Das E-Rezept startet im Rems-Murr-Kreis teils holprig
Der Allgemeinmediziner Jens Steinat kritisiert die störungsanfällige Technik und fordert vehement mehr Pragmatismus bei der Umsetzung von Neuerungen. Die Backnanger Apotheker sind dem E-Rezept gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen, spüren aber noch keine Erleichterung.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Seit Anfang des Jahres sind Ärzte verpflichtet, ihre Rezepte in elektronischer Form auszustellen. Diese E-Rezepte sollen dafür sorgen, dass die Patienten unkompliziert und schnell an ihre Medikamente kommen. Doch nicht alle Beteiligten sind mit der Neuerung glücklich. Jens Steinat zum Beispiel, der in Oppenweiler und neuerdings auch in Unterweissach eine Praxis betreibt, hat eine ganze Latte an zum Teil massiven Kritikpunkten anzumerken.
Um jeglichem Missverständnis vorzubeugen, stellt Steinat, der Sprecher der Ärzteschaft Backnang, zuerst klar: „Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist wichtig, wenn sie der Entlastung der Leistungserbringer dient und einen Zusatznutzen mit sich bringt. Weitere Voraussetzungen sind, dass die zusätzliche Digitalisierung nicht zu einer Behinderung der täglichen Arbeit führt und eine Umsetzung durch die IT-Technik und die an der Umsetzung beteiligten Firmen nahtlos gewährleistet ist. Aber ich habe meine Bedenken, ob das zutrifft.“
Stichwort Entlastung: Die Digitalisierung stellt für die Ärzte, die die Leistung erbringen, laut Steinat erst einmal eine Mehrbelastung dar: „Es kann sein, dass die Digitalisierung in einiger Zeit zu einer Entlastung führt, momentan tut sie es aber nicht.“ Dass die Neuerung für die Patienten in manchen Bereichen heute eine Erleichterung darstellt, ist für Steinat kein Trost: „Es kann nicht sein, dass die, die an der Grenze des Machbaren arbeiten, mehr belastet werden, damit Patienten zeitlich entlastet werden und einen Weg weniger haben. Wir müssen unsere Patienten medizinisch versorgen und nicht verwaltungsrechtlich.“
Übertriebene Ansprüche beim Datenschutz sind ein typisches Problem
Das fängt schon mit der Information über die Neuerung an. Der Allgemeinmediziner ist der Ansicht, dass es eine staatliche Aufgabe sei, die Patienten über das E-Rezept aufzuklären, zumindest aber die Aufgabe der Krankenkassen. Tatsächlich aber werden all diese Gespräche den Arztpraxen aufgebürdet. Zudem moniert er an der Neuerung „die Komplexität, die aus verschiedenen Gründen nicht nachvollziehbar und typisch deutsch ist“.
Konkret nennt er die übertriebenen Ansprüche beim Thema Datenschutz. In der Summe führe dies dazu, dass das System sehr störungsanfällig ist. Obwohl seine beiden Praxen alle digitalen Anforderungen erfüllen und auf dem neuesten Stand sind, stürzt der von ihm genutzte Server seit der Systemumstellung bei jedem Ausfüllen eines E-Rezepts ab. „Dann ist die gesamte Praxisanlage für 15 bis 30 Minuten tot“, klagt der Arzt. Laut den Technikern ist eine Firewall der Grund für die Blockade. „Das alles ist sehr kompliziert. Ich habe in den vergangenen drei Wochen mit täglichen Systemabstürzen und Problemen zu kämpfen gehabt. Und einigen Kollegen erging es ebenso. Die Techniker sind kompetent, aber man hat den Eindruck, dass auch sie überlastet sind von den Anforderungen.“
Ausgaben für Systembetreuung von mehreren Tausend Euro
Von Problemen dieser Dimension ist Iris Lüdecke von der Apotheke am Obstmarkt in Backnang bislang weitgehend verschont geblieben. Sie hat gehört, dass das E-Rezept in vielen, aber nicht allen Praxen gut gestartet ist. Allerdings vermutet sie, dass der tatsächliche Start der Neuerung deutlich nach dem Jahreswechsel stattfindet, da einige Praxen wegen der Feiertage geschlossen hatten. Prinzipiell befürwortet Lüdecke das E-Rezept, „es ist gut, wenn man mit der Zeit geht und die Prozesse optimiert“. Aber auch sie relativiert: „Voraussetzung sollte aber ein stabiles System sein und diese Rahmenbedingungen sind leider noch nicht gut.