Die Kapitänin geht von Bord
Ein schmerzhafter Abschied: Roosa Koskelo muss ihre Karriere nach der Saison beenden, weil ihr linkes Knie nicht mehr mitspielt. Die Libera des Volleyball-Bundesligisten Allianz MTV Stuttgart will sich unbedingt mit ihrem fünften Meistertitel verabschieden – und in der Stadt bleiben.
Von Jochen Klingovsky
Stuttgart - Das Training in der Scharrena ist vorüber, Roosa Koskelo macht sich fertig für das vereinbarte Interview. „Don’t cry!“, ruft ihr eine Mitspielerin hinterher. Nicht weinen! Die Finnin lächelt. Weil sie genau weiß, dass sie ihre Gefühle nicht lange wird unterdrücken können. „Die Entscheidung, meine Karriere nach dieser Saison zu beenden, habe nicht ich getroffen“, sagt sie kurz danach mit Tränen in den Augen, „es waren die Ärzte.“
Roosa Koskelo steht vor einem Abschied, der schmerzt – der aber zugleich verbunden ist mit der Hoffnung, dass die Schmerzen weniger werden.
Seit 2018 spielt Roosa Koskelo (33) für den Volleyball-Bundesligisten Allianz MTV Stuttgart. Die Libera hat in dieser Zeit keine einzige (!) Partie verpasst, sie war nie verletzt oder krank, die Beständigkeit in Person. Und noch so viel mehr. „Sie ist eine echte Identifikationsfigur geworden, die für den Verein und das Team immer alles gibt“, sagt Kim Renkema, die langjährige Sportdirektorin des Meisters, „die Geschichte, die sie in Stuttgart geschrieben hat, ist märchenhaft.“
Nur das Ende tut richtig weh.
Es ist ihr nicht anzusehen, doch seit zwei Jahren quälen Roosa Koskelo große Schmerzen. Ihr linkes Knie spielt nicht mehr mit. Würde es nur um Volleyball gehen, sie würde sich wohl weiter schinden. Doch mittlerweile spürt sie die Schmerzen ständig, auch im Alltag, in dem sie nichts Schweres mehr heben kann. Dazu kommt, dass die Ärzte sie immer wieder auf das Risiko hinweisen, das sie eingeht. „Wenn ich mich verletze, könnte ein massiver Schaden im linken Knie entstehen und eine große Operation drohen“, sagt Roosa Koskelo, „die Prognose ist, dass alles besser werden könnte, wenn ich den Leistungssport beende. Ich hätte die Leidenschaft und das Leistungslevel, um weiterzuspielen. Doch ich muss aufhören. Und das ist extrem traurig.“ Für sie persönlich. Aber auch für den Verein.
Denn die Frau im orangefarbenen Trikot ist ja nicht nur die Konstante bei Allianz MTV Stuttgart. Sondern ein Gesicht des Erfolgs. Auch dank der herausragenden Leistungen von Roosa Koskelo holte der Club in den vergangenen Jahren acht große Titel (4x Meisterschaft, 2x Pokalsieg, 2x Supercup), die 1,64 Meter kleine Libera wurde zudem zum großen Publikumsliebling. „Sie ist die beste Abwehrspielerin in der Bundesliga, verteidigt einfach phänomenal“, sagt Trainer Konstantin Bitter, „zugleich ist sie ein enorm wichtiger Faktor in unserem Team. Für jeden, der erlebt, wie sie arbeitet und auftritt, ist das ein enormer Gewinn.“
Roosa Koskelo weiß um ihre Rolle. Und doch ist ihr wichtig zu betonen, dass sie nie jemandem etwas vorgespielt hat. „Von mir wurde erwartet, dass ich meine Erfahrung und Persönlichkeit einbringe“, sagt die Libera, die in dieser Saison auch Kapitänin ihrer Mannschaft ist, „dabei hat mir geholfen, dass ich für eine Finnin ziemlich extrovertiert bin. So konnte ich immer ich selbst bleiben – 100 Prozent Roosa.“
Künftig werden nicht nur Konstanz und Können von Roosa Koskelo fehlen, sondern auch ihre Fähigkeit, in den wichtigen Momenten besonders gut zu sein. Wie in jener Play-off-Serie, die sie nie vergessen wird.
Im Mai 2022 hatte der SC Potsdam im vierten Duell zwei Matchbälle, vergab aber die große Chance auf die Meisterschaft. Allianz MTV Stuttgart gewann das Auswärtsspiel im Tiebreak mit 17:15 und anschließend durch ein 3:0 in der Scharrena den Titel. „Ich kann nicht sagen, dass dies der größte Moment war, den ich erlebt habe, denn es gab so viele“, sagt Koskelo, „doch es war ein ganz spezieller Moment. Wir waren schon geschlagen, sind trotzdem zurückgekommen. Das war unglaublich.“ Und doch nur ein Kapitel der märchenhaften Geschichte.
Als Roosa Koskelo vor sieben Jahren aus dem slowenischen Maribor in den Neckarpark wechselte, unterschrieb sie für eine Saison – um die bis dahin größte Chance ihrer Karriere zu nutzen. Und jetzt? „Bin ich immer noch hier. Ich hatte in Stuttgart nicht nur im Sport meine beste Zeit, sondern auch in meinem Leben. 2018 war der MTV ein guter Verein, jetzt hat er einen großen Namen, sogar in der Champions League. Und zugleich ist Stuttgart zu meiner Heimat geworden.“ Oder anders ausgedrückt: Roosa Koskelo ist gekommen, um zu bleiben.
Wenn die Volleyballerin zu ihrer Familie nach Finnland reist, dann fühlt sie sich dort gut, aber auch ein bisschen wie eine Besucherin. Denn ihr Lebensmittelpunkt ist Stuttgart, wo sie einen Partner und viele Freunde hat. Nun will sie hier auch beruflich Fuß fassen. Tief in ihrem Herzen hatte die ausgebildete Sportlehrerin gehofft, noch eine Saison spielen zu können. Irgendwie. Dieses Jahr fehlt ihr nun bei der Jobsuche. Roosa Koskelo würde gerne etwas in den Bereichen Sport, Marketing oder Eventorganisation machen, genauere Pläne gibt es noch nicht. „Ich bin auf der Suche und optimistisch“, sagt sie, „es werden sich Möglichkeiten ergeben.“ Doch zuvor hat sie noch ein anderes Ziel.
Roosa Koskelo will ihre Karriere unbedingt mit einem Sieg beenden, am liebsten in der Scharrena. Das würde den fünften Meister-Titel bedeuten. „Ich bin überzeugt, dass wir mehr als gut genug sind, um das zu schaffen“, sagt die Anführerin, die noch nicht weiß, ob und wie oft sie nächste Saison bei Heimspielen auf der Tribüne sitzen wird: „Es wird hart sein, nicht mehr auf dem Feld zu stehen. Wenn ich komme, liegt es an meiner Liebe zum Volleyball. Und wenn nicht, dann auch.“ Schmerzen wird es so oder so.