von dem, was ich sage, ist rechtsextrem, sondern es ist ganz normal.“

Er ist ein schmaler, kleiner Mann. In Kärnten geboren und aufgewachsen, in Wien hat er ohne Abschluss Publizistik, Politikwissenschaft und Philosophie studiert. Mit 27 begann er, für die FPÖ-Parteiakademie zu arbeiten, er konzipierte Wahlkämpfe. Schließlich stieg er auf zu einem engen Mitarbeiter des FPÖ-Chefs Jörg Haider. Für ihn schrieb er Reden und entwickelte Wahlkampfslogans. Haider war im Oktober 2008 nachts volltrunken mit seinem Dienstwagen gerast, hatte sich mehrfach überschlagen und war dabei ums Leben gekommen.

Dessen einstige Großspurigkeit hat Kickl so gar nicht an sich. Manche beschreiben ihn als Asketen mit Tendenzen zum Einzelgängertum. Kickl sei „intelligent und deshalb nicht zu unterschätzen“, sagte der Salzburger Schriftsteller und Essayist Karl-Markus Gauß dieser Zeitung.

Eine Brandmauer wie in Deutschland gegenüber der AfD hat es in Österreich nie gegenüber der FPÖ gegeben. Sie regierte schon zwei Mal im Bund mit und sitzt gegenwärtig in drei Landesregierungen – in Ober- und Niederösterreich sowie im Land Salzburg.

Wird die ÖVP mit der FPÖ paktieren?

Was kommt auf Österreich zu? Wird die ÖVP auch in Wien mit der FPÖ paktieren? Ja, meinen viele, wenn die Konservativen noch als stärkste Kraft an der FPÖ vorbeiziehen und Kickl als Person außen vor bleibt. Ansonsten bietet sich die schon lange bekannte große Koalition an, womöglich müssten ÖVP und SPÖ für eine Mehrheit noch die Neos oder die Grünen ins Boot einsteigen lassen.

Von den professionell arbeitenden Zeitungen und Sendern hält die FPÖ nichts, für sie sind das die „Systemmedien“. Dafür hat die Partei ein großes Netz an eigenen Propagandaseiten im Internet ausgebaut. Es gibt FPÖ-Fernsehen und viele Plattformen, auf denen die radikalen Meinungen den Nutzern eingehämmert wird. Eine eigene Parallelwelt. Kritischen Journalisten werden Interviews und der Zutritt bei Parteitagen verweigert.

Die Organisation „SOS Mitmensch“ schaut genau hin

Ein FPÖ-Mitglied, das sich äußert, ist Herbert Esterbauer aus Braunau am Inn. „Es ist Zeit für neuen Wind“, sagt er im Gespräch. Er verübelt der noch amtierenden Regierung vor allem die strikte Corona-Politik, die er als Einsperren und „Ausgrenzung“ Ungeimpfter gesehen hat. „Viele Leute, die nie freiheitlich gewählt haben, machen das jetzt“, meint er.

Doch wie steht der 67-Jährige, der lange Stadtrat und Zweiter Bürgermeister war, zum Parteichef Kickl und dessen Driften ins Ultra-Rechte? „Er bringt das auf den Punkt, was viele Menschen bewegt“, sagt er. Kickl habe es „verdient, Kanzler zu werden und zu zeigen, was er kann“. Macht er es schlecht, „dann ist er in fünf Jahren wieder weg“.

Die Organisation „SOS Mitmensch“ schaut genau hin, wie sich die FPÖ entwickelt. In einem Bericht stellt sie gegenwärtig 225 Verflechtungen von FPÖ und der rechtsextremen Szene fest. Dazu zählen etwa die Teilnahme von Parteimitgliedern an Demonstrationen der „Identitären Bewegung“ oder ein Interview, das Kickl dem rechtsextremistischen Sender „Auf 1“ gab. Auch schaltet die FPÖ gezielt viele Inserate auf Nazi-Onlineplattformen.

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Erstellt:
26. September 2024, 16:43 Uhr
Aktualisiert:
27. September 2024, 15:50 Uhr

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