Mikroplastik im Menschen
Die größere Plastikgefahr liegt an Land, nicht im Meer
Kleine Kunststoffpartikel belasten auch die Flüsse in Baden-Württemberg in erheblichem Maße. Teilweise beziehen wir von dort unser Trinkwasser. Ein Karlsruher Unternehmen hat jetzt ein Verfahren entwickelt, um das Plastik in den Kläranlagen abzufischen.
Von Thomas Faltin
Erst gerade ist ein UN-Gipfel in Südkorea zum Plastikmüll gescheitert – vor allem die ölfördernden Staaten hatten ein historisches Abkommen verhindert, das auch die Produktion von Kunststoff gedrosselt hätte. Die meisten Menschen denken bei Plastikmüll an die Ozeane. Jeder kennt die Bilder von Plastikstrudeln auf dem offenen Meer und von völlig verdreckten Stränden. Doch was vielen nicht klar ist: Die größere Gefahr liegt an Land – Mikroplastik kommt mittlerweile überall vor, auch und gerade in den Flüssen, auch in Baden-Württemberg.
Im Plastikatlas des BUND und der Heinrich-Böll-Stiftung heißt es, dass die Verschmutzung von Böden und Binnengewässern mit Mikroplastik vier- bis 23-mal höher sei als im Meer. Katrin Schuhen hat noch höhere Werte gemessen. Die Chemikerin und Gründerin des Start-ups Wasser 3.0 in Karlsruhe sagt: „Im Ozean findet sich im Schnitt ein Partikel Mikroplastik pro Liter – in den Kläranlagen Baden-Württembergs sind es wohlgemerkt nach der Reinigung zehn bis 50 Partikel. In manchen Proben waren es sogar 1000.“ Der Südwesten ist also keineswegs eine Insel der Seligen. Auch die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg hat in allen Flüssen und im Bodensee Mikroplastik nachgewiesen.
So viel Mikroplastik produziert eine Person
Dieses Mikroplastik entsteht in unseren Gefilden teilweise, wenn zum Beispiel Plastikbecher oder -flaschen im Lauf der Zeit zerfallen. Zum überwiegenden Teil stammt es aber vom Reifenabrieb der Autos. Wichtige Quellen sind daneben die Industrie, Kunstrasenplätze und teilweise auch wir alle – Kleidungsstücke zum Beispiel verlieren gerade beim ersten Waschen sehr viele Kunststofffasern, die dann in die Kläranlagen und danach in unsere Flüsse transportiert werden. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts Umsicht aus dem Jahr 2018 produziert jeder Bundesbürger statistisch gesehen 1,4 Kilogramm an großem Plastikmüll, aber zusätzliche vier Kilogramm an Mikroplastik – pro Jahr.
Wie schädlich Mikroplastik für den Menschen ist, kann niemand ganz genau sagen. Die Forschung steht noch am Anfang. Klar ist, dass Kunststoff wie ein Magnet auf Umweltgifte wirkt; das hat ein Projekt der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften nachgewiesen. Schadstoffe gelangen also über das Transportmittel Mikroplastik leichter in den Körper. Womöglich sind sie auch selbst Auslöser von Krankheiten. Offenbar soll jeder Mensch laut einer WWF-Untersuchung wöchentlich über Nahrung, Luft und Wasser rund fünf Gramm Mikroplastik aufnehmen, das entspricht dem Gewicht einer Kreditkarte. Vieles wird über den Darm wieder ausgeschieden. Das Umweltbundesamt weist dennoch darauf hin, dass Mikroplastik in fast allen Organen und Geweben des Menschen nachgewiesen worden ist.
