„Die SPD leidet unter der GroKo“
Hitzige Diskussionen in der Partei nach Nahles-Rücktritt – Gernot Gruber hofft auf Mitgliederbefragung zur Nachfolge

© Jörg Fiedler
Die bisherige Parteivorsitzende und Fraktionschefin der SPD, Andrea Nahles, bei einem Besuch vor vielen Jahren in Backnang. Damals war sie noch SPD-Generalsekretärin. Nach ihrem Rücktritt nun einige Statements von Genossen aus Backnang und Umgebung. Foto: J. Fiedler
Von Armin Fechter
BACKNANG. Sommerhitze draußen, hitzige Debatten drinnen: In der SPD gehen die Meinungen auseinander, was nach dem Rücktritt von Andrea Nahles werden soll. Während etwa der Schwaikheimer SPD-Kreisrat Alexander Bauer fordert, die Große Koalition müsse „zügig beendet“ werden, warnt der Backnanger Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Staatssekretär Christian Lange vor überstürztem Handeln.
Erste Weichenstellungen hat der Parteivorstand bereits gestern beschlossen. Danach soll die SPD vorerst von einem Trio geführt werden: von den Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und dem stellvertretenden Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel aus Hessen. In der Fraktion wird wohl der stellvertretende Vorsitzende Rolf Mützenich Führungsaufgaben übernehmen. Diese vier sollen laut Lange den Übergang bis zur Wahl eines Partei- beziehungsweise Fraktionsvorsitzenden organisieren.
Ganz unabhängig davon, wie sich die potenziellen Kandidaten dazu stellen, können viele sich Malu Dreyer als neue Parteivorsitzende vorstellen, so etwa der Kreisvorsitzende Jürgen Hestler. Zugleich geht die Sorge um, ob die 58-Jährige diese Aufgabe in gesundheitlicher Hinsicht schultern kann. Sie hat aber auf jeden Fall, sagt der Weissacher, „das Gespür für die Leute“. Da macht Hestler im Rückblick gewisse Defizite aus: Nahles sei nicht die allergrößte Rednerin, sie habe, obwohl sie gute Sacharbeit geleistet habe, nie den „Flow“ bekommen, habe nicht die charismatische Wirkung nach außen entfaltet. Das bestätigt Gernot Gruber. Der Backnanger Landtagsabgeordnete erinnert an etliche „unglückliche Auftritte“ und an die gesunkenen Sympathiewerte für Andrea Nahles. Gleichzeitig warnt er aber auch davor, wenn es schlecht läuft, die Schuld bei Einzelnen abzuladen. Vielmehr beobachtet er extreme Polarisierungen, sei es beim Klimaschutz, sei es beim Thema Flüchtlinge. Da hätten es Volksparteien mit ihren differenzierten Positionen besonders schwer. Hestler sieht aber noch andere Effekte: Die Menschen heute, glaubt er, reagieren weniger auf Inhalte als auf Emotionen und Personen. Und: „Der Zeitgeist ist grün. Du wirst gewählt, wenn du diese Emotionen bedienst.“
Gleichzeitig hadert der Kreisvorsitzende mit der mangelnden Resonanz in der Bevölkerung. „Viele Menschen haben einen Nutzen von den Maßnahmen, die die SPD angestoßen und durchgesetzt hat“, hält Hestler fest – beispielsweise schon bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und der Rente nach 45 Beitragsjahren. „Die GroKo ist besser als ihr Ruf“, erklärt auch Gernot Gruber. In der Partei herrsche aber großer Frust, weil die Wähler dies nicht honorierten, wie die Verluste bei der Europawahl zeigten. Die gute Arbeit werde durch viel zu viel Streit überlagert. „Wir müssen uns wirklich Gedanken machen, ob die SPD am Erfolg gescheitert ist“, räsoniert unterdessen Hestler und konstatiert: „Die SPD leidet unter der GroKo.“
Große Koalitionen führten immer dazu, dass die Ränder erstarken, beschreibt Gernot Gruber das Problem. Dann komme es zu Polarisierungen und wie gesagt zu einem Erstarken der politischen Ränder, die den koalierenden Partnern zu schaffen machen. Im Grunde wäre es deshalb aus Grubers Sicht besser gewesen, wenn nach der letzten Bundestagswahl die zunächst anvisierte Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP gekommen wäre. Nach dem Scheitern dieser Gespräche habe man dann die Große Koalition vereinbart. „Es ist richtig und wichtig, eine funktionierende Regierung zu haben“, erklärt der Landtagsabgeordnete und warnt vor italienischen Verhältnissen.
