Die scheußlichen Eisenbahnmodelle sind die Lieblinge
Sammellust (16) Modelleisenbahnfan Dietrich Frischkorn hat einst allein in der Kategorie Spur 0 über 115 Lokomotiven besessen. Der 79-Jährige repariert und wartet die alten Modelle, die er aus aller Herren Länder in seinem Dachgeschoss in Burgstall zusammengetragen hat.
Von Matthias Nothstein
Burgstetten. Menschen, die Modelleisenbahnen als ihr Hobby auserkoren haben, sind oft seit frühester Kindheit mit dem Eisenbahnvirus infiziert. Bei Dietrich Frischkorn war dies anders. Der heute 79-Jährige war schon verheiratet, als er mit seiner Frau vor einem Schaufenster stand und bemerkte, „ich hätte auch gerne einmal eine Modelleisenbahn“. Damals wohnte das Paar in Wilhelmshaven, Frischkorn hatte sich zehn Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet.
Kurz darauf erhielt der Starfighterpilot von seiner Frau eine Modelleisenbahn geschenkt. Einen Zug bestehend aus einer Lokomotive und drei Wagen und einigen Schienen. Dazu noch ein Bahnhofsgebäude als Modell. Doch selbst danach hatte das Eisenbahnsammelvirus noch nicht die Herrschaft über Frischkorn errungen. Die Minianlage wurde aus Platzmangel zuerst einmal im Schlafzimmer aufgebaut. Als dann dem Paar 1969 ein Sohn geschenkt wurde, erweiterte der junge Soldat die Anlage ein bisschen. Am Ende war es eine Platte, die man runterklappen konnte. Und etwas Landschaft war auch schon dabei.
Aber das alles war nichts im Vergleich zu dem, was Frischkorn dann ab 1975 aufbaute. Damals zog er in sein Elternhaus nach Burgstall und fand dort unterm Dach ausreichend Platz für seine Eisenbahnen. Und so wuchs die Sammlung. Recht schnell schwenkte der Betriebswirt auf die größere Spur 0 um. Spätestens ab der Mitte der 80er-Jahre war dieser Modelltyp der Schwerpunkt der Sammlung, die typische H0-Anlage geriet dagegen unter dem Gesichtspunkt des sammlerischen Werts recht schnell ins Hintertreffen, auch wenn sie heute noch – was den Platz angeht – den größeren Teil des 40 Quadratmeter großen Dachzimmers belegt.
Die Lokomotive aus der UdSSR war nie als Spielzeug gedacht
Das Herz Frischkorns schlug jedoch für die etwas größere Variante. Bis vor wenigen Jahren besaß er etwa 115 Loks der Spur 0, davon etwa 80 Züge mit mindestens drei Waggons. „Ich wollte von möglichst vielen Ländern eine Lok mit mindestens drei Waggons haben“, so der Sammler, der Exemplare aus der UdSSR, Ungarn, Portugal, Spanien, Italien, Frankreich, der Schweiz, England, der DDR, Dänemark, der Tschechoslowakei, Indien oder Japan besitzt. Zu jedem Sammelstück kann der Burgstaller eine interessante Geschichte erzählen. Etwa zu der wuchtigen Lokomotive aus der Sowjetunion, die kiloschwer in der Hand liegt und ursprünglich gar nicht als Spielzeug gedacht war, sondern als Lehrstück für die Pioniere, die für Technik und insbesondere für das Eisenbahnwesen begeistert werden sollten. So wurden die Züge nie frei verkauft. Dafür wurden sie umso mehr zu Weihnachten an Funktionärskinder ausgegeben. Die Freude darüber dürfte sich in Grenzen gehalten haben, denn es gab neben der Lok nur drei unterschiedliche Waggons und einen Bahnhof. Auch die Vielfalt der Schienen hielt sich eher in engen Grenzen.
Das älteste Modell ist aus dem Jahr 1910
Um ein Komplettbild der Technik abzubilden, kaufte sich Frischkorn im Laufe der Jahre auch Modelle von allen Spurweiten, die der Markt hergab. So stehen heute in einer Vitrine winzige Märklin-Züge der Spur Z (Maßstab 1:220), Arnold-Züge der etwas größeren Spur N oder vom DDR-Hersteller Zeuke Exemplare der Spur TT. Und neben den Sammelschwerpunkten Spur 0 und H0 auch Modelle der Spur 1 von Lionel aus den USA (Maßstab 1:32) oder der für den Garten gedachten Spur G, der größten Variante herkömmlicher Modellbahnen. Auch Züge mit Uhrwerkantrieb drehen zuweilen ihre Runden, ebenso wie das älteste Modell Frischkorns, ein Lok der Firma Issmayer aus dem Jahr 1910.
