Die Enttäuschung regiert
Beim Public Viewing in den Backnanger Kneipen kommt beim Deutschland-Spiel keine Feierlaune auf
Gestern startete Deutschland in die Weltmeisterschaft. Das Spiel gegen Mexiko, das mit einem 0:1 endete, verfolgten in Backnang viele Fußballbegeisterte vor den Bildschirmen und Leinwänden der Kneipen. Die Ausrüstung in Schwarz, Rot und Gold stimmte zwar, doch Stimmung kam nicht auf. Es siegte die Enttäuschung.

© Pressefotografie Alexander Beche
Ratlosigkeit am Bildschirm und auch davor: Die Partie Deutschland gegen Mexiko war der Dämpfer zum Einstieg in die WM. Foto: A. Becher
Von Sarah Schwellinger
BACKNANG. Was zurückbleibt, ist die Enttäuschung. Wer dachte, die Spiele in der Gruppenphase seien für die deutsche Nationalelf mit links zu machen, der hat sich geirrt. Und zwar gleich beim Auftaktspiel gegen Mexiko. 1:0 lagen die Mexikaner bei Schlusspfiff vorne. Darauf waren die 80 Millionen Bundestrainer des amtierenden Weltmeisters nicht vorbereitet.
Auch nicht diejenigen, die gestern die Partie beim Public Viewing in Backnang verfolgten. Kurz vor 17 Uhr: Auf den Straßen könnten Heuballen übers Pflaster rollen, so leer gefegt ist die Stadt. Die Sonne steht am Himmel, an geöffneten Fenstern wehen weiße Gardinen heraus. Um die Ecke kommen Mutter und Sohn gestochen, gekleidet in grünen Deutschland-Trikots. Im Stechschritt geht es zum nächsten Public Viewing. Jetzt aber schnell, aus den Häusern klingen schon die beiden Nationalhymnen. Ganz Backnang ist ab diesem Moment gefesselt. Gefesselt vor den Bildschirmen, in der Hoffnung, Zeuge bei der nächsten großen Sensation zu werden.
Im Fancy ist die Stimmung entspannt. Unter großen Schirmen lassen es sich die Zuschauer bei kalten Getränken gut gehen. Stadionstimmung in der Vip-Loge so zu sagen. Noch ist die Stimmung locker, man kennt sich, man hält hier und da ein Schwätzchen, lacht. Doch das wird in rund 90 Minuten anders aussehen: lange Gesichter, fragende Blicke und schüttelnde Köpfe.
Bei Schweizer Wurstsalat oder Gyros sitzt man im Merlin gemütlich zusammen. Hier ein Götze, da ein Müller, dort ein Schweinsteiger. Auch die Deutschland-Fahne ist mit dabei, Hut und Vuvuzela sind griffbereit. Zum Einsatz kommt das Stimmungsmacher-Instrument jedoch kein einziges Mal. Dann geht’s los, Anpfiff. Noch bekommt Manuel Neuer Szenenapplaus, als er den Fernschuss von Héctor Herrera in der zehnten Minute sicher hält. Nur vier Minuten später bekommt Mexiko nur eine der vielen Torchancen durch Héctor Moreno – und die deutschen Fans einen Eindruck davon, wie der Gegner aufdrehen kann. Die Arme fliegen hoch, „Das darf nicht wahr sein“, schreit einer. Der wird bald eines Besseren belehrt werden.
Denn in der 18. Minute bringt Chicharito erneut das Blut aller Backnanger Zuschauer in Wallung, als er die gesamte deutsche Hintermannschaft schlecht aussehen lässt. Für seinen Versuch in der 20. Minute bekommt Timo Werner noch einmal Szenenapplaus – der letzte bis zur Einwechslung von VfB-Größe Mario Gomez.
Und dann passiert, was sich längst ankündigte: Hirving Lozano macht das 1:0 für Mexiko. Und direkt im Anschluss hatte Toni Kroos das Glück auf dem Fuß, er zwirbelt seinen Freistoß direkt an die Latte. Enttäuschung macht sich breit, aber die Hoffnung stirbt zuletzt, ist ja noch genug Zeit übrig, den Sieg einzufahren.
In der zweiten Halbzeit
werden Selfies gemacht
„So kann es nicht weitergehen“, ist sich Tim Blumer sicher, „mal wieder keine Bewegung beim DFB. Das ist wie aufgemalt.“ Auch Felix Seckner sieht es ähnlich: „Eine Halbzeit ohne Höhepunkte.“ Ein Bier kann es zwar nicht richten, macht die Situation aber vielleicht etwas erträglicher, sind sich die beiden sicher und bestellen gleich noch eine Runde.
Auch in der zweiten Halbzeit tut sich nicht viel auf dem Platz, dementsprechend hat auch die Stimmung und Euphorie vor den Bildschirmen nachgelassen. Da wird aus Mangel an Spannung das Handy herausgeholt und mal ein Selfie gemacht, schließlich hat man sich nun extra in Deutschland-Schale geworfen. Auch mal zwischendurch eine Runde durchs Lokal drehen ist für einen Herren im Trikot kein Problem.
Erst, als die Partie so langsam dem Schlusspfiff entgegennaht, wachen auch die Anhänger von Jogis Jungs wieder auf. Vor allem, als dann endlich Mario Gomez eingewechselt wird. Man klatscht Beifall, der Mann vom VfB Stuttgart ist der Joker, er soll’s richten – und kann das mit seiner Erfahrung auch, ist sich Felix sicher.
Dann schöpfen die Backnanger Hoffnung: Ein schöner Angriff von Deutschland in der 84. Minute, an dessen Ende ein Schuss von Kroos steht, Mexikos Torwart Guillermo Ochoa hat ihn. „Das ist nicht sein ernst, wie der da schießt“, ruft Tim, wirft den Kopf nach hinten, vergräbt das Gesicht hinter seinen Händen und streckt die Beine von sich. Dann fünf Minuten später sind es zuerst Gomez, dann Brandt – erfolglos. „Das kann nicht sein“, fassungslos schüttelt Sandra Schmelcher den Kopf.
Nach dem Schlusspfiff steht Felix auf, lässt einen tiefen Luftzug durch die Zähne und fasst zusammen: „Verdient. Die Mexikaner haben mehr getan, die haben ihre Sache gut gemacht. Das ist kein anderer schuld.“ Auf dem Bildschirm sind die ratlosen Mienen der Nationalelf zu sehen: Sami Khedira, Mario Gomez, Thomas Müller. Ähnlich ist die Stimmung im Backnanger Biergarten. Die ersten machen sich schon auf den Heimweg. Sandra schaut derweil auf die kommenden Duelle: „Na, dann müssen wir schauen, dass wir eben Gruppenzweiter werden können.“