Die Murr-Regatta bis Backnang und dann immer weiter bis ins Meer

Wenn das Ziel der Regatta zum Start wird: Axel Bauer und fünf Freunde wollen am kommenden Samstag so richtig durchstarten. Die Murr-Regatta mit drei selbst gebauten Booten zu überstehen, ist nur ein kleines Abenteuer im Vergleich zu dem, was ihnen bevorsteht – die Weiterfahrt durch Neckar und Rhein bis zur Nordsee.

Noch haben sie keine Handbreit Wasser unterm Kiel, die drei selbst gebauten Boote von Kevin Geißler und Michael Schwarz (Boot I), Axel Bauer und Martin Koschinat (Boot III) sowie in Boot II Julian Hofer und Marco Dell’Oso (von links). Der erste gemeinsame Stapellauf in den Neckar nur wenige Stunden nach dem Fototermin verlief erfolgreich. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Noch haben sie keine Handbreit Wasser unterm Kiel, die drei selbst gebauten Boote von Kevin Geißler und Michael Schwarz (Boot I), Axel Bauer und Martin Koschinat (Boot III) sowie in Boot II Julian Hofer und Marco Dell’Oso (von links). Der erste gemeinsame Stapellauf in den Neckar nur wenige Stunden nach dem Fototermin verlief erfolgreich. Foto: Tobias Sellmaier

Von Florian Muhl

Backnang. Eine Schnapsidee? Ein Hirngespinst, das in einer rauchigen Bierlaune Gestalt angenommen hat? Ganz und gar nicht. Axel Bauer und fünf seiner dicksten Kumpel wandern die Murr entlang, von deren Ursprung bis zu ihrer Mündung in den Neckar. „Warum das Wasser der Murr nicht vom ersten Tropfen bis zum Meer begleiten?“, gibt der 29-Jährige die Gedanken wieder, die den sechs Backnanger Wanderern durch den Kopf gingen. Und wenn schon bis zur Nordsee, dann in einem richtig guten Boot. Das war vor drei oder vier Jahren. Die Idee lässt sie nicht los. Konkrete Planungen beginnen Mitte vergangenen Jahres. Und wenn schon ein solches Abenteuer, dann wäre doch die Murr-Regatta die optimale Startveranstaltung für die knapp 800 Kilometer lange Flussreise.

Die Freunde kennen sich bereits seit dem Kindergarten und der Schulzeit

Die sechs jungen Männer – die meisten sind 30 Jahre alt, kennengelernt haben sie sich alle zu Kindergarten- und Schulzeiten – haben bei der Juze-Juxboot-Regatta bereits hautnah reichlich Erfahrungen gesammelt. Ob gute, wollten oder konnten die Hobbybootsbauer spontan nicht beantworten. Auf jeden Fall intensiv seien die Erfahrungen gewesen. Im Schnitt war jeder bereits dreimal dabei. Und mit an Bord auch der ein oder andere Tropfen Alkohol.

Zunächst machen sich die beiden Handwerker des Sextetts im Herbst vergangenen Jahres Gedanken über ihre Wasserfahrzeuge. Axel Bauer aus Backnang, von seinem Team auch schmunzelnd „Admiral zur See“ genannt, ist Zimmerermeister in Ausbildung. Martin Koschinat aus Aspach-Völkleshofen, mit seinen 26 Jahren mit Abstand der Jüngste der Seeleute, hat seinen Zimmerermeister bereits in der Tasche. Für beide ist also Holz das Baumaterial erster Wahl. Auch Christoph Kolumbus hatte vor über 500 Jahren auf dem Weg nach Indien in einem Holzschiff Amerika entdeckt. Doch in Internetzeiten ist Recherche im weltweiten Netz angesagt. So kommen Bauer und Koschinat rasch vom Holz weg. Ozeanriesen werden seit Jahrzehnten aus Stahl gebaut. Auch die beiden Zimmerer setzen auf Metall, aber auf eine Leichtbauvariante, auf Platten aus Aluminium.

Während des Unterrichts mit CAD-Programmen die Boote geplant

In der Meisterschule in Stuttgart nutzen sie die vorhandene Hard- und Software und gestalten mittels eines CAD-Programms ihre kleinen Kähne. „Meistens in der Pause oder während des Unterrichts“, erklärt Koschinat, während die anderen ein Lachen nicht unterdrücken können. „Und dann haben wir ein 1:2-Modell aus Pappe gebaut.“ Von Anfang an war klar: Sechs Mann und drei Boote, das heißt pro Boot zwei Mann Besatzung.

Ihre Boote haben die Abenteurer durchnummeriert, nach der Reihenfolge, wie sie fertig wurden. In Boot I sitzt Kevin Geißler. „Ich sorge für kulinarische Highlights unterwegs“, sagt der 30 Jahre alte ausgebildete Koch aus Backnang. Der Smutje verspricht unter Zeugen: „Sauerbraten mit Spätzle, das wird’s auf jeden Fall irgendwann geben.“ Zweiter Mann im ersten Boot ist Michael Schwarz. Wenn der 30-jährige Backnanger nicht Boote baut, managt er den Fuhrpark der Backnanger Firma Telent. Boot II teilen sich zwei gebürtige Backnanger, die die Murr-Metropole allerdings verlassen haben. Beide wohnen sie in Stuttgart-Vaihingen und arbeiten dort als Softwareentwickler.

