Neue Serie
Die Angst der Anderen
Die realitätsnah konzipierte und vorzüglich besetzte ARD-Serie „A Better Place“ handelt vom Scheitern einer Utopie: Als 300 Kriminelle entlassen werden, nimmt das gut gemeinte Projekt eine fatale Eigendynamik an.
Von Tilmann P. Gangloff
In einer besseren Welt könnten Frauen nachts unbesorgt durch den Park gehen. Haustüren blieben unverschlossen, Männer würden sich nicht an Kindern vergreifen; Gefängnisse wären nicht nötig. Deren Nutzen ist zweifelhaft: Die Rückfallquote liegt bei fünfzig Prozent. Auch der Abschreckungseffekt ist überschaubar. Trotzdem vertrauen Rechtssysteme seit Jahrtausenden auf Vergeltung.
Dabei wäre es viel wirkungsvoller, Kriminelle so rasch wie möglich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Der französische Philosoph Michel Foucault hatte diese Idee schon vor fünfzig Jahren, Alexander Lindh und Laurent Mercier haben sie für ihre Serie „A Better Place“ umgesetzt: In einer fiktiven Stadt im Rheinland werden 300 Häftlinge aus einem Gefängnis entlassen, um mit Hilfe von Arbeit und Therapie resozialisiert zu werden. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt das vom idealistischen Bürgermeister Amir Kaan (Steven Sowah) und der österreichischen Kriminologieprofessorin Petra Schach (Maria Hofstätter) initiierte Projekt Trust (Vertrauen). Die Stimmung kippt jedoch, als sogenannte besorgte Bürger durch die gezielte Sorglosigkeit einer Trust-Mitarbeiterin in den Besitz einer Datei mit den Namen, Fotos und Adressen der Kriminellen kommen.
Ein Aufschrei geht durch Medien und Bevölkerung: Einer der Entlassenen ist ein rassistischer Mörder, ein anderer ein „Kinderschänder“. Der Volkszorn entlädt sich in der Trust-Zentrale. Die Szene erinnert beklemmend an den Sturm aufs Kapitol in Washington 2021, verdeutlicht aber die Schwäche des Projekts, wie die zwischenzeitlich abberufene Kriminologin erkennt: Das Konzept hat Opfer und Täter berücksichtigt, „die Angst der Anderen“ jedoch außer acht gelassen. Die Serie schildert die Fiktion betont realitätsnah und ist dank des vielköpfigen Ensembles auch mit acht Folgen à 45 Minuten nicht zu lang. Lindh, Mercier und die Koautorin Karin Kaçi haben die Handlung auf ein Dutzend Figuren verteilt. Dazu zählt auch die Sozialarbeiterin Eva Blum (Katharina Schüttler), deren Mann Mark (Johannes Kienast) ebenfalls zu den Ex-Häftlingen gehört.
Neben dem Regieduo Anne Zohra Berrached und Konstantin Bock gebührt die Anerkennung für die ausnahmslos guten darstellerischen Leistungen nicht zuletzt Emrah Ertem: Er hat das Ensemble vorzüglich zusammengestellt. Sein Castingbüro ist dafür bekannt, interessante neue Gesichter zu entdecken. Hier gilt das vor allem für Youness Aabbaz und Aysima Ergün als Geschwisterpaar Nader und Yara. Er ist nur durch schlechten Umgang auf die schiefe Bahn geraten, aber sie ist ein wirklich böses Mädchen, das seine Freiheit prompt für einen Raubzug nutzt. Aysima Ergün verkörpert die junge Frau zunächst wie eine Figur aus „Fack ju Göhte“; das ändert sich, als Yara aus ihrer selbst gewählten Rolle fällt.
Nur der Auftakt läuft zur Primetime
Der Mörder (Richard Sammel) erweist sich hingegen als unbelehrbar. Kein Wunder, dass das Ehepaar Tayfun und Nesrin Gül (Sahin Eryilmaz, Alev Irmak), die Eltern seines 15 Jahre alten Opfers, keine Lust auf ein Mediationstreffen haben. Stattdessen begegnet die Mutter Nesrin Gül dem Mann zufällig auf der Straße – was womöglich noch schlimmer ist. Trotz der enormen Komplexität wirkt die hochemotionale Geschichte nie episodisch. Umso bedauerlicher, dass das Erste nur den Auftakt zur Primetime zeigt, aber die weiteren Episoden in der Nacht versendet.
A Better Place: acht Folgen, 22. Januar, ab 20.15 Uhr; 24. Januar, ab 22.20 Uhr, ARD. In der ARD Mediathek verfügbar.