Drum küss und denk nicht dabei!
Hildegard Knefs Leben kommt in Stuttgart auf die Bühne
Die in Ulm geborene Hildegard Knef ist neben Marlene Dietrich die berühmteste deutsche Diva des 20. Jahrhunderts. Sechs grandiose Lieder zur Einstimmung auf den Knef-Abend in der Komödie im Marquardt.
„Ich brauch’ Tapetenwechsel, sprach die Birke / Und macht’ sich in der Dämmerung auf den Weg“: Ganz trocken und lapidar, begleitet nur von ein bisschen Gitarren-Swing, singt Hildegard Knef 1971 dieses Lied. Völlig absurd die Geschichte, doch wie selbstverständlich die folgende Begründung: „Ich brauche frischen Wind um meine Krone / Ich will nicht mehr in Reih und Glied / In eurem Haine stehen, die gleiche Wiese sehen / Die Sonne links am Morgen, abends rechts.“ Klar, dass man als Hörer des wunderbaren Chansons an eine Metapher für eine große Befreiung denkt; das passte ja auch gut zur Aufbruchsstimmung jener Jahre. Aber wer es sich bei der Knef so einfach macht, hat die Rechnung ohne die Künstlerin gemacht: Nach allerlei absurden Begegnungen landet die Wanderbirke nach ihrem mentalen Höhenflug zwar nicht als Bettvorleger, aber als Möbelstück: „Des Försters Beil traf sie im Morgenschimmer / Gleich an der Schranke, als der D-Zug kam / Und als Kommode dachte sie noch immer / Wie schön es doch im Birkenhaine war“. Und das alles mit der Stimme der großen Künstlerin: süßeste, herrlichste Melancholie! (schl)
So viel Lebensweisheit in einen harmlosen Walzer packen – das kann nur die Knef: „Eins und eins, das macht zwei / Drum küss und denk nicht dabei / Denn denken schadet der Illusion“, singt sie 1964 in Charlie Niessens Chanson, das mit seufzenden Streichern als Liebeslied beginnt, sich zwischendurch als Moritat von Bert Brecht und Kurt Weil verkleidet („Der Mensch an sich ist einsam und bleibt verlassen zurück / Sucht man sich nicht gemeinsam ein kleines Stück von dem Glück“) und zartbitter endet: „Erst kommt der erste Kuss / Dann kommt der letzte Kuss / Dann der Schluss.“ (gun)
Am ehesten hört man es noch auf Geburtstagsfesten, denn umgedichtet ist das Lied eines der schönsten Ständchen: „Für dich soll’s rote Rosen regnen“. Wenn der ganze Saal einstimmt, ist man für einen Moment mit der Welt versöhnt. Aber eigentlich ist in Hildegard Knefs größtem Hit das „Ich“ wichtig, das hier für sich nicht nur Rosen einfordert, sondern gleich sämtliche Wunder für sich in Anspruch nimmt, dauerhafte Liebe erwartet und lebenslanges Glück. In „Rote Rosen“ spricht der Übermut der Jugend, die angetrieben von Größenwahn und blindem Eifer ins Leben stürmt. Und später? Süße Melancholie zieht sich durch das Lied, aber auch Trotz, sich selbst im Alter noch etwas von dieser jugendlichen Aufbruchsstimmung zu bewahren und Glück für sich einzuklagen – auch wenn es nicht mehr um alles oder nichts geht, sondern man sich irgendwo dazwischen hat einrichten müssen. So steckt viel Lebensklugheit in diesem so beiläufig daherkommenden Lied im freundlichen Dreivierteltakt, der nicht kraftstrotzend, sondern leicht schleppend ist – und dabei so betörend und sanft, wie es das Glück sein sollte./ADR -
In 2:24 Minuten fasst Hildegard Knef ihre Biografie zusammen (42 Jahre sind das 1967). Erfolg wie Misserfolg kommentiert sie mit „Von nun an ging’s bergab“, selbstironisch, lakonisch im Ton, dazu swingende Kling-klong-Barmusik. In einer Fernsehaufzeichnung von 1971 steht sie in weißer Robe da, die Hand in die Hüfte gestützt: „Jetzt war ich berühmt, war Hilde im Glück . . . doch nach einer Pleite, da war ich verpönt.“ Sie bleibt ungerührt, den Kopf erhoben. Man kann das Leben – bergauf oder bergab – singen, man könnte es sogar tanzen. Auch das lehrt die weise Dame. (golo)
Die Kunst eines Cover-Songs liegt darin, ein fremdes Lied sich zu eigen zu machen. „Ich glaub’, ne Dame werd’ ich nie“, Hildegard Knefs Interpretation von Frank Sinatras „The Lady is a Tramp“ schafft es. Sinatra zeigt die Heuchelei der hohen Gesellschaft, es bleibt jedoch unklar, ob er es als Außenstehender oder als Mitglied dieser Gesellschaft tut. Knef hingegen positioniert sich: Ich gehöre da nicht hin, und es ist auch gut so. Mit frecher Eleganz erklärt Knef, sie sei zu hungrig für eine Hungerdiät, habe eine Antipathie gegen Playboys und kenne alle Biere, doch keinen Wein. Kurz: Sie habe keinen Bock auf die Erwartungen, die an Frauen gestellt werden. Und wenn sie dafür keine Dame ist – was soll’s. Selbstbewusster geht’s kaum. Die früheste auffindbare Aufnahme des Lieds ist mit 1966 datiert. Es ist das Jahr, in dem Betty Friedans revolutionäres Buch „Der Weiblichkeitswahn. Ein vehementer Protest gegen das Wunschbild von der Frau“ ins Deutsche übersetzt wurde. (albe)
Mit einernikotingeschrubbten Stimme das Hässliche und Traurige schönsingen, das konnte Knef wie keine Zweite. Unsentimental, unversöhnlich, am besten unplugged. In ihren Liedern verglich sie Berlin schon mal mit einer Sommersprossengöre mit Silberblick, sie adelte das Heimweh, die Einsamkeit, den abgebrannten Liebhaber. Und die dunkle, helle Nacht in irgendeiner Stadt. „Ich bin zu müde, um schlafen zu gehen“: Erstmals 1966 sang die Knef diese Hymne für alle Schlaflosen und Mondanheuler, denen um vier Uhr morgens die besten Einsichten kommen. Zum Beispiel die: Schlafen ist fast so sinnlos wie der Tod. (pav)