Durch den Abend, durch die Nacht
Maria Belali aus Murrhardt ist zu einer Zeit unterwegs, in der andere schon lange ihre Arbeit abgeschlossen haben oder friedlich schlummern. Krankenfahrt, Ruf- oder klassische Taxitour – bei einer Spät- und Nachtschicht steht meist ein Mix auf dem Programm.

© Jörg Fiedler
Maria Belali macht am Ferdinand-Nägele-Platz in Murrhardt Station. Abends und zur Schlafenszeit steht sie bereit, wenn jemand eine Taxifahrt braucht. Foto: J. Fiedler
Von Christine Schick
MURRHARDT. Es ist ein sommerlicher Freitag, an dem die gemeinsame Fahrt gegen 21.30 Uhr in Murrhardt vom Ferdinand-Nägele-Platz aus beginnt, und insofern auch noch hell. Es geht von der Walterichstadt ins benachbarte Sulzbach an der Murr. Ein junger Mann hat sich eine Ruftaxifahrt vom Bahnhof nach Spiegelberg geordert. Um diese Zeit gibt es keinen Bus mehr, den er nehmen könnte. Maria Belali knüpft ein lockeres Gespräch an. Der junge Fahrgast erzählt von einem vergangenen Fußballabenteuer als Fan, bei dem sich Hoffenheim- und Hertaanhänger gegenüberstehen, und dann auch noch die Frage auftaucht, wie rund 40 Ultras die Lage verändern. Die Sache sei gut gegangen. Nach der Ankunft weiß die Taxifahrerin auch, wie groß der junge Fahrgast ist und wie das bei seiner Freundin aussieht. Manchmal streut sie auch eine Bemerkung zu ihren eigenen Kindern ein.
Es dämmert langsam und Maria Belali macht sich zu einer späten Krankenfahrt auf. Ein Fahrgast muss in Backnang abgeholt und nach Murrhardt gebracht werden. „Viele Frauen fragen mich, ob ich keine Angst habe, nachts zu fahren“, erzählt die 50-Jährige und schüttelt den Kopf. „Passieren kann aber auch tagsüber etwas.“ Das stimmt. Leider. Vor zwei Monaten, als sie einen Mann von Murrhardt nach Gaildorf bringt, rückt der zum Schluss damit raus, dass er erst noch bei der Bank Geld holen will. Die Geschichte endet damit, dass er Maria Belali unvermittelt den Kopf gegen die Scheibe schlägt und das Weite sucht. Sie verständigt die Polizei. Die 50-Jährige macht trotzdem weiter.
Maria Belali ist eine gestandene Frau, hat drei Kinder großgezogen. Die sind mittlerweile alle so gut wie selbstständig. Ihre beiden Söhne, 28 und 29 Jahre, arbeiten, ihre 21-jährige Tochter macht gerade eine Ausbildung. In Backnang ist Zeit für eine kurze Zigarettenpause, dann kommt der Fahrgast, nickt und nimmt ganz selbstverständlich hinten im Auto Platz. „Ich habe relativ viele Stammkunden“, sagt die Taxifahrerin. „Manchmal, wenn mich jemand anruft und ich gerade noch eine Ruftaxifahrt habe, biete ich an, im Anschluss zu kommen. Manche wollen dann auch warten.“ Für das Unternehmen Taxi Bönisch& Taxi Wist in Murrhardt und Aspach ist die Griechin schon einige Jahre tätig.
Auf ihren Touren bringt sie viele junge Menschen von A nach B.
Als sie noch bei der Deutschen Post arbeitet, spricht ihr heutiger Chef sie an, ob sie nicht als Fahrerin bei ihm einsteigen möchte. Sie schlägt ein und lernt den Fahrdienst mit Mietwagen kennen. „Meine erste Fahrt war bei einem Andrea-Berg-Konzert, es ging von Murrhardt nach Aspach“, erzählt sie und dass sie noch ganz schnell Wechselgeld besorgen musste. Mittlerweile hat sie ihren Taxischein, fährt unter der Woche abends und nachts und hat am Wochenende frei.
