Der Sulzbacher Kessel, die Belinda, ist Kult

Nachtleben in alten Zeiten (7) Seit 1970 war und ist die Rock-Discothek Belinda ein Magnet für Rockfans. Gruppen und Sänger wie Status Quo, Meat Loaf und Roger Chapman traten dort auf. Aber auch jungen Bands gab Belinda-Urgestein Georg Neumann eine Chance.

Legendär und unvergessen: die zahlreichen Auftritte von bekannten Bands in der Belinda wie Flymoe im Februar 2004. Foto: Edgar Layher

© Edgar Layher

Legendär und unvergessen: die zahlreichen Auftritte von bekannten Bands in der Belinda wie Flymoe im Februar 2004. Foto: Edgar Layher

Von Florian Muhl

Sulzbach an der Murr. „Die Belinda oder auch ,der Kessel‘ war zu Realschulzeiten wie unser Wohnzimmer“, berichten Carola und Max Rössler aus Oppenweiler. „Man konnte kommen, wie man wollte, und dementsprechend war auch ein bunter Haufen Menschen am Start – vom Old-School-Rocker bis zur Gothikszene war alles dabei.“ Beide erinnern sich noch gut an die Fässer, die als Stehtische gedient haben, und die „abgeranzten“, dunklen Holztische und Bänke rund um die Tanzfläche.

„Die Garderobe war immer ein Chaos – die Kleiderbügel reichten nie und zu später Stunde lagen Jacken, Pullis und Co. auf dem Boden verteilt.“ Heute lacht Carola Rössler über diese geordnete Unordnung. Noch bildlich vor Augen haben die Geschwister den Tischkicker unten an der Treppe und oben im Rock-Café den Billardtisch und den Dartautomaten. Das Rock-Café hing voller Bilder, Zeitungsberichte und alter Konzertplakate aus den 70ern. „Ein Wunder, dass das alles überlebt hat“, meint Max Rössler.

Zur Erinnerung an diese unvergesslichen Zeiten in der Belinda haben die beiden noch ein Foto, das Anfang 2012 aufgenommen wurde. Da war Max 18 und Carola Rössler 23 Jahre alt. Die Geschwister waren zu der Zeit noch in Sulzbach an der Murr zu Hause. „Absolutes Pflichtprogramm war die Double Time am Donnerstag. Da war es so voll, dass der Schweiß von der Decke tropfte“, sagt Carola Rössler. „Von 21 bis 22 Uhr wurde erst einmal der Tisch mit den verschiedensten Getränken vollgeladen, sodass es für den ganzen Abend reichte.“ Und die Schule am nächsten Tag? „Die war nicht immer einfach, aber absolute Bedingung von zu Hause.“ Und noch eine Erinnerung haben die beiden: „Legendär war auch der Heiligabend. Spätestens um 20.30 Uhr haben wir uns in der langen Schlange an der Tür eingereiht, um mit Freunden Weihnachten zu feiern und vielleicht noch einen der Tische zu ergattern. Da war immer die Hölle los.“

Schon bald ist die Rock-Discotheküber die Region hinaus bekannt

Treuer Belinda-Besucher war und ist auch Martin Schieber aus Weissach im Tal. Mit seinen heute 52 Jahren hat er auch die 80er- und 90er-Jahre im Kessel miterlebt. „Da waren die Besucherzahlen so, dass draußen die Schlange bis zur Mauer reichte und man drinnen eine halbe Stunde zum Klo gebraucht hat.“ Die Rock-Discothek war damals weit über die Grenzen des Rems-Murr-Kreises hinaus bekannt.

Treue Belinda-Besucher: die Geschwister Max und Carola Rössler im Jahr 2012. Foto: privat

Treue Belinda-Besucher: die Geschwister Max und Carola Rössler im Jahr 2012. Foto: privat

Standorttreue und familiäres Flair prägten zunächst die Belinda, die im September 1970 von Eugen und Elisabeth Neumann eröffnet worden war. 16 Jahre später – im Jahr 1986 – übernimmt deren Sohn Georg Neumann als 33-Jähriger die Rock-Discothek. Spätestens von da an gilt das Motto: „Der Kessel ist Kult“, es gibt Rock in allen Facetten.

