Die Wiedergeburt des Handschlags

Während der Coronapandemie war es verpönt, seinem Gegenüber die Hand zu geben. Die Geste galt als Ansteckungsquelle Nummer eins und wurde ersetzt durch die Coronafaust oder den Ellenbogengruß. Jetzt ist der Handschlag wieder zurück.

OB Maximilian Friedrich reicht seinem Gegenüber gerne die Hand, so wie hundertfach getan beim Neujahrsempfang. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

OB Maximilian Friedrich reicht seinem Gegenüber gerne die Hand, so wie hundertfach getan beim Neujahrsempfang. Foto: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. Der Handschlag war bis vor Kurzem ein allgegenwärtiges Zeichen der Wertschätzung und der Sympathie. Man gab sich die Hand zur Begrüßung und gratulierte zu Erfolgen oder besiegelte sogar Verträge damit. Doch dann kam Corona. Plötzlich war der Handschlag verpönt und geradezu verboten. Er wurde als Quelle der Virenübertragung par excellence entlarvt. Aufwendige Aufklärungsbroschüren und -videos zeigten, wie man sich die Hände richtig waschen soll. Alternativen zur Begrüßung wie die Coronafaust oder der Ellenbogen feierten Hochkonjunktur und viele dachten damals, der Handschlag wird für immer Geschichte sein.

Doch weit gefehlt. Die friedvolle Geste feiert gerade rund um die aktuellen Neujahrsempfänge fröhliche Urständ. Jüngstes lokales Beispiel war der Empfang der Großen Kreisstadt Backnang im Bürgerhaus, bei dem das Defilee nach den Ehrungen verdienter Bürger parallel zur Stürmung auf das Buffet zur Tradition gehört. Oberbürgermeister Maximilian Friedrich und seine Gattin Kerstin schüttelten Dutzende, ja vermutlich sogar Hunderte Hände. Und vor dem Empfang und vor allem hinterher bei Häppchen und Sekt taten alle Gäste eifrig das Gleiche. Wobei alle einte: Der Griff zum Desinfektionsmittel, vor Monaten noch gang und gäbe, scheint ein vergessener Reflex aus alten Zeiten zu sein.

Jens Steinat ist nicht nur Allgemeinmediziner in Oppenweiler, sondern auch Vorsitzender der Backnanger Ärzteschaft und Kreis-Pandemiebeauftragter. Für ihn gehört der Handschlag in der Praxis für immer der Vergangenheit an. Und er betont, dass dies unabhängig von Corona ohnehin sinnvoll ist in einer Arztpraxis, wo sich Infizierte naturgemäß und ganz bildlich die Klinke in die Hand geben. „Als Mediziner tragen wir Verantwortung für unsere Patientinnen und Patienten und dazu gehört es auch, selbst gesund zu bleiben, damit man selbst nicht ausfällt und sich die Versorgungslage bei bestehendem Hausärztemangel nicht weiter verschärft. Wir wollen zudem auch keine Infektionen weitergeben.“

Das oberste Gebot lautet: Sich mit den Händen nicht ins Gesicht fassen

Anders verhält es sich für Steinat im privaten Umfeld. Zwar ist der Mediziner auch dort sehr vorsichtig und trägt bei Großveranstaltungen wie etwa dem Backnanger Neujahrsempfang Maske, aber im kleinen Rahmen reichen ihm die üblichen Hygienemaßnahmen zum Schutz aus. Will heißen: Er verzichtet im Bekannten- und Freundeskreis nicht auf den Handschlag, sondern versucht, mit Händewaschen und Desinfizieren der Viren Herr zu werden. Zudem beherzigt er das Gebot, sich nicht ohne gewaschene Hände ins Gesicht zu fassen oder zu essen. Steinat: „Wer diese Tipps in seinem Alltag berücksichtigt, der kommt wohl unbehelligt über die Runden. Und dann steht einem Handschlag auch nichts entgegen.“

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Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich freut sich darüber, dass der Handschlag wieder praktiziert wird: „Für mich ist ein kraftvoller Händedruck auch ein Symbol einer respektvollen Begrüßung oder Verabschiedung. Eines der prominentesten Beispiele hierfür dürfte das Defilee beim Neujahrsempfang sein, bei dem meine Frau und ich Hunderte Hände geschüttelt haben.“ Gleichwohl akzeptiert Friedrich aber auch alle Formen der Begrüßung oder Verabschiedung von Menschen, die nach wie vor auf diese Geste verzichten wollen oder gesundheitlich bedingt darauf verzichten sollten.

