Ein Abend für die Opfer des Hochwassers
Der Großerlacher Bürgermeister Christoph Jäger und Autor Titus Simon unterhalten ihr Publikum in Murrhardt mit eigenen Songs und Texten. Das Spendengeld kommt der Lebenshilfe Ahrweiler zugute, die durch die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz zwölf Tote zu beklagen hat.

© Jörg Fiedler
Titus Simon (von links), Christoph Jäger und Sepp Steinkogler gestalteten den Benefizabend in Murrhardt für die Lebenshilfe Ahrweiler mit ihren Liedern und Texten. Foto: J. Fiedler
Von Annette Hohnerlein
MURRHARDT. Christoph Jäger und Titus Simon haben schon verschiedentlich gemeinsam auf der Bühne gestanden und sind in Murrhardt keine Unbekannten. „Lesung und Lieder“ lautete der Titel ihrer Benefizveranstaltung am Freitag, mit der sie die Lebenshilfe Ahrweiler unterstützen, die bei der Hochwasserkatastrophe so furchtbar getroffen wurde. Zwölf der 36 Bewohner des Lebenshilfe-Hauses im rheinland-pfälzischen Sinzig ertranken, als die Ahr in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli über die Ufer trat. Zwar ist mit Geld keinem der Opfer mehr zu helfen, aber wenigstens kann damit das derzeit unbewohnbare Haus für die Überlebenden saniert oder neu gebaut werden, so das Ansinnen.
„Da wird viel Geld gebraucht“, merkte Michael Balzer von der Lebenshilfe Rems-Murr in seinem Grußwort an. Ralf Wallau vom Förderverein Freibad Murrhardt, der die Veranstaltung zusammen mit dem Lions-Club-Backnang-Förderverein und der Stadt Murrhardt organisiert hatte, konnte über 120 Zuhörer auf der Terrasse der Stadthalle begrüßen. „Ein Ort, der gut durchlüftet und trotzdem überdacht ist“, betonte Murrhardts Bürgermeister Armin Mößner mit Blick auf den Infektionsschutz in Coronazeiten. Christoph Jäger präsentierte an diesem Abend vorwiegend Eigenkompositionen, mal melancholisch und nachdenklich, mal engagiert und wütend, vorgetragen mit kraftvoller Stimme und großer Eindringlichkeit. „Baut Brücken statt Mauern“, so sein Appell an die Menschen: „Es liegt an uns allen, macht es gemeinsam.“ Seine Songs handelten von seiner Liebe zur Musik, vom Gesicht eines alten Mannes oder von Django, dem Kirmeskind, einer Figur aus einem Roman von Titus Simon. Auch vermutlich Autobiografisches scheint in seinen Liedern auf („Langhaardackel, Kleinstadthippies hat man uns genannt“), ebenso wie eine Liebeserklärung an die einfache Stammkneipe („Der Wein zu süß, das Essen grausam, schal das Bier“), in der sich aber jeder wohlfühlt („Heute Nacht ist’s nirgendwo besser“).
Hierbei hatte Jäger einen einfühlsamen musikalischen Begleiter an seiner Seite, den Gitarristen Sepp Steinkogler, der für die Veranstaltung extra seinen Urlaub verschoben hatte. Im Wechsel zu den Musikbeiträgen las Titus Simon Passagen aus seiner Erzählung „Wir Gassenkinder“. Darin schildert er mit viel Liebe zum Detail Episoden einer – seiner – Kindheit im Murrhardt der 1960er-Jahre. Manch ein Zuhörer mag sich an eigene Erlebnisse erinnert haben, wenn Simon davon erzählt, wie er und seine Freunde gebannt beobachteten, wie ein überlanger Holzlaster beim Passieren der engen Ortsdurchfahrt einige Schäden anrichtete. Farbig schildert er eine Einkehr im Gasthaus „Eiche“ („Im Flur roch es mostig, an der Tür zur Toilette stand ‚Abort‘“),
wo es – Inbegriff von Kinderglück – eine Bluna und eine trockene Brezel für den
kleinen Titus gab.
Auch Traumatisches kommt zur Sprache, wie die Nachhilfelehrerin, eine „grausame alte Hexe mit schlechtem Atem“, die mit einem silbernen Fingerhut Kopfnüsse an ihre Schüler verteilte. Mit nachsichtigem Blick erzählt Simon von sich und seinen
Freunden als Halbwüchsige, die vor den Murr-Lichtspielen herumlungerten, wo ein unerhörter Film mit einer Nacktszene lief: „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef. „Manch einer brüstete sich mit Erfahrungen, die
er nie gemacht hatte“, so Simon in seiner Rückschau.
Robert Antretter, der Ehrenvorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, war jüngst bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Backnangs Ex-Oberbürgermeister Frank Nopper auf Christoph Jäger zugegangen. Sein Anliegen damals, wenige Tage nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands: den Ortsverein der Lebenshilfe Ahrweiler in dieser schweren Krise zu unterstützen. Der Großerlacher Schultes war aber bereits von Titus Simon angesprochen worden, der die gleiche Idee gehabt hatte. So kam es, dass der unterhaltsame Abend gleich drei Väter hatte. Bereits vor der Veranstaltung befanden sich rund 3300 Euro in der Spendenkasse. Denn beim Murrhardter Sommerpalast-Bergfestival hatten die Wasserfreunde Hinterwestermurr den Erlös der Bewirtung für diesen Zweck gespendet. Dazu kam noch der
Inhalt einer spontan herumgereichten Spendenbox.
Zusammen mit den knapp 2000 Euro, die die Besucher des Benefizabends vor Ort spendeten und dem Geld, das auf dem Konto des Lions-Club-Backnang-Fördervereins für diesen Zweck noch eingeht, können die Veranstalter eine bedeutende Summe an die Lebenshilfe Ahrweiler überweisen. „Die Welt wird eine andere sein, nach Corona und nach der Flutkatastrophe“, prophezeite Robert Antretter am Ende des Abends: „Wir können nicht erreichen, dass die Erde der Himmel wird. Aber wir können viel dazu tun, dass die Welt keine Hölle wird.“
„Manch einer brüstetesich mit Erfahrungen, die
er nie gemacht hatte.“ Titus Simon,
zitiert aus seiner Erzählung „Wir Gassenkinder“ Spendenaktion Details zur Aktion und der Arbeit des Lions Clubs Backnang erhält man per E-Mail an info@lions-club-backnang.de.