Eine Trauerrednerin berichtet von ihrem Beruf
Saskia Kähny hat sich als freie Rednerin und Trauerbegleiterin selbstständig gemacht. Das Verabschieden von Verstorbenen und die Arbeit mit den Hinterbliebenen empfindet die gebürtige Backnangerin als zutiefst sinnstiftend.
Von Kai Wieland
Backnang/Stuttgart. „Ich glaube daran, dass wir alle verbunden sind und die Dinge zur richtigen Zeit passieren, und ich glaube auch nicht an Zufälle.“ Saskia Kähny sitzt in einem Café in Backnang und nippt an ihrem Pfefferminztee. Sie spricht von dem ungewöhnlichen beruflichen Neuanfang, den sie im Jahr 2021 nach 13 Jahren im Personalbereich der Firma Daimler gewagt hat. Bei aller Zufriedenheit mit ihrem damaligen Beruf sei in ihr irgendwann der Gedanke gereift, dass das noch nicht alles gewesen sein könne. „Ich habe gespürt, dass noch etwas anderes mit meinem Leben passieren wird.“ Mit diesem Gefühl sollte sie recht behalten.
Saskia Kähny ist freie Rednerin und Trauerbegleiterin. Diese berufliche Umorientierung habe sich nicht abgezeichnet, auch wenn sie schon immer gerne auf Bühnen gestanden, Vorträge gehalten und moderiert habe, verrät die gebürtige Backnangerin. Heute lebt sie in Stuttgart, aufgewachsen ist sie in Auenwald und Althütte. Letztlich kam der Beruf durch die Begegnung mit einer freien Rednerin zu ihr: „Durch diese Begeisterung, mit der sie davon erzählt hat, war es für mich sofort klar.“
Der Beruf ist nicht geschützt – wer will, kann von heute auf morgen damit beginnen. Saskia Kähny ließ sich dennoch von einer freien Rednerin ausbilden, nahm Kurse in Rhetorik und kreativem Schreiben und besucht nach wie vor viele Workshops und Fortbildungen. Der Lohn für diese Mühen besteht in dem, was ihr die Arbeit mit Hinterbliebenen und Trauernden zurückgibt: „Es ist wahnsinnig sinngebend und erfüllend, Menschen in einem solchen Moment in ihrem Leben zu begleiten. Die Trauer ist deshalb mein Thema.“
Mit der Harley auf den Friedhof und mit dem AC/DC-Shirt ans Grab
Wer Saskia Kähny im Gespräch erlebt, mag sich angesichts ihrer morbid anmutenden Profession über ihr positives, lebenslustiges Auftreten wundern. „Ich werde häufig gefragt, ob es mich nicht runterzieht, ständig mit Tod und trauernden Menschen zu tun zu haben“, bestätigt sie lächelnd. „Aber mir gibt es tatsächlich wahnsinnig viel, wenn ich erlebe, dass ich Menschen mit meiner Präsenz in dieser Situation helfen kann.“
Es sind keineswegs nur Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, für die Kähny Trauerreden spricht und Abschiedszeremonien leitet. Das treffe nur auf die Hälfte der Fälle zu, sagt sie, der Rest gehöre einer der christlichen Kirchen an. Aus welchen Gründen entscheiden sich die Menschen für eine freie Rednerin? „Ich glaube, es hat damit zu tun, dass ich mehr Zeit habe, um mich so lange mit der Familie auszutauschen, bis alles gesagt ist und ich den Verstorbenen wirklich erfasst habe“, vermutet Kähny. Zudem hat sie in der Ausgestaltung der Rede und des Ablaufs mehr Freiheiten, da sie keiner liturgischen Ordnung folgen muss. „Ich kann mich zu 100 Prozent auf die Person einlassen, mein Fokus ist der Mensch.“ Ihr oberstes Ziel sei es, Leichtigkeit und auch Frieden in den Moment zu bringen. „Schwer ist es eh schon, ich will es nicht noch schwerer machen.“
Das bedeutet auch, dass die Trauerrednerin sich bisweilen mit ungewöhnlichen Wünschen seitens der Hinterbliebenen oder der Verstorbenen selbst konfrontiert sieht, die sie stets zu erfüllen versucht. Als unmachbar habe sich dabei bislang noch nichts erwiesen. „Auf dem Friedhof ist mehr erlaubt, als man gemeinhin denkt. Wir sind schon mit einer Harley ans Grab gefahren. Ich stand auch mal im AC/DC-Shirt vor einer Trauergemeinde. Und für einen leidenschaftlichen Lkw-Fahrer haben seine Kollegen vor dem Friedhofstor beim Herablassen der Urne gehupt. Das war natürlich mit dem Ortsvorstand abgeklärt“, berichtet sie. Das seien die Momente, bei denen ihr das Herz aufgingen. „Wenn die Person im Leben so gewesen ist, dann sollte doch auch der Abschied so sein.“
Ihre Reden schreibt Saskia Kähny gerne in Cafés, umgeben von plaudernden Menschen, denen seit jeher ihr Interesse gilt. „Ich bin im besten Sinne neugierig“, gibt sie lachend zu. Ein Grundgerüst gebe es nicht, sie beginne immer vor einem leeren Papier, um dem einzelnen Menschen gerecht zu werden. Aus den Gesprächen mit den Angehörigen kennt sie zu diesem Zeitpunkt oft bereits die Liedwünsche, die sie sogleich nutzt, um dem Menschen näherzukommen. „Jeder Verstorbene hat bei mir eine Spotify-Playlist“, erklärt sie. „Wenn ich eine Rede schreibe, geht es nie um den Lebenslauf. Mir geht es darum, welches Gefühl der Mensch bei anderen hinterlassen hat.“
Eine Zeremonie gemeinsam mit einem katholischen Pfarrer
Im Übrigen verschließt sie sich nicht vor christlichen Aspekten: „Wenn die Familie ein Vaterunser beten möchte, dann beten wir. Ich bin eine freie Rednerin, aber trotzdem kann die Zeremonie ganz christlich werden.“ Einmal habe sie sogar eine Zeremonie gemeinsam mit einem katholischen Pfarrer gehalten, auf ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen. „Auch Pfarrer können sehr schöne, persönliche Trauerfeiern halten, wenn sie offen sind und sich die Zeit nehmen“, stellt sie klar.
