Die Wünsche und Sehnsüchte sind gleich
Auch für Menschen mit Behinderung sind Liebe und Beziehung wichtige Themen. Die Paulinenpflege hat für sie spezielle Veranstaltungen zum Kennenlernen konzipiert. Zum Valentinstag erzählen Cindy und Alfred von ihrer Beziehung.
Von Lorena Greppo
BACKNANG/WINNENDEN. Das erste Date von Cindy und Alfred aus Winnenden hat gar nicht gut gestartet. „Alfred hat sich verlaufen“, erzählt Cindy grinsend. Sie hat es ihm offenbar nicht nachgetragen. Als sie sich dann endlich trafen, sei ihr erster Eindruck von Alfred eindeutig gewesen: „Wow!“ Der 33-Jährige schmunzelt, als er das hört. „Ich dachte auch: ganz sympathisch“, sagt er. Seit fast sieben Jahren sind die beiden ein Paar und vor drei Jahren haben sie zusammen eine Wohnung in der Paulinenpflege bezogen. Beide haben eine leichte geistige Behinderung, man nennt es auch eine Lernbehinderung, Cindys Gaumenspalte erschwert ihre Aussprache zudem etwas.
Ob der Partner auch ein Behinderung hat, habe für die beiden jedoch keine Rolle gespielt, sagen sie. Alfred hatte zuvor auch schon eine Partnerin ohne Handicap. „Das macht keinen Unterschied“, sagt er. „Wir haben festgestellt, dass es gut passt, wenn beide Partner eine Behinderung haben“, sagt Marion Grimm, die als Sozial- und Sexualpädagogin bei der Paulinenpflege in Winnenden arbeitet. Das sei wenig verwunderlich, man sehe schließlich auch oft Paare aus dem gleichen beruflichen oder sozialen Umfeld. „Da hat man schon mal Gemeinsamkeiten.“ Gemischte Partnerschaften seien eher die Ausnahme.
Eine gemischte Partnerschaft ist eher die Ausnahme.
Das hat auch mit Vorbehalten nicht behinderter Menschen zu tun. „Es macht da aber einen Unterschied, ob es sich um eine körperliche oder geistige Behinderung handelt“, sagt die Expertin. Körperlich behinderte Menschen seien eher in einer gemischten Partnerschaft. Allerdings, weiß sie auch, wünschen sich viele ihrer Klienten einen Partner ohne Behinderung. „Gerade für Gehörlose ist es einfach praktisch, wenn der Partner dolmetschen kann.“ Eine Bekannte, die in einem Rollstuhl sitzt und einen gesunden Mann hat, höre oft, wie froh sie sein kann, ihn zu haben. Über solche Aussagen ärgert sich Marion Grimm: „Das ist abwertend, so als hätte nur sie Vorteile von der Beziehung. Dabei ist es ein Geben und Nehmen, wie in jeder anderen Beziehung auch. Er kann doch auch froh sein, so eine tolle Partnerin zu haben“, findet sie.
Grundsätzlich, sagt Grimm, sei Dating für Menschen mit Behinderung gar nicht so anders: „Die Wünsche und Sehnsüchte sind die gleichen. Ein Partner für Zweisamkeit, womöglich eine Familie – das ist auch bei uns ein Thema.“ Unglückliche Singles in der Paulinenpflege wenden sich daher an sie, denn Marion Grimm gibt den Bewohnern der Paulinenpflege Rat in Form von Flirtseminaren oder ermutigt sie zum Besuch eines Herzcafés oder einer Herzparty.
Mit Spielen und Aktionen wird die Kontaktaufnahme erleichtert.