Anders beurteilt Jürgen Hestler die Lage. „Ich war für die GroKo“, blickt er zurück; aus staatspolitischer Verantwortung hatte er diese Haltung eingenommen. Doch mittlerweile ist bei ihm Skepsis aufgekeimt. „Das geht nicht mehr lange gut“, befürchtet er. Allerdings werde die SPD dann die GroKo nicht wie die FDP 1982 die sozialliberale Koalition aus parteitaktischen Gründen verlassen. Vielmehr gehe es darum, „unsere Dinge durchzusetzen“, sagt Hestler und fügt an: „Wenn nicht, geht’s nicht.“
Es sei vereinbart, ruft er in Erinnerung, dass nach zwei Jahren Regierungsarbeit eine Zwischenbilanz gezogen werden soll. Dann werde sich zeigen, wie die SPD in der GroKo dasteht. Hestler hegt auch Vorbehalte zu einer Konstellation, wie sie mit Nahles bestanden hatte, als Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Hand lag: Wenn man in der Regierung ist, sagt er, dann geht das nicht – Nahles habe diesen Spagat nicht hingebracht. Das sieht auch Gernot Gruber so: Diese Ämter müssten auf zwei Personen verteilt sein, um die Breite der Partei darzustellen. Anders in der Opposition: Da sei es sinnvoll, so Hestler, dass der Kanzlerkandidat auch die Fraktion führt.
Wer aber soll nun das Ruder in der Partei übernehmen? „Wir können nicht alle halbe Jahre einen neuen Vorsitzenden wählen“, mahnt Hestler Geschlossenheit und personelle Kontinuität an. Gruber hat gleichfalls hohe Erwartungen: Er hofft auf kompetente Bewerber, die sich einer Mitgliederbefragung unterwerfen.
Mahnende Worte kommen auch von Christian Lange: „Die These, dass, wenn die SPD aus der GroKo aussteigt, die Wahlergebnisse besser werden, kann ebenso wenig belegt werden wie die These, dass, wenn die SPD in der GroKo bleibt, die Ergebnisse weiter schlechter werden.“ Mit Blick auf Wahlergebnisse in den Nachbarländern warnt er vor einer gefährlichen Entwicklung für Europa: Die Populisten von links und rechts seien auf dem Vormarsch. Für Deutschland hält Lange fest: „Wir werden europaweit für unsere stabile Regierung beneidet.“ Und die hat ein festes Programm vor sich: „Diese Woche werden wir noch das Einwanderungsgesetz beschließen, wofür die SPD seit Jahrzehnten kämpft. Ich finde es noch wichtig, dass wir die Grundrente unter Dach und Fach bringen, damit kleine Rentnerinnen und Rentner im Alter anständig leben können. Außerdem muss der Solidaritätszuschlag für 90 Prozent der Menschen ebenfalls abgeschafft werden. So haben wir es im Koalitionsvertrag verabredet. Mit unserer Umweltministerin Svenja Schulze müssen wir auf jeden Fall bis Weihnachten das Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen, damit wir die Klimaziele wenigstens bis 2030 erreichen können. Es geht also um konkrete Inhalte, denn Regieren ist kein Selbstzweck.“

„Wichtig ist, dass wir uns jetzt erst einmal Zeit lassen und nichts überstürzen.“
Christian Lange, Backnang, parlamentarischer Staatssekretär