“ Weil sie Zweifel an der Übertragungssicherheit hat, hat sie als Back-up zu ihrer eigentlichen Internetleitung einen LTE-Router gekauft. Die 70 Euro, die sie dafür jeden Monat investiert, sind nur ein kleiner Teil der Kosten, die allein wegen des E-Rezepts anfallen. Insgesamt summieren sich die Ausgaben der Apotheke für Beratung oder Systembetreuung auf mehrere Tausend Euro. Kritik am „falschen Zeitpunkt der Einführung mitten in der Infektionszeit“ weist sie zurück: „Der Jahresanfang ist gut gewählt. Wenn es um eine Umstellung geht, ist wohl kein Zeitpunkt der richtige. Aber einmal muss man ja beginnen.“
Volker Müller, der Inhaber der Schiller-Apotheke in Backnang, stellt fest: „Wir Apotheker sind schon lange eingerichtet, wir haben unsere Pflicht getan und können die E-Rezepte empfangen, nur die Ärzte hatten Bedenken wegen der Umstellung. Aber wenn der Gesetzgeber es fordert, muss man es halt machen.“ Müller sieht durchaus auch Kritikpunkte: „Es heißt, alles soll schneller gehen. Ich glaube das nicht. Man muss den Computer immer erst füttern. Im Moment ist es noch viel Mehrarbeit.“
Jens Steinat ist ziemlich frustriert. Er fordert von den Politikern „ein bisschen mehr Ehrlichkeit, Pragmatismus und Verständnis für die Arbeit an der Basis“. Zu viel Komplexität führe dazu, dass die Neuerung nicht angenommen werde. Dann sei unterm Strich weniger erreicht worden, als wenn man das Thema auf niedriger Flamme kochen würde. Der Allgemeinmediziner sagt über seinen Berufsstand: „Wir Ärzte setzen vieles um. Aber wenn es zu komplex wird – und das ist derzeit der Fall – dann stoßen auch wir an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit und dann sinkt auch die Akzeptanz. Das führt dazu, dass man manche Dinge nicht oder nur unter Zwang umsetzt. Wobei man sich manchmal fragen muss, ob es nicht billiger ist, sich bestrafen zu lassen, als die Probleme in Kauf zu nehmen, die die Digitalisierung mit Systemabstürzen und Serverproblemen verursacht.“
Regelfall Verschreibungspflichtige Arzneimittel, die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, sollen nach Vorgabe des Gesetzgebers im Regelfall künftig als E-Rezept ausgestellt werden.
Ausnahmen Zu beachten ist, dass einige Arten von Arzneimitteln und Verordnungen zu Beginn noch nicht über das E-Rezept verordnet und von den Apotheken abgerechnet werden können. Dazu gehören Verbandsmittel, Teststreifen, Hilfsmittel, Betäubungsmittel, enterale Ernährung, Verordnungen zulasten von sonstigen Kostenträgern wie Bundeswehr oder Bundespolizei sowie Verordnungen für im Ausland Versicherte.
Heimpatienten Zudem ist es derzeit nicht möglich, E-Rezepte für Heimpatienten auszustellen. In der Konsequenz würde dies nämlich bedeuten, dass die Pfleger für jedes Rezept die Versicherungskarte des jeweiligen Bewohners einsammeln und zur Apotheke bringen müssten, damit diese das Rezept auch abrufen könnten. Die Verantwortlichen sind sich einig: Der Verwaltungsaufwand für diesen Weg wäre viel zu groß. Bliebe noch die Alternative, die QR-Codes der Rezepte auszudrucken und zur Apotheke zu bringen. Hierzu hat Allgemeinmediziner Jens Steinat eine klare Meinung: „Ich würde also ein Papier durch ein Papier ersetzen. Das mache ich nicht mit, da fülle ich lieber das herkömmliche Rezept aus.“
Vorgehen Die Ärzte erstellen das E-Rezept und unterschreiben es digital. Das E-Rezept wird dann sicher verschlüsselt und auf einem speziellen Server online gespeichert. Derzeit ist diese digitale Lösung ausschließlich für gesetzlich Versicherte Standard. Für privat Versicherte soll die Umstellung auf das E-Rezept noch erfolgen.
Nutzung Für die Patienten bieten sich drei Wege, das E-Rezept einzulösen: der Weg direkt über die persönliche elektronische Gesundheitskarte (eGK), der Weg über die Nutzung einer speziell entwickelten App oder der Weg über den Papierausdruck eines Rezepts mit QR-Code. Der Papierausdruck steht für Versicherte bereit, für die eine rein digitale Lösung eine Hürde darstellt.