Diese Veranstaltungen sind speziell für Menschen mit Behinderung konzipiert. Auch Bewohner anderer Einrichtungen wie die Diakonie Stetten oder die Lebenshilfe werden dazu eingeladen. „Unter normalen Umständen kommen bis zu 100 Gäste zu den Partys“, erzählt Marion Grimm – bei Kaffee und Kuchen im Herzcafé oder zum abendlichen Tanzen auf der Herzparty. Die Paulinenpflege will damit einen Rahmen schaffen, der es Menschen mit Behinderung erleichtert, sich wohlzufühlen. „Speeddating sieht dann bei uns anders aus“, sagt Grimm. Ihren Klienten mit geistiger Behinderung falle schnelles Reden oft nicht leicht, weshalb sie statt fünf Minuten beispielsweise 20 Minuten mit einer Person verbringen. Auch legen die Organisatoren Notizzettel mit möglichen Gesprächsthemen aus, falls die Unterhaltung ins Stocken kommt. Durch gemeinsame Spiele und Aktionen wird die Kontaktaufnahme zudem erleichtert. Coronabedingt muss mit diesen Veranstaltungen zurzeit pausiert werden.
Cindy und Alfred haben zwar an den Herzpartys nie teilgenommen – beide sind keine Partygänger, erklären sie. Sie verbringen ihre Abende lieber mit gemeinsamem Kochen und Fernsehen. Zusammen haben sie aber schon Paarseminare mit Marion Grimm besucht. In der Gruppe machen die Paare Ausflüge oder themenbezogene Kochkurse, lernen sich kennen und tauschen ihre Erfahrungen in einer Beziehung aus. „Das gibt dann öfters einen Aha-Effekt für andere“, weiß Marion Grimm. Damit, dass sie zusammen wohnen, sind Cindy und Alfred eher die Ausnahme. Sie erzählen dann davon, wie es klappt. Die Aufgaben im Haushalt teilen sie sich auf: „Ich koche und putze viel“, erklärt Cindy. Alfred, der als Einzelhandelskaufmann im Lebensmittelhandel arbeitet, erledigt beispielsweise die Einkäufe oder jene Aufgaben, für die Cindy zu klein ist.
Die beiden arbeiten aktiv an ihrer Beziehung. „Wenn wir streiten, überlegen wir danach, wie man so eine Situation besser machen kann“, berichtet Cindy. Der Umgang miteinander sei in den Paarseminaren ein wichtiges Thema, sagt Marion Grimm. Was tun, wenn’s mal kracht? Wie zeige ich meinem Partner, was ich an ihm mag? Und: Wie stellen wir uns die Zukunft zusammen vor?
Auch für manche Paare sei der Corona-Lockdown eine echte Feuerprobe gewesen. Als im vergangenen Jahr die Heime für Besucher geschlossen wurden, hätten sich manche Paare, die in verschiedenen Einrichtungen leben, über Monate nicht gesehen. Und für die Singles hat es das Kennenlernen erschwert. Viel muss daher nun online stattfinden – auch dabei brauchen manche Klienten Marion Grimms Hilfe. „Vielleicht sind Menschen ohne Behinderung raffinierter darin, schöne Bilder von sich zu machen“, sagt sie. Aber nicht nur praktische Tipps hat sie parat, auch beim Einschätzen von Situationen brauchen manche ihrer Klienten Hilfestellung. „Für sie ist es nicht so leicht, zu durchschauen, dass vielleicht nicht jedes Profil echt ist.“ Für die Sozialpädagogin und ihre Kollegen stehe daher auch der Schutzgedanke im Vordergrund: „Was, wenn sie sich mit jemandem trifft, der keine guten Absichten hat?“, fragen sie sich dann. Andererseits wolle man den Singles auch die Chance geben, die große Liebe zu finden. Cindy und Alfred sind vor etwa neun Jahren auf Facebook miteinander in Kontakt gekommen. Etwa zwei Jahre lang haben sie sich geschrieben, bevor ein erstes Treffen verabredet wurde. „Im Internet sollte man vorsichtig sein, das kann gefährlich werden“, weiß Cindy. Die heute 32-Jährige hat damals bereits in der Paulinenpflege in Winnenden gewohnt, Alfred hingegen lebte damals in einer Stuttgarter Einrichtung. Am Ende ist dann alles gut geworden, auch wenn das erste Date nicht so ganz geklappt hat, wie erhofft. Fragt man Alfred, was er an seiner Freundin besonders liebt, kommt als Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Alles.“ Nach einer so langen Beziehung ist auch bei den beiden die Familienplanung ein Thema. Schon öfters hätten sie darüber gesprochen, sagen sie, es beschäftige sie. „Wir wollen mal Kinder haben“, verrät Cindy.