Die Kreisverwaltung wünscht sich kein flächendeckendes Tempo 30

Der Rems-Murr-Kreis schließt sich dennoch der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angemessene Geschwindigkeiten“ an.

Die Ortsdurchfahrt der Gemeinde Oppenweiler ist eine 30er Zone obwohl sie eine Bundesstraße (B14) ist. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Die Ortsdurchfahrt der Gemeinde Oppenweiler ist eine 30er Zone obwohl sie eine Bundesstraße (B14) ist. Foto: Tobias Sellmaier

Von Martin Winterling

Rems-Murr. Autofahren im Allgemeinen und Tempo 30 im Speziellen ist für viele Menschen ein Reizthema. Das zeigte einmal mehr der Tagesordnungspunkt vier, bei der die im Allgemeinen recht debattenmüden Kreisrätinnen und Kreisräte bei ihrer Sitzung in Waiblingen unerwartet aufs Gas drückten. Es ging um den Beitritt des Rems-Murr-Kreises zu der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angemessene Geschwindigkeiten“. Also ums Auto. Um mehr kommunale Entscheidungskompetenz, Tempo-30-Zonen auszuweisen.

Den Auftakt zur Diskussion machte Jochen Haußmann (FDP/FW), der als ausgewiesener Freund des Automobils vor Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Städten warnte. Denn die Schleicherei auf Hauptverkehrsstraßen könne auch die Busse ausbremsen und Autofahrer dazu verführen, in Wohngebiete auszuweichen. Beifall aus den Reihen von CDU und FDP/FW.

Es geht darum, die kommunale Ebene Entscheidungen treffen zu lassen

Astrid Fleischer (Bündnis 90/Die Grünen) fragte Haußmann, wo denn der stete liberale Wunsch nach mehr Liberalisierung geblieben sei. Stehe die FDP jetzt bloß noch für freie Fahrt für freie Bürger – oder für die Möglichkeiten, die Menschen ganz liberal vor Ort entscheiden zu lassen, wie schnell auf ihren Straßen gefahren werden darf?

Klaus Riedel (SPD) meinte, dass manche über die Initiative offenbar gern falsche Eindrücke verbreiten würden. Rein sachlich gehe es darum, die kommunale Ebene Entscheidungen treffen zu lassen. Und mit Blick auf die Lärmaktionspläne, die derzeit erarbeitet werden, könnten auf Autofahrer vermehrt Geschwindigkeitsbegrenzungen zukommen. Nicht nur auf innerörtlichen, sondern auch auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen.

Armin Mößner, Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion, räumte ein, dass seine Fraktion in dieser Frage gespalten sei, sich aber „im Sinne der kommunalen Entscheidungsmöglichkeiten“ mehrheitlich für den Beitritt zur Initiative ausspreche.

Am Ende votierten 46 Kreisrätinnen und Kreisräte überwiegend aus den Reihen der Grünen, SPD, Freien Wähler und Teilen der CDU für den Beitritt; 27 waren dagegen (FDP/FW und AfD).

Um was geht es bei der Initiative, der inzwischen mehr als 800 Kreise, Städte und Gemeinden beigetreten sind, etwa Stuttgart, Esslingen, Ludwigsburg und Remseck sowie aus dem Kreisgebiet unter anderem Aspach, Althütte und Großerlach? Der Waiblinger Gemeinderat hatte mit knapper Mehrheit gegen einen Beitritt votiert.

Der Bundesminister legt sich fest

Die Initiative fordert in ihrem Positionspapier vom Juli 2021 den Bund auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können, wo sie es für notwendig erachten. Derzeit legt die Straßenverkehrsordnung bundesweit fest, dass dies nur bei örtlichen Gefahrenstellen, Schutz vor Lärm und Immission und zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung möglich ist. „Die Landkreisverwaltung unterstützt das Bestreben, die Lebensqualität in Städten und Gemeinden zu erhöhen, bereits seit vielen Jahren“, heißt es in der Sitzungsvorlage. Durch die Förderung klimafreundlicher Mobilitätsformen, zahlreiche Projekte wie die „Mission 2022“ für mehr emissionsfreien Lieferverkehr und die Erstellung eines Klimamobilitätsplans für den gesamten Landkreis werde die Verkehrswende im Rems-Murr-Kreis konsequent vorangetrieben. „Auch die Reduzierung der zulässigen Geschwindigkeit kann hierbei einen Beitrag leisten.“ Die Betonung liegt auf „kann“, erklärte Verkehrsdezernent Stefan Hein. Es gehe ausdrücklich nicht um ein flächendeckendes Tempo 30 in Städten und Gemeinden, sondern „um die Möglichkeit, die Kommunen zu stärken“.

Erst kürzlich hatte Bundverkehrsminister Volker Wissing die Initiative ausgebremst. Bei einem Gespräch mit Vertretern der Initiative erteilte er der Forderung vieler Städte, innerorts Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit festzulegen, eine klare Absage. Im Zuge der geplanten Reform des Straßenverkehrsgesetzes solle den Kommunen jedoch mehr Handlungsspielraum eingeräumt werden. „Die Landkreisverwaltung schließt sich der fachlichen Position des Bundesministeriums für mehr Spielraum, aber gegen flächendeckende Regelungen an.“ Auch als Mitglied der Initiative entscheide man über Geschwindigkeitsreduzierungen „weiterhin nur auf Grundlage der geltenden StVO“. Und die setzt Tempo 30 eben enge Grenzen.

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Erstellt:
13. Juli 2023, 06:00 Uhr

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