Die Backnanger Allgemeinmedizinerin Ute Ulfert zeigt sich überrascht, „wie schnell wir alle wieder zum Händeschütteln zurückgekommen sind“. Während der Pandemie hatte sie vermutet, dass der Handschlag in der Gesellschaft „unüblicher“ werden würde. Doch die Ärztin hat die Erfahrung gemacht: „Inzwischen kommt es im privaten und öffentlichen Umfeld nicht mehr so gut an, die Hand zu verweigern. Es ist auch schwierig, diese Verweigerung konsequent durchzusetzen.“ Laut Ulfert kann es sinnvoll sein, weiterhin Desinfektionsspender aufzustellen, speziell dann, wenn es Essen gibt. In ihrer Hausarztpraxis gibt Ulfert niemandem die Hand, „außer beim Testen der Kraft“. Und das gilt für das gesamte Team und das wird auch so bleiben. Dieser Verzicht ist „angesichts der vielen Infekte sinnvoll“, so Ute Ulferts Fazit.

Für die Übertragung von Krankenhauskeimen spielen die Hände die größte Rolle

Torsten Ade ist nicht nur der Chefarzt der Notaufnahme am Rems-Murr-Klinikum Winnenden, sondern auch Klinikhygieniker. Für ihn sind die Hände der Hauptüberträger für Infektionen. Zwar gibt es auch noch die Übertragung über Aerosole und Tröpfchen, aber für die Übertragung von Krankenhauskeimen spielen die Hände die größte Rolle. Ade verweist auf Studien, wonach sich jeder Mensch drei- bis viermal pro Stunde ins Gesicht fasst und dabei meistens die Nase, den Mund oder das Auge berührt. Über diesen direkten Schleimhautkontakt gelangen Krankheitserreger wie das Coronavirus am schnellsten in den Körper.

Ade: „Deswegen ist die strikte Einhaltung der Handhygiene in einem Krankenhaus so wichtig. Die Rems-Murr-Kliniken legen hierauf auch besonders viel Wert und beteiligen sich an der Aktion Saubere Hände. Hier haben wir im vergangenen Jahr das Silberzertifikat erreicht. Für die nächste Periode streben wir Gold an.“ Für den Handschlag bedeutet das laut Ade: „Dieser ist nicht verboten. Allerdings sehen die Hygienevorschriften vor, dass man sich bei Patientenkontakt vorher und hinterher die Hände desinfiziert, also auch beim Handschlag. Dies könnte als unfreundlich oder geradewegs beleidigend empfunden werden. Daher ist die klare Empfehlung aus klinischer Sicht: Am besten verzichtet man weiterhin auf den Handschlag zur Begrüßung.“

Rems-Murr-Landrat Richard Sigel gibt den Menschen gerne wieder die Hand: „Für mich ist ein Handschlag auch ein Teil unserer Begrüßungskultur in Deutschland. Folglich finde ich das Comeback auch gut. Aus meiner Sicht kann ein Handschlag Wertschätzung vermitteln, auch helfen, Stimmungen wahrzunehmen und mit Menschen ins Gespräch zu kommen.“

Foto: AdobeStock/eventkind
Das Händeschütteln

Ritual In vielen westlichen Ländern ist das Händeschütteln beziehungsweise der Handschlag – zumeist mit der rechten Hand – ein gängiges nonverbales Begrüßungs- und Verabschiedungsritual. In anderen Kulturen ist es hingegen traditionell unüblich oder auf gleichgeschlechtliche Kontakte – insbesondere unter Männern – beschränkt.

Keine Waffe Ein Vorläufer des Handschlags ist vermutlich das Winken, das ursprünglich wohl dazu diente, dem Gegenüber zu demonstrieren, dass man keine Waffen mit sich führt. Im Gegensatz zum Winken kommt beim Händeschütteln noch der unmittelbare Körperkontakt hinzu. Als noch intimer können – je nach Kultur – die Umarmung und der Wangenkuss gesehen werden.

Kräftiger Druck In der westlichen Welt gilt beim Händeschütteln ein kräftiger Händedruck gewöhnlich als ein Zeichen für Selbstbewusstsein, Kraft und Willensstärke. Ein sehr schwacher Händedruck kann indes negative Assoziationen hervorrufen. In anderen Regionen, vor allem in asiatischen Ländern, gilt ein starker Händedruck hingegen als unhöflich grob.

Infektionen Aus gesundheitlicher Sicht ist das Händeschütteln insbesondere mit Personen, die nicht dem eigenen Haushalt angehören, aus Gründen des Infektionsschutzes umstritten. Beim Händeschütteln werden solche Erreger weitergegeben, die durch Tröpfchen- und Schmierinfektion übertragen werden können.

Knigge Die goldene Regel aus Knigge-Sicht lautet: „Bis fünf Personen reicht man die Hand. Ist die Gruppe größer, reicht ein ,Grüß Gott‘ in die Runde.“ Wer infiziert ist, soll sagen: „Ich gebe euch heute nicht die Hand“, und dies kurz begründen.

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Erstellt:
20. Januar 2023, 06:00 Uhr

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