Ob sie selbst religiös sei? Mit dieser Frage tut sich Saskia Kähny schwer. „Ich bin aus der Kirche ausgetreten, habe aber wieder zu meinem Glauben gefunden und einfach eine große Ehrfurcht vor dem Leben. Vielleicht kann man sagen, dass ich nicht religiös bin, aber gläubig.“
Die beiden Leistungen, die Saskia Kähny anbietet – das Verabschieden von Verstorbenen und die Begleitung von Trauernden – werden oft, aber nicht immer im Paket in Anspruch genommen, erzählt sie. Die Trauerbegleitung ist auch online möglich, sodass ihre Klienten teilweise über die Homepage und ohne vorherigen Kontakt zu ihr finden. Ganz bewusst wählt sie in diesem Kontext nicht das Wort „Patient“: „Ich bin keine Therapeutin“, betont sie. „Wenn jemand infolge eines Verlusts an Depressionen oder einer anhaltenden Trauerstörung leidet, bin ich nicht die Richtige.“ Allerdings nutzten viele ihre Dienste, während sie auf einen Therapieplatz warteten.
Die Menschen, die Kähnys Hilfe beim Umgang mit einem Verlust suchen, spüren zwar ebenfalls oftmals einen Leidensdruck durch die Trauer. Der Tod eines geliebten Menschen liegt aber meist schon einige Monate oder gar länger zurück. „Die ersten Tage und Wochen danach wollen sich die meisten Menschen noch gar nicht so eng damit beschäftigen. Sie müssen sich noch sortieren und sind eher in einem Schockzustand“, erklärt die Trauerbegleiterin. Manchmal sei es ein Tod im Kollegenkreis, der unverarbeitete Trauer über einen verlorenen Menschen aus dem engsten Umfeld wieder hochspüle, oder es fehle schlicht ein Gesprächspartner. „Von Trauernden wird viel erwartet, vor allem wenn der Todesfall schon einige Zeit her ist“, sagt Saskia Kähny. „Es heißt dann, sie sollten sich nicht so anstellen, wieder einmal mit ausgehen, und das Umfeld will meist auch nicht ständig etwas von Trauer und Verlust hören.“ Für solche Menschen ist die Trauerbegleitung gedacht. Diese findet vor allem in Form von Gesprächen statt, aber Saskia Kähny hat auch kreative Ansätze und vor allem so viel Zeit, wie notwendig ist. „Trauer ist ein Prozess, bei dem es mal aufwärts geht und dann wieder bergab, nach links oder nach rechts und dann wieder fünf Schritte zurück“, erklärt sie.
Die Hinterbliebenen sollten bestimmte Trauertage ganz bewusst zelebrieren
Ein hilfreiches Mittel, um mit der Trauer umzugehen, seien Trauertage – das könne der Totensonntag, aber auch ein persönlicher Tag wie der Geburtstag oder der Todestag des Verstorbenen sein. „Diesen Tag sollte man dann ganz bewusst zelebrieren“, rät Saskia Kähny. „Bewusst auf den Friedhof gehen, das Lieblingsessen des Verstorbenen kochen, in Erinnerungen an ihn schwelgen: Das ist wichtig, um in Verbindung zu bleiben, und hilft bei der Verarbeitung.“
Nicht immer geht es dabei um einen Menschen, der bereits gestorben ist. Auch mit der sogenannte Vortrauer, also dem Trauern um einen Menschen, der schwer krank ist, kommt Saskia Kähny häufig in Berührung und das nicht nur beruflich. „Ich bin davon selbst betroffen, weil meine Mutter pflegebedürftig ist“, erklärt sie. Auch der frühe Tod ihres Vaters hat ihr Erleben von Trauer und Verlust sehr geprägt. Ihr selbst hätte damals eine solche Begleitung auch sehr geholfen, glaubt sie. „Mein großer Wunsch ist es, dass man zukünftig so selbstverständlich zur Trauerbegleitung geht wie heute zum Zahnarzt.“ Der Weg dorthin sei zwar noch weit, doch in den vergangenen Jahren habe sich bereits eine Menge bewegt.