Ein Bild sagt mehr als viele Worte
Neue Ausstellung in der Galerie Stihl Waiblingen: Graphic Novels aus der aktuellen deutschen Comicszene
Fotografen sind dieser Meinung, aber auch Zeichner können sich auf diesen Standpunkt stellen: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, heißt es dann, und es stimmt ja auch, müssen die Texter eingestehen. Wie wirkmächtig eine gezeichnete Geschichte ist, das zeigt jetzt eine Schau in der Galerie Stihl Waiblingen über Graphic Novels. Der Schwerpunkt liegt auf aktuellen Comicromane aus Deutschland.

Barbara Yelin aus „Der Sommer ihres Lebens“ aus dem Jahr 2017. Reprodukt
Von Jörg Nolle
WAIBLINGEN. Eine Kunstgalerie arbeitet dem Buch zu. Die Stellwände gruppieren sich dieses Mal um eine Leseinsel mit Sesseln, die zum Verarbeiten des Gesehenen vor Ort einladen. Also gilt es, sich fallen lassen ins Fauteuil und das, was im Großformat angerissen wurde, sich in einer längeren Strecke vor Augen und ins Gemüt zu führen. Das geht hier allemal. Das Kunstmuseum als Ort mit Aufenthaltsqualität.
Eine an den Wänden groß gezogene Arbeit freilich ist noch gar nicht gedruckt erschienen. Es ist die Arbeit des Zeichners Felix Pestemer, der uns mit unzähligen Bleistiftstrichen, akzentuiert teils mit Tusche, ein Drachen-Ei ins Stammhirn implantiert. Da geht es um kulturgeschichtliche Fragen. Dann um Sagen, etwa wenn unser Held Siegfried mit dem Schwert ausholt. Und wie sich der größte Blutsäufer des vorigen Jahrhunderts, Adolf Hitler, des Drachentöters bemächtigte. Felix Pestemer, der Autor und Ausführende, sagt denn auch: „Das grafische Erzählen bietet mehr Interpretationsräume und einen assoziativen, emotionaleren Zugang.“ Und er fügt hinzu: „Bilder können mehr erzählen als Worte.“ Da ist sie wieder, die Feststellung von der Überlegenheit des Bildes.
Sehr oft fallen Autor und Illustrator, um das alte Wort zu nehmen, in eins in der Waiblinger Schau, die mit aktuellen Ergänzungen übernommen wurde vom Horst-Janssen-Museum Oldenburg. Für Olivier Kugler gilt das auf jeden Fall. Auch so eine Entdeckung, die jetzt zu machen ist. Er arbeitet mit an einer neuen Gattung, die der Comicreportage.
Der Krisenreporter
unter den Künstlern
Wie ein Krisen- oder Kriegsreporter reist er an Schauplätze, redet mit den Menschen, macht Fotos, zeichnet Skizzen und geht dann an die Vervollkommnung. Das englische Oppositionsblatt „The Guardian“ ist zum Beispiel ein Abnehmer. In Waiblingen sehen wir von Kugler Einblicke ins Lager der Flüchtlinge, die von Calais aus weiter nach England wollen. Man muss sich den Witz anschauen, etwa wenn Kugler auf dem Großformat im Vordergrund ein weggeworfenes Wattestäbchen unterbringt. Aber die Realität holt einen schnell wieder ein, wenn er Männer aus Syrien erzählen lässt. Da heißt es in der Sprechblase: „Europa ist nicht unser Traumziel. Es ist nicht das Paradies.“ Die Menschen wären gerne in Syrien geblieben, aber viereinhalb Jahre Krieg halte keiner aus.
Wer es klassischer mag, wer Bilderfolgen haben will zur Weltliteratur – bitte schön. Der halte sich an Jakob Hinrichs, der in „Der Trinker“ Motive aus Hans Falladas Roman mit der Biografie des Schriftstellers verquickt. Und da schaue einer genau hin. Die Bettwanze rückt solchermaßen ins Bild, dass noch jedes Flimmerhärchen zu sehen ist. Der Niedergang ist ein gefundenes Fressen für Parasiten. Und wie in Brehms Tierleben erfahren wir in aller Nüchternheit: „Bettwanzen sind darauf spezialisiert, in den Schlafplätzen von gleichwarmen Lebewesen, vor allem Menschen, zu leben und sich von deren Blut zu ernähren.“
Gezeichnete Bilderfolgen haben Spuren im Feuilleton hinterlassen
Insgesamt 17 aktuelle Beitragslieferanten sind mit ihren Arbeiten vertreten zu einer Gattung, die wohl nur dem Namen nach recht neu ist – Graphic Novel. Die anschauliche Sache an sich ist nur zu gut bekannt. Geheimrat Goethe musste sich bereits eines Spötters seiner Person und seines Faustwerks erwehren. Um dann zu realisieren, dass Gezeichnetes besser geeignet ist, viele Menschen zu erreichen. Und was den deutschen Bildungsbürger angeht, der ja Kunstgalerien zu seinen Lieblingsaufenthaltsorten erkoren hat: Auch er, der Feuilletonleser, hatte sicherlich schon sein Erweckungserlebnis. Es war „Maus. Die Geschichte eines Überlebenden“ von Art Spiegelman, 1989 auf Deutsch erschienen. Die gezeichnete Geschichte des Vaters, eines Auschwitzüberlebenden. Spätestens ab dem Moment, als das Feuilleton nicht mehr wegsehen konnte, haben gezeichnete Bilderfolgen Spuren hinterlassen. Comics sind halt doch nicht mit Superhelden-Geschichten und Micky Maus-Heftchen gleichzusetzen. Das Waiblinger Publikum müsste es eigentlich wissen. Die Schau unlängst mit den Werken von Christoph Niemann hat viele Menschen überzeugt.
Die Ausstellung Graphic Novels wird am Samstag, 29. September, in der Galerie Stihl eröffnet und läuft bis zum 6. Januar 2019.

Die Galerie Stihl Waiblingen beschließt ihr Jubiläumsjahr zum zehnjährigen Bestehen des Hauses mit einer außergewöhnlichen Ausstellung zum Thema Graphic Novel. Präsentiert werden Originalzeichnungen, Probedrucke und Skizzen von siebzehn herausragenden Comickünstlern aus dem deutschsprachigen Raum, darunter national wie international ausgezeichnete Vertreter des Genres. Foto: Galerie Stihl