Durch Geläut zum Frieden rufen

Glockenspezialist Dekan i.R. Dieter Eisenhardt referiert beim 228. Altstadtstammtisch des Heimat- und Kunstvereins in der Stiftskirche zum Thema Backnanger Glocken. Konkrete Informationen zu Glocken in der einstigen Gerberstadt sind erst nach dem Stadtbrand von 1693 fassbar.

Im Jahr 1950 wurden im Stadtturm vier neue Glocken installiert. Repro: P. Wolf

Im Jahr 1950 wurden im Stadtturm vier neue Glocken installiert. Repro: P. Wolf

Von Klaus J. Loderer

Backnang. Dieter Eisenhardt ist in Backnang vor allem als ehemaliger evangelischer Pfarrer von Oberbrüden und von der Backnanger Matthäuskirche bekannt. In Herrenberg hat er als Dekan ein besonderes Erbe hinterlassen, an dem er noch heute mit ganzem Herzblut hängt, nämlich das Glockenmuseum in der dortigen Stiftskirche. Auch Backnang konnte immer wieder von seinem Wissen als Glockenspezialist profitieren. Im Rahmen des 228. Altstadtstammtischs des Heimat- und Kunstvereins stellte er die Backnanger Glocken vor. Dafür nutzte er die Atmosphäre der Backnanger Stiftskirche, in der der Vortrag stattfand. Das Geläut des Stadtturms stimmte auf den Vortrag ein.

Der Bestand an historischen Glocken ist in Backnang gering, stellte Eisenhardt fest. So musste er für die Glocken der mittelalterlichen Stiftskirche auf Vermutungen zurückgreifen. Es sei anzunehmen, dass in den Chorseitentürmen der romanischen Stiftskirche mindestens seit dem 12. Jahrhundert Glocken vorhanden waren. An den Türmen sieht man heute noch die Schallöffnungen. Vermutlich konnte man vom Kirchenschiff aus die herabhängenden Seile der Glocken sehen, mutmaßte Eisenhardt. Konkrete Informationen zu Glocken seien erst nach dem Stadtbrand von 1693 fassbar. So finde man in der Oberamtsbeschreibung die Beschreibung der vier Glocken im Stadtturm. Eine große Glocke wurde von dem wandernden Glockengießer Johann Rosier aus dem Erz der beim Brand geschmolzenen alten Glocken gegossen. 1739 entstand die durch abenteuerliche Umstände bis heute erhaltene, allerdings beschädigte, von Gottlieb Jakob Rechlen angefertigte Glocke. Sie ist eine der wenigen evangelischen Glocken mit Zierelementen. Dazu gehören die Salbeiblätter. Salbeiblättern wurde eine apotropäische, Unheil abwehrende Wirkung nachgesagt. Auch der Südturm der Stiftskirche erhielt 1695 einen doppelten Glockenstuhl für zwei Glocken. Eisenhardt erwähnte schmunzelnd den Streit um den Glockengießer. In Backnang bevorzugte man den preisgünstigeren Rosier, während der Herzog schließlich einen Stuttgarter Glockengießer durchsetzte. Der Dachreiter des Totenkirchleins besaß zwei Glocken, ebenso das Türmchen des Rathauses.

Zu den typischen Elementen eines Geläuts gehörte auch in Backnang eine Armesünderglocke. Diese läutete letztmals 1848 bei der letzten in Backnang durchgeführten Hinrichtung.

Dass wenige historische Glocken vorhanden sind hat seinen Grund auch darin, dass in beiden Weltkriegen die Glocken abgeliefert werden mussten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwarf der evangelische Kirchenrat Wilhelm Schildge die neue Disposition des Geläuts auf der Basis der Marienglocke der katholischen Kirche St. Johannes Baptist. Eisenhardt zitierte aus den Akten des Oberkirchenrats: „Kraftvoller Klang, einheitlich, stetiger Klang.“ So beschrieb Schildge die Marienglocke. Ihn erinnerte der Klang sogar an ein „inniges Anklopfen an der Himmelstür, Geduld, anhaltend in der Gewißheit zukünftiger Erhöhung“. Ausgeführt wurden die Glocken der evangelischen Kirche aber in tieferem Klang als von Schildge empfohlen. 1950 kamen vier neue, von Heinrich Kurtz gegossene Glocken auf den Stadtturm, darunter die Taufglocke, die Abendglocke und die Zwölfuhrglocke. Dass deren Läuten zum Frieden rufen soll, betonte Eisenhardt besonders.

Bei der katholischen Kirche hob Eisenhardt besonders die Marienglocke hervor. Auch diese in Biberach gefertigte Glocke von 1894 gehöre zu den wenigen historischen Glocken in Backnang. Aber selbst der originale hölzerne Glockenstuhl habe seine historische Bedeutung, betonte Eisenhardt.

Die Geläute der katholischen Christkönigskirche und der evangelischen Matthäuskirche seien bei ihrer Entstehung bewusst auf einen gemeinsamen Klang abgestimmt worden, ergänzte Eisenhardt zu diesen beiden Backnanger Kirchen.

Am Ende seines Vortrags kam Eisenhardt noch auf die Friedensglocke in der Friedhofskapelle zu sprechen. Diese ist eine der zahlreichen Glocken, die Eisenhardt in den letzten Jahren gestaltete. Zum Abschluss des Vortrags erklang die im Südturm der Stiftskirche hängende Vaterunserglocke.

Pfarrerin Sabine Goller-Braun bedankte sich bei Dieter Eisenhardt für den spannenden Vortrag. Sie hatte den Vortrag eingeleitet mit dem Hinweis darauf, dass die seither am Chor der Stiftskirche stehende Rechlenglocke nicht verschwunden sei. „Sie ist nicht etwa eingeschmolzen worden“, beruhigte sie die Gäste des Vortrags, vielmehr überlege man sich, wie und wo man für diese historische Glocke einen würdigen Platz finden könne.

Dass diese Glocke überhaupt wieder in Backnang ist, auch das ist Dieter Eisenhardt zu verdanken. Er war es, der die Glocke auf dem Hoppenlaufriedhof in Stuttgart wiederentdeckte, wo sie aus den Beständen beschädigter Glocken der Glockengießerei Kurtz hingekommen war. Nur durch einen Zufall hat diese Glocke die Einschmelzung überlebt.

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Erstellt:
15. Juni 2022, 06:00 Uhr

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