Viele Experten sind jedenfalls der Meinung, es wäre gut, präventiv anzusetzen und Mikroplastik an kritischen Stellen aus der Umwelt zu entfernen. Solche Hotspots sind die Industrie, aber auch Kläranlagen. Derzeit können Kläranlagen viele Partikel zurückhalten, aber bei Weitem nicht alle. Katrin Schuhen hat deshalb in ihrem Unternehmen Wasser 3.0 mit ihrem Team ein neues Verfahren entwickelt. In das bereits geklärte Abwasser in den Kläranlagen wird ein Hybridkieselgel gemischt – es hat die Eigenschaft, dass es Mikroplastik anzieht, verklumpen und aufschwimmen lässt. Nach fünf Minuten muss man die kleinen Klümpchen nur noch abfischen. Sie lassen sich etwa bei der Herstellung von Zement wiederverwenden, sodass man sogar noch Quarzsand spart: „Wir liefern mehr als nur Füllstoff, sondern ersetzen Ressourcen“, so Schuhen.
Fast das gesamte Mikroplastik aus den Abwässern wird so zurückgehalten und gelangt nicht in die Flüsse. Katrin Schuhen schätzt, dass in Deutschland in jeder Kläranlage jährlich 200 bis 500 Kilogramm an Mikroplastik anfällt: Bei 10 000 Anlagen komme da einiges zusammen, was in die Flüsse gelange. In Landau in der Pfalz betreibt das Unternehmen eine Forschungsanlage, ebenfalls bei einigen Industrieunternehmen und seit 2023 auch auf Mykonos. Aber für viele Städte hat der Ausbau der Kläranlagen mit Aktivkohle Vorrang, und solange die Politik keine Vorgaben zu Mikroplastik macht, geschieht wenig. Katrin Schuhen frustriert das: „Auch in anderen Themen laufen wir der Forschung 40 Jahre hinterher. Irgendwann kommt das Mikroplastik auch im Trinkwasser an.“
Derzeit können im Trinkwasser aber tatsächlich keine oder nur unbedeutende Mengen nachgewiesen werden. Wegen des komplizierten Messverfahrens könne zwar keine kontinuierliche Überwachung stattfinden, sagt Bernhard Röhrle, der Sprecher der Landeswasserversorgung (LW). Aber die letzten Werte von 2022 seien unbedenklich, obwohl die LW auch viel Wasser direkt aus der Donau entnimmt. Es werde mit Sand und mit Aktivkohle filtriert: „Durch diese Aufbereitung haben wir das Problem Mikroplastik im Griff“, so Röhrle.
Wasser müsse ein Menschenrecht sein
Das Unternehmen Wasser 3.0 ist übrigens gemeinnützig, das Wissen wird öffentlich geteilt. Wasser müsse ein Menschenrecht sein, sagt Schuhen, kein Wirtschaftsgut. Nur für Dienstleistungen und Forschungsaufträge müssen Nutzer bezahlen.
Zumindest das Umweltministerium in Stuttgart fühlt sich von Schuhens Politikschelte nicht angesprochen. Man unterstütze alle Bemühungen für ein ambitioniertes Plastikmüll-Abkommen, betont Steffen Becker, der Sprecher des Ministeriums. So sei Baden-Württemberg als einziges deutsches Bundesland der von Kanada initiierten „Koalition lokaler und subnationaler Regierungen gegen Plastikverschmutzung“ beigetreten.
Zudem sieht das Land in der Branche einen bedeutenden Wachstumstreiber für die Wirtschaft. Umweltministerin Thekla Walker (Grüne): „Unser Ziel ist, dass die Green-Tech-Branche in Baden-Württemberg die Zukunftstechnologien für globalen Umwelt- und Naturschutz produziert.“ Derzeit erarbeite man mit EU-Mitteln eine Förderung für kleine und mittlere Unternehmen, die sie unterstützt, um etwa auf Sekundärrohstoffe umzustellen oder recyclingfähige Materialien einzusetzen.
Klar ist aber für Katrin Schuhen, für viele Umweltverbände und auch für das Ministerium: Am Ende geht es nicht, ohne die Produktion von Plastik massiv zu drosseln und ohne die Entsorgung besser zu regeln – derzeit werden weltweit noch immer 30 Prozent des Kunststoffs nicht fachgerecht entsorgt. Das entspricht 150 Millionen Tonnen im Jahr. Da sind wir dann wieder in Südkorea und beim gescheiterten UN-Abkommen.
Die gute Nachricht ist: Nächstes Jahr wird weiterverhandelt.