Die Vier-Tage-Woche bleibt im Rems-Murr-Kreis eine Rarität

Um für Arbeitskräfte und Azubis attraktiver zu sein, locken der Handwerksbetrieb Komfortbau Hunger und das Aspacher Bauunternehmen Lukas Gläser seit einem Jahr mit einem freien Freitag. Die Erfahrungen sind bei beiden Firmen positiv, trotzdem gibt es bisher kaum Nachahmer.

Seit mehr als einem Jahr haben Selina Diem und Alexander Trentzsch fast jeden Freitag frei. Das neue Arbeitszeitmodell der Aspacher Firma Komfortbau Hunger macht in der Region aber noch nicht Schule. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Seit mehr als einem Jahr haben Selina Diem und Alexander Trentzsch fast jeden Freitag frei. Das neue Arbeitszeitmodell der Aspacher Firma Komfortbau Hunger macht in der Region aber noch nicht Schule. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Aspach. Mit einem solchen Medienrummel hatte Sebastian Hunger nicht gerechnet. Kurz nachdem vor gut einem Jahr die ersten Artikel über die Einführung der Vier-Tage-Woche – unter anderem in dieser Zeitung – erschienen waren, stand das Telefon bei der Firma Komfortbau Hunger aus Allmersbach am Weinberg nicht mehr still. Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender aus ganz Deutschland wollten über das neue Arbeitszeitmodell berichten. „Das war ein regelrechter Tsunami“, erinnert sich der Geschäftsführer. Einen Großteil der Anfragen lehnte Hunger allerdings ab, schließlich muss er einen Betrieb mit rund 60 Beschäftigten leiten und hat deshalb keine Zeit für tägliche Interviews.

Diejenigen, die er damals ansprechen wollte, hat er aber trotzdem erreicht. Nachdem er in den Jahren zuvor trotz großer Anstrengungen kaum qualifiziertes Personal gefunden hatte, flatterten nun plötzlich bis zu 30 Bewerbungen pro Woche ins Haus. Auch heute melden sich noch regelmäßig Interessenten. Acht davon hat das Unternehmen inzwischen eingestellt, „fast alles Vor- oder Facharbeiter“, wie Sebastian Hunger berichtet. Der 2003 gegründete Handwerksbetrieb hat sich auf Altbausanierungen spezialisiert und sucht vor allem Maler, Stuckateure und Trockenbauer.

Wer freitags und samstags arbeitet, bekommt 50 Euro Bonus

Die Vier-Tage-Woche, die zunächst probeweise für sechs Monate eingeführt wurde, bietet das Aspacher Unternehmen nun dauerhaft an. „Die Erfahrungen sind durchweg positiv“, berichtet Sebastian Hunger. Das neue Arbeitszeitmodell bietet den Beschäftigten hohe Flexibilität: Statt fünfmal acht Stunden können diese jetzt viermal neun Stunden arbeiten und haben dann jeden Freitag frei. „Etwa 65 Prozent nutzen das immer, weitere 20 Prozent gelegentlich“, erzählt der Firmenchef.

Um die Lohneinbußen für die nach Stunden bezahlten Mitarbeiter zu reduzieren, bezahlt ihnen die Firma nun zusätzlich eine steuerfreie Mehraufwandsentschädigung von zehn Euro pro Tag. Wer freitags oder samstags arbeitet, bekommt 50 Euro Bonus. Vor allem bei Beschäftigten aus dem Ausland ist dieses Angebot beliebt. Hunger hatte deshalb auch noch nie Probleme, Freiwillige zu finden, wenn ein wichtiger Auftrag noch vor dem Wochenende abgeschlossen werden musste.

Bessere Schulnoten durch den freien Freitag

Eine Vier-Tage-Woche gibt es seit vergangenem Jahr auch beim Großaspacher Bauunternehmen Lukas Gläser – dort allerdings nur für Auszubildende im gewerblichen Bereich. Das Unternehmen reagierte damit auf sinkende Bewerbungszahlen auf diese Lehrstellen. „In der Baubranche ist es schwierig, neue Leute zu finden. Deshalb müssen wir andere Wege gehen“, erklärt Ahmet Sarizeybek, der für die Ausbildung zuständig ist. Auch bei Lukas Gläser ist die Rechnung aufgegangen: Die Bewerberzahlen sind wieder gestiegen. „Das ist ein schöner Pluspunkt, mit dem wir bei Ausbildungsmessen werben können“, sagt Sarizeybek. Und es gibt noch einen positiven Nebeneffekt: „Die Schulnoten unserer Azubis sind besser geworden.“ Denn viele von ihnen nutzen den freien Freitag offenbar auch zum Lernen.

