„Die Talaue in Unterweissach darf nicht bebaut werden“
Die Mitglieder des Offenen Grünen Treffs in Weissach haben jetzt ein Bürgerbegehren angestoßen. Ziel ist es, eine Bebauung am Brüdenbach zu verhindern. Die Initiatoren führen sowohl den Hochwasserschutz als auch den Umweltschutz als Gründe an.
Von Armin Fechter
WEISSACH IM TAL. In dieser Woche hat die Unterschriftensammlung begonnen, die als erste Stufe zum Bürgerbegehren erforderlich ist. Dieses richtet sich gegen Überlegungen, den Bau neuer Seniorenpflegeeinrichtungen auf der Grünfläche zwischen dem bestehenden Gemeindepflegehaus in den Brüdenwiesen und dem Brüdenbach zu ermöglichen. Der Gemeinderat hat dazu in einer Sitzung am 22. Dezember vergangenen Jahres den Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan „Brüdenwiesen-Nord“ gefasst. Dieser Beschluss soll – so das Ziel des Bürgerbegehrens – wieder zurückgenommen werden. „Die Talaue darf nicht bebaut werden“, erklärt beispielsweise Ingrid Teufel. Man müsse die Lehren aus Katastrophen wie im Ahrtal 2021 ziehen.
Reinhard Knüdeler ist überzeugt, dass die für teures Geld im Weissacher Tal errichteten Hochwasserdämme – einer davon am Brüdenbach knapp außerhalb von Unterweissach – nicht ausreichen werden, um ein extremes Hochwasser zurückzuhalten. Er erinnert an die Überflutungen von 2011, als die Wassermassen trotz des neuen Schutzbeckens in den Ort strömten, als der Marktplatz komplett überschwemmt war und nur noch wenige Zentimeter bis zur Jahrhundertflut von 2002 fehlten. Auch wenn die Hochwasserschutzmaßnahmen inzwischen weiter verbessert wurden, steht für ihn fest, dass die Freiflächen entlang des Brüdenbachs nicht geopfert werden dürfen. Wasser, das nicht zurückgehalten wird, könne sich dort ausbreiten und versickern, erläutert Claudia Gollor-Knüdeler. Immerhin liege dort, so Knüdeler weiter, eine HQ-10-Fläche vor, also ein Überschwemmungsgebiet für ein Hochwasser, wie es statistisch alle zehn Jahre auftreten kann. Wichtig sei dies im Übrigen auch für das Grundwasser, ergänzt Peter Haußmann, der damit an die Folgen der heißen Sommer und der zu trockenen Winter erinnert.
Die Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger könnten in dem ausgewählten Verfahren eingeschränkt werden
Gleichzeitig geht es um den ökologischen Aspekt, wie Alexander Ludwig hervorhebt. Für ihn habe sich die Frage gestellt: Wie kann man dem Umweltschutz zu seinem Recht verhelfen? Das Problem liegt dabei in dem gewählten Bebauungsplanverfahren selbst. Die Gemeinde will bei den nördlichen Brüdenwiesen nach dem Paragrafen 13b des Baugesetzbuchs vorgehen, das eine beschleunigte Abwicklung ermöglicht. Beschleunigung bedeute aber zugleich, so Knüdeler, dass die Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürger ebenso wie die verpflichtende Umweltprüfung eingeschränkt werden.
Nicht ohne Grund läuft etwa der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg Sturm gegen die Sonderregelung, spricht von „Sündenfall“ und beklagt einen „Dammbruch“ im Baurecht. Die nördlichen Brüdenwiesen aber ragen wie eine lange grüne Zunge fast bis in die Ortsmitte hinein, schwärmt Knüdeler – ein Punkt, den auch Dorothee Knaupp unterstreicht, denn in der einstigen Weissacher Umweltbilanz seien ja die für den Ort bedeutsamen Frischluftschneisen beschrieben worden.
Die Gemeinde will mit dem Bebauungsplan die Voraussetzungen schaffen, dass die örtlichen Pflegeeinrichtungen mit ihren insgesamt 76 Plätzen Möglichkeiten zur Erweiterung und Modernisierung haben. „Wir wollen den Pflegestandort erhalten“, erklärt auch Alexander Ludwig – und wenn dazu ein Neubau nötig sei, wolle man dies auch unterstützen. Es dürfe aber keinen Kompromiss zu Lasten der Umwelt geben, mahnt er. Ebenso warnt Ingrid Teufel: „Wir müssen aufpassen. Der Umweltschutz darf nicht gegen soziale Belange ausgespielt werden.“
Bis 21. März werden mehr als 400 Unterschriften benötigt
Die Initiatoren des Bürgerbegehrens verweisen deshalb im Gespräch auf Alternativen, die in Betracht gezogen werden sollten. Auch wenn solche Überlegungen nicht Bestandteil des Bürgerbegehrens sind, so werden sie dennoch diskutiert, etwa die Möglichkeit einer Aufstockung bestehender Bauten, eine Befreiung von der Landesheimbauverordnung, die den Weiterbetrieb vorhandener Räumlichkeiten erlauben würde, oder auch ein Neubau auf einer anderen Fläche im Umfeld der Bestandsbauten, etwa in Richtung evangelisches Gemeindehaus oder in Richtung Unterbrüden.
Für das Bürgerbegehren drängt allerdings die Zeit. Insgesamt drei Monate stehen ab dem beanstandeten Beschluss zur Verfügung, davon ist ein großer Teil schon verstrichen. Innerhalb der verbleibenden Zeit müssen die Initiatoren erreichen, dass sieben Prozent aller wahlberechtigten Weissacher ihre Unterschrift auf die Liste setzen – das sind über 400. Unterschriftsberechtigt sind dabei Personen ab dem 16. Lebensjahr, die in der Gemeinde Weissach im Tal mit Hauptwohnsitz leben und die Staatsbürgerschaft Deutschlands oder eines anderen Staates der Europäischen Union besitzen. Ziel ist es, die gesammelten Unterschriften bis 21. März zu übergeben. Im nächsten Schritt ist der Gemeinderat gefordert. Er überprüft dann, ob das schriftlich eingereichte Bürgerbegehren zulässig ist. Dabei geht es nicht um den Inhalt, sondern allein um die formale Richtigkeit. Ist das Begehren zulässig, leitet der Gemeinderat einen Bürgerentscheid ein. Hinfällig wird dieser Bürgerentscheid nur dann, wenn der Gemeinderat die im Bürgerbegehren verlangte Maßnahme übernimmt.
Streit ums Ochsenareal Der Fall nördliche Brüdenwiesen ist nicht der erste, bei dem die Gemeinde mit einem Bürgerbegehren konfrontiert wird. Vor nunmehr fast 20 Jahren gingen die Wogen im Streit um die Bebauung des Ochsenareals in Unterweissach mit Seniorenwohnungen so hoch, dass eine Initiative ebenfalls diesen Weg beschritt. Damals wurden ähnliche Argumente angebracht: Der Ochsengarten solle als grüne Oase erhalten bleiben und die Bebauung solle im Interesse des Hochwasserschutzes nicht zu nahe an die Weissach heranreichen.
Lösung Die Angelegenheit konnte ohne Bürgerentscheid beigelegt werden, nachdem der 2007 neu gewählte Bürgermeister Ian Schölzel einen Investor gefunden hatte, der eine reduzierte Bebauung umsetzen wollte. Für ihren positiven Umgang mit dem Bürgerbegehren wurde die Gemeinde im Folgejahr vom Verband „Mehr Demokratie“ mit der „Demokratie-Rose“ ausgezeichnet.