Wer sich nun vorstellt, Frischkorn würde in seinem Dachboden vor einem Dutzend Trafos sitzen und seine Züge im Kreis fahren lassen, der irrt gewaltig. Mehr als die Nutzung der Modelleisenbahnen ist ihm das Reparieren und Warten der Lokomotiven, Anhänger, Schienen und der Technik ans Herz gewachsen. „Ich kaufe am liebsten, wenn etwas kaputt ist. Dann repariere ich es und freue mich daran, wenn es wieder funktioniert.“ Oft ist der einstige Vertriebsleiter in seinem Dachgeschoss untergetaucht. Manchmal jeden Tag für mehrere Stunden, dann auch wieder einmal tagelang gar nicht. „Für mich ist das kein Spielzimmer, sondern eher ein Labor.“ Wenn Frischkorn die defekten Lokomotiven erfolgreich repariert hat, wendet er sich dem nächsten Sorgenkind zu: „Wenn eine Lok repariert ist, ist der Reiz vorbei.“
Frischkorn, der während des Zweiten Weltkriegs in Gumbinnen in Ostpreußen geboren wurde, teilt die Sammler selbst in drei Kategorien ein: „Es gibt Vitrinensammler, die nur kaufen, um zu besitzen. Es gibt Spielesammler, die kaufen, um die Züge fahren zu lassen. Und es gibt Reparatursammler, die ihre Freude daran haben, Dingen wieder zum Laufen zu bringen. Zu diesen gehöre ich.“
Zwei Loks sind selbst gebaut
Der Burgstaller liebt „alles, was außerhalb der Norm ist“. Das können auch Dinge sein, die anderen nicht gefallen. „Mir geht es immer um Modelle, die ausgefallen sind. So habe ich etwa eine Lok von der Firma BLZ, die ist scheußlich, das ist nur ein Klotz aus Metall.“ Trotzdem ist sie eines seiner Lieblingsstücke seiner Sammlung. „Mir gefallen Dinge umso mehr, je primitiver sie gebaut sind, vor allem wenn sie dann auch noch funktionieren.“ Mit einem Schmunzeln im Gesicht schildert der ehemalige Pilot zum Beispiel die Funktionsweise eines Flugzeugs aus Japan. Ein kleiner Elektromotor sowie verschiedene Schneckengetriebe und Spiralfedern sorgen dafür, dass bei dem Modell erst die beiden äußeren Propeller starten, dann die inneren, dann drehen sich die Räder, als würde der Flieger zur Startbahn rollen, später stehen die Räder wieder, als würde die Maschine fliegen. Und das Ganze auch wieder andersrum, bis alles wieder ruht. Da passt es ins Bild, dass der technikaffine Senior auch zwei Loks selbst gebaut hat. „Die eine ist mir misslungen, die wurde am Ende viel zu groß. Aber beide Modelle funktionieren. Bei der einen kann man noch erkennen, dass ich das Blech eines Kaffeedose benutzt habe.“ Perfekt sind die Eigenfabrikate nicht, zumal Frischkorn nur einfachste Werkzeuge benutzt hat, „Experten würden darüber lachen“.
Trennung von den einzelnen Stücken
Doch die schwarzen Schafe sind Frischkorns Favoriten. So hat es ihm auch das Desaster der Firma Distler mit den Drehstrommodellen angetan. Als die Firma in den 50er-Jahren ihre Drehstrommodelle als Neuheit auf den Markt warf, waren diese mit den seitherigen Gleichstrom- und Wechselstrommodellen nicht kompatibel. Ein Umstand, der trotz der Vorteile – „ein Drehstrommotor geht nie kaputt“ – dazu führte, dass die Produktion nach drei, vier Jahren mangels Nachfrage wieder komplett eingestellt wurde. Frischkorn wundert sich heute noch: „Was haben die damals gedacht? Dass alle anderen ihre etablierten Systeme über Bord werfen?“
Seit einigen Jahren trennt sich Frischkorn Stück für Stück von seiner Sammlung, zu der auch Blechspielzeugautos gehören. Die H0-Anlage besteht nur noch aus etwa 15 Zügen, sie hat dem Besitzer zufolge auch keinen großen finanziellen Wert. Von den Zügen der Spur 0 besitzt er noch etwa 75 Loks, meist mit drei Wagen, davon sind viele in Regalen gelagert, einige sogar in den Originalkartons. Und auch die geschmähten Distler-Züge befinden sich heute noch in der Sammlung von Frischkorn. Das passt ins Bild, denn die schwarzen Schafe sind schließlich seine Lieblinge.