„Das Schweißen der Aluplatten war das Einzige, was wir nicht selbst gemacht haben“, erklärt Julian Hofer. Ansonsten ist alles Eigenarbeit. Und das Ergebnis: Alle Boote sind gleich, aber manche sind gleicher. Unterschiede gibt’s beispielsweise bei der Art der Steuerung – mit Pinne oder mit Lenkrad – und auch bei der Motorleistung. Während zwei kleinere Motoren zum Einsatz kommen, fünf und acht PS stark, liefert der dritte Antrieb vom Baujahr 1969 bemerkenswerte 35 PS. Ausreichend für den Fall, das Boote auch mal in Schlepp genommen werden müssen. Die Motoren allerdings kommen erst im Neckar zum Einsatz, wenn die Murrmündung bei Marbach am Neckar passiert ist.

Die Sonne liefert Strom fürs Ankerlicht

Jedes Boot verfügt über ein Solarpaneel und eine Autobatterie sowie eine sogenannte Powerstation. So sind wahlweise zwölf oder 220 Volt stets verfügbar. „Wir brauchen Strom für Ankerleuchten und Positionsleuchten nachts“, sagt Bauer. „Außerdem wollen wir ja unterwegs auch unsere Handys laden und so. Das hier“, der Admiral zur See deutet auf ein 200-Watt-Paneel, „das ist ein sehr großes, das reicht locker auch noch für die Kühlbox.“ Jeweils ein Paneel kommt aufs Dach und dient so auch als Schattenspender. Alles ist dabei, neben Anker, Erste-Hilfe-Ausrüstung und Paddel und so weiter auch ein Klappfahrrad für die entfernteren Einkäufe unterwegs. Geschlafen wird in Häfen, Bootshäusern und auf Campingplätzen. Dafür sind auch Zelte mit an Bord. Richtig spannend wird’s bei Rheinkilometer 1000, wenn langsam Rotterdam angefahren wird und die riesigen Containerschiffe immer näher kommen. Nur 33 Kilometer weiter... der Traum geht in Erfüllung, das offene Meer ist erreicht.

Bereits an der Murr-Regatta scheitern,das ist für die Abenteurer keine Option

Auf die Frage, was ist, wenn sie die Murr-Regatta nicht schaffen, ist Marco Dell’Oso nicht gefasst. „Das ist keine Option“, sagt der Softwareentwickler noch etwas verblüfft. Michael Schwarz erinnert sich ans vergangene Jahr: „Das war eine Katastrophe, unser Boot ist vollgelaufen.“ Plötzlich werden Erinnerungen wach. „Wir haben mal den Captain-Morgan-Gedächtnispreis gewonnen“, meint Martin Koschinat. Kevin Geißler muss lachen und erklärt: „Den gab’s für besondere seefahrerische Leistungen.“ Aber auch der Umweltpreis für das Aufsammeln des meisten Mülls unterwegs ging schon mal an eine Besatzung der Freunde.

Dass aber dieses Mal ein Boot volllaufen wird, die Gefahr besteht nicht, aus zwei Gründen. „Die Murr hat nicht mehr so viel Wasser wie früher, dieses Jahr wahrscheinlich auch nicht. Man muss ganz, ganz viel tragen“, sagt der Zimmerer. Zudem nehmen die sechs Freunde diesmal nicht mit Juxfahrzeugen teil. Alles ist bis ins letzte Detail überdacht. Sogar an die Tragehilfen wurde gedacht, pro Boot sind es zusätzlich vier Freiwillige. Aber für die Murr benötigen die Skipper zwei Tage. „Ob das auch unsere Helfer schon wissen?“, fragt Marco Dell’Oso in die Runde. Betretenes Schweigen. Ahoi.

Fünf Kilometer von Oppenweiler-Zell bis nach Backnang

Murr-Regatta Die 36. MurrRegatta veranstaltet das Juze am Samstag, 8. Juli. Nach der Anmeldung, die um 11 Uhr auf den Murrwiesen bei Oppenweiler Zell beginnt, starten die ersten Boote von dort gegen 13 Uhr. Die rund fünf Kilometer lange Strecke führt durch die Backnanger Innenstadt bis zum Jugendzentrum in der Mühlstraße 3. Dort ist auch die Siegerehrung (schnellstes Boot, kreativstes Boot, Umweltpreis und noch ein paar spontane Preise). Zwei der Regeln sind, dass die Wasserfahrzeuge selbst gebaut sein müssen und keinen Motor haben dürfen.

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Erstellt:
4. Juli 2023, 06:00 Uhr

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