An diese Zeit erinnert sich auch Markus Stricker sehr gern. Der Gründer und Frontmann der schwäbischen Folk-Rock-Band Wendrsonn hat Mitte der 80er als Discjockey in der Belinda angefangen. „Ich war damals Anfang 20 und bin Georg unheimlich dankbar, dass er mich überhaupt in die Szene hineingebracht hat“, erzählt der Sulzbacher. 18 Jahre lang war er in der Belinda DJ und hat „in der Zeit den Georg sehr gut kennengelernt“, wie er sagt. „Er war für mich ein unheimlich großherziger, hilfsbereiter Mensch mit einem weichen Herzen, der, wenn man irgendwie Hilfe gebraucht hat, sofort da war und gesagt hat: Jawohl, das mach ich.“ In dieser Zeit hat Stricker etliche Hilfstransporte nach Rumänien in Waisenhäuser unternommen. „Georg hat uns finanziell unterstützt und mir kostenlos den Belinda-Bus zur Verfügung gestellt“, erinnert sich der Musiker. Neumann habe auch viele soziale Projekte in Sulzbach verwirklicht und unterstützt. Nach dem verheerenden Tsunami in Thailand stellte er 2005 ohne Zögern seine Räumlichkeiten für ein Benefizkonzert mit 17 Bands zur Verfügung.

Belinda-Chef Georg Neumann (Mitte) mit Boxlegende René Weller (rechts) und Kick- und Thaiboxer Karlheinz Batke vor dem geplanten Boxkampf in der Belinda 2003. Foto: Edgar Layher

© Edgar Layher

Belinda-Chef Georg Neumann (Mitte) mit Boxlegende René Weller (rechts) und Kick- und Thaiboxer Karlheinz Batke vor dem geplanten Boxkampf in der Belinda 2003. Foto: Edgar Layher

Bildlich vor Augen hat Stricker noch die beiden Belinda-Open-Airs in der Froschgrube in Murrhardt; vor rund 33 Jahren das erste mit Roger Chapman. „Beim zweiten 1991 war dann ich für die Bandauswahl verantwortlich. Da haben Meat Loaf und Status Quo gespielt.“ Die Belinda sei nicht einfach nur eine Disco gewesen. „Für viele, viele Leute war die Belinda ein Kulturträger, eine kulturelle Hausnummer.“ Neumann habe vielen jungen Bands geholfen. Stricker selbst hat nach der Gründung von Wendrsonn sein erstes Konzert in der Belinda gegeben. Menschen aller Couleur hätten dort ihre Heimat gefunden. „Homosexuelle mit Federboas neben Bauern in Gummistiefeln“, wie der Musiker sagt. „Mitte der 80er, Anfang der 90er hat jeder nach seiner Façon glücklich sein dürfen. So lange keiner Theater macht, waren alle willkommen.“

Groß sollte das 33-jährige Bestehen der Belinda gefeiert werden. Geplant war Anfang September 2003 ein Boxkampf in der Disco zwischen dem ehemaligen Welt- und Europameister René Weller aus Pforzheim und Gegner Karlheinz Batke, damals 39 Jahre alt und Kick- und Thaiboxer bei der Kampfsportschule Allerborn in Backnang. Weil die Kartennachfrage so groß war, kam es letztlich zum Boxevent in der Sulzbacher Festhalle. Weil Batke erkrankt war, stieg stattdessen der dreimalige deutsche Meister Klaus Niketta in den Ring.

Neues Leben nach der Übernahme durch die Akzente-Gemeinde

Nach vielen guten Jahren ging Neumann aber langsam das Geld aus, es kam 2013 zur Insolvenz. 2015 kaufte der Unternehmer Andreas Walz die Discothek und das Brauhaus. Zunächst betrieb Urgestein Neumann als Pächter die Belinda weiter. Doch die Zusammenarbeit zwischen ihm und dem neuen Besitzer harmonierte nicht. Schließlich durfte Neumann seine Belinda nicht mehr betreten, er hatte Hausverbot. „Georg hat damals alles verloren und war sehr verbittert“, erinnert sich Stricker. Schwer erkrankt ist Georg Neumann im Alter von 69 Jahren Ende November vergangenen Jahres in Fellbach gestorben.

Aber die Belinda lebt und ist aktiv. Die Akzente-Gemeinde gründete eine Genossenschaft, um das komplette Areal erwerben zu können. Der Getränkemarkt wird für kulturelle Veranstaltungen umgebaut, das Gasthaus Sulzbacher Schlösslebräu blieb bestehen. „Erstanden aus Ruinen“, sagt Martin Schieber. Es wird Musik geboten, freitags im Rahmen von „Kultur im Kessel“ mit Konzerten, samstags gibt’s (Rock-)Discobetrieb im Stile von früher. Derzeit wird noch immer kontinuierlich an zahlreichen Baustellen in der und um die Belinda geschafft.

Infos und Fotos erwünscht

Pinte und Co. Für unsere nächsten Folgen, die sich Lokalen, Klubs und Discotheken wie der Pinte und dem Hula Hoop oder dem Living oder Live widmen, suchen wir noch Fotos und Anekdoten. Haben Sie noch Erinnerungen und Geschichten? Schreiben Sie uns per E-Mail: redaktion@bkz.de

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Erstellt:
3. Juni 2023, 10:30 Uhr

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