Das letzte Stück bis nach Murrhardt geht es über das sogenannte Trailhofsträßle, ein schmaler, verschlungner Weg vom Auenwalder Teilort Trailhof in die Walterichstadt. Die Scheinwerfer strahlen das hochgewachsene Gras an den Rändern an und lassen die Fahrbahn noch enger erscheinen. „Hier sind oft Rehe“, sagt Maria Belali. Auf den Fahrten über Land kommt einiges an Begegnungen mit tierischen Mitgeschöpfen am Straßenrand zusammen – ein Hase mit beeindruckend langen Ohren, eine schwarze Katze, zwei Füchse, ein Marder und ein Igel. Letzterer ist gerade dabei, die Straße zu überqueren, doch weil die 50-Jährige auch in der Nacht sehr gut sieht, kann sie dem Tier ohne Gefahr ausweichen und ihre Fahrt fortsetzen.
Zu späterer Stunde beschließt sie, vor einer weiteren Ruftaxifahrt eine Pause einzulegen. Bei der Gaststätte Stern am Murrhardter Marktplatz ist noch ein Tisch frei und Maria Belali bestellt einen Eiskaffee. Wie hat es sie denn nach Süddeutschland verschlagen? „Ich hab 1988 geheiratet und bin dann mit meinem Mann aus Griechenland her gekommen, damals haben wir in Großaspach gewohnt“, sagt sie. Ihre Mutter besorgt ihr ein gutes Deutschlernbuch und bringt es auf die Post. Später geht sie ihren Weg mit den Kindern alleine weiter, lebt lange in Backnang. Als sie dort aus der Wohnung wegen Eigenbedarf ausziehen und eine neue Bleibe suchen muss, wird sie in der Walterichstadt fündig. „Ich fühl mich wohl in Murrhardt.“
Als sie das erzählt, fängt es an, rund um den Stern turbulent zu werden, die Italiener im Städtchen bejubeln das gewonnene Spiel ihrer Landsleute. Die Freude wird in Hupen und kleinen Runden mit Fiat und Roller durch die Gassen kanalisiert. Zeit zum Mitfeiern ist nicht, denn Maria Belali erreicht ein Anruf und die Bitte, jemand auf Schloss Ebersberg abzuholen. Auch eine Ruftaxiorder auf ihrem zweiten Handy trudelt ein. Sie muss den halben Eiskaffee stehen lassen. Wieder geht es durch die Nacht und nach einigen Kilometern klingelt das Smartphone. Die Fahrt zum Schloss wird abgesagt. „Ich bin jetzt schon die halbe Strecke gefahren“, sagt Maria Belali etwas enttäuscht, lässt sich aber nicht weiter die Laune verderben. Das junge Paar, das sie am Sulzbacher Bahnhof abholt, kennt sie. „Wir waren in Backnang unterwegs“, sagt der junge Mann, der öfters mit der 50-Jährigen fährt, auch unter der Woche. „Ich bin noch in der Ausbildung.“ Maria Belali muss nicht nach der Adresse fragen, sie weiß, wohin es später innerhalb von Spiegelberg geht. Es sind viele junge Menschen, die sie von Zug oder S-Bahn nach Hause bringt. Und mit ihren Stammkunden fühlt sie sich sicher.
Am Murrhardter Bahnhof holt sie sich am Automaten ein paar Knacker. Der nächste Anruf folgt auf das erste Würstchen. Die Bitte einer Fahrt von Murrhardt-Alm nach Fornsbach. Das Pärchen wartet an der Straße und steigt ein. Der junge Mann erkennt Maria Belali sofort, hat sie noch in guter Erinnerung. Die beiden machen gerade einen heimatlichen Besuch, studieren in Tübingen.
Die 50-Jährige bekommt über die Fahrten einiges mit. Es lässt sich erahnen, dass sich die kleinen Ausschnitte, die Erzählungen und Alltagsstrecken zu dem einen oder anderen Mosaik zusammensetzen, das auch ein Sozialwissenschaftler spannend fände. Und die Nacht ist noch nicht zu Ende. Wieder trudeln Ruftaxianmeldungen ein, ihre Arbeitszeit endet spätestens um 5 Uhr. Aber dieser Tage wechselt die 50-Jährige die Seiten und bestimmt das Ziel selbst: „Ich habe drei Wochen Urlaub und besuche meine Familie in Griechenland.“ Ihre Eltern und ihr Bruder leben im Norden in Kavala. Gute Reise!