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Und wie kommt die Sonderbehandlung der Azubis in der Belegschaft an? Natürlich gebe es auch Mitarbeiter, die für die reduzierten Arbeitszeiten der jungen Kollegen wenig Verständnis haben, räumt Ahmet Sarizeybek ein. „Aber es ist doch besser, wenn wir einen Azubi für vier Tage haben als gar keinen.“ Außerdem sollte der Schwerpunkt während der Ausbildung aus seiner Sicht ohnehin beim Lernen und weniger beim Arbeiten liegen. Wer mit der Ausbildung fertig ist, muss dann aber auch bei Lukas Gläser fünf Tage pro Woche arbeiten. Eine Ausweitung der Vier-Tage-Woche auf alle Beschäftigten ist aktuell kein Thema. Und auch die kaufmännischen Azubis haben keinen freien Freitag. Da diese jede Woche feste Berufsschultage haben, wären sie sonst zu selten im Betrieb.

Trotz der positiven Erfahrungen in den beiden Aspacher Unternehmen gibt es in der Region bislang kaum Nachahmer. Bei Sebastian Hunger haben zwar etliche Chefs von anderen Unternehmen angerufen und sich nach seinem neuen Arbeitszeitmodell erkundigt. Allerdings weiß er von keinem, der daraufhin auch tatsächlich die Vier-Tage-Woche eingeführt hat. Der Chef von Komfortbau Hunger bedauert das: „Ich denke, das wäre eine Chance, die Attraktivität des Handwerks zu steigern.“ Gerne hat er sein Modell deshalb auch schon bei Innungsversammlungen und vor der Handwerkskammer präsentiert.

Handwerkskammer und IHK sind skeptisch

Dort stoßen die Pläne bislang aber auf Skepsis: „Wir haben im Vorstand darüber diskutiert, halten das im Moment aber noch nicht für das Gelbe vom Ei“, sagt der stellvertretende Kreishandwerksmeister Herbert Titze. Vor allem in kleineren Betrieben hält der Chef einer Zimmerei in Kleinaspach die Vier-Tage-Woche nicht für praktikabel: „Wenn wir einen Dachstuhl aufstellen, können wir nicht am Donnerstagabend sagen: Wir kommen am Montag wieder.“

Auch bei der Industrie- und Handelskammer sieht man in einer Vier-Tage-Woche keine Patentlösung. „Für einzelne Unternehmen mag das passen, aber in vielen Firmen wird so ein Modell den Anforderungen nicht gerecht“, sagt David Fais. Der stellvertretende Leiter der Bezirkskammer Rems-Murr plädiert stattdessen für „flexible und passgenaue Arbeitszeitregelungen für jedes Unternehmen“. Dazu gehört für ihn auch, dass die Beschäftigten in Zeiten hoher Auslastung bereit zu Mehrarbeit sind.

Wunsch nach mehr Freizeit

Studie Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat 2023 eine Studie zum Thema Vier-Tage-Woche durchgeführt. Das Ergebnis der Befragung mit mehr als 2.500 Teilnehmenden: Rund 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten wünschen sich eine Vier-Tage-Woche. Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen. Acht Prozent würden ihre Arbeitszeit auch reduzieren, wenn dadurch das Entgelt geringer ausfällt.

Pilotprojekt In Deutschland läuft seit dem 1. Februar 2024 die bisher größte heimische Pilotstudie zur Vier-Tage-Woche, an der knapp 50 Unternehmen teilnehmen. Dabei wird getestet, welche Auswirkungen die reduzierte Arbeitszeit auf die Produktivität und die Gesundheit der Beschäftigten hat. Wissenschaftlich begleitet wird das Experiment von der Universität Münster.

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Erstellt:
22. März 2024, 06:00 Uhr

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