Ein Kennenlernen des neuen Wohnorts

Stadtarchivar Bernhard Trefz nimmt geflüchtete Ukrainer und deren Backnanger Gastgeber mit auf eine Stadtführung zu bedeutenden Orten der Stadtgeschichte und wichtigen Anlaufstellen.

Etwa 30 Kriegsgeflüchtete und ihre Gastgeber haben sich von Stadtarchivar Bernhard Trefz die Stadt zeigen lassen. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Etwa 30 Kriegsgeflüchtete und ihre Gastgeber haben sich von Stadtarchivar Bernhard Trefz die Stadt zeigen lassen. Foto: J. Fiedler

Von Carmen Warstat

BACKNANG. „Kein Geschichtsseminar“ solle es werden, sondern ein Stadtrundgang zu wichtigen Punkten Backnangs, so die Ankündigung des Stadtarchivars Bernhard Trefz, der die Leitung der kleinen Führung für etwa 30 Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine und deren Gastgeber übernommen hatte. Eingeladen hatte die Stadtverwaltung, um Hilfe anzubieten und ein Willkommenszeichen für die (vorwiegend) Frauen und Kinder zu setzen, die diese Geste dankbar annahmen. „Herzlich willkommen in Backnang“, rief Trefz also und wies auf die Fahne am Rathaus hin, um festzustellen, dass die Farben der Ukraine zugleich die Backnanger Stadtfarben sind – ein Kuriosum vielleicht, zumindest brachte es die Gekommenen zum Lächeln.

Das Eis war somit schnell gebrochen und die ukrainischen Mitbürger erwiesen sich als aufmerksame und interessierte Zuhörer, die ab und an auch Nachfragen zur Geschichte der Stadt stellten. Von der Übersetzerin Ganna Ebhardt nach der Sprache ihrer Wahl befragt, entschieden sich die Gekommenen für das Russische, das – eine Folge der jahrzehntelangen sowjetischen Herrschaft – wirklich alle Ukrainer in ihrem Alltag sprechen, während das Ukrainische nicht von jedem sicher beherrscht wird. Ganna Ebhardt ist selbst gebürtige Ukrainerin und lebt seit zehn Jahren glücklich in Backnang. Sie sei hier fest verwurzelt, berichtete sie lachend, und dass sie bis vor Kurzem noch selbst Sprachkurse belegt habe, also keine ausgebildete Übersetzerin sei. Die Verständigung klappte indes hervorragend und Bernhard Trefz gestaltete seine Erläuterungen humorvoll.

Backnanger Stadtbrand und Gänsekrieg, Fachwerk und Stadt- sowie Kirchengemäuer, Lederindustrie und Vergiftung der Murr, Schweizerbau und Schillerpark, Stadtturm und Stiftshof – all das fand Erwähnung beziehungsweise wurde angeschaut, und in der Stiftskirche legte man eine kurze Rast ein. Wichtig für die Neuankömmlinge waren auch Trefz’ zahlreiche Hinweise auf Behörden und kulturelle Einrichtungen der Stadt. So schaute man im Biegel bei der Stadtverwaltung mit Bürgeramt, Ausländeramt und Stadtbücherei sowie dem Seniorenbüro vorbei, hielt kurz beim Gebäude der Backnanger Kreiszeitung, am Oelberg und am Petrus-Jacobi-Weg bei der städtischen Galerie mit dem gotischen Chor und lief schließlich zum Stiftshof, um einen Blick auf die Jugendmusikschule, das Bandhaus-Theater, das Amtsgericht sowie auf das Familien- und Baurechtsamt zu werfen und die Geschichte des einst geplanten und durch die Reformation verhinderten Backnanger Stadtschlosses zu hören. Letzte Station war der Schillerplatz, wo die Besucher etwa auf das Bürgerhaus als zentrale Kulturstätte, die Volkshochschule und die Begegnungsstätte in der Alten Post hingewiesen wurden. Trefz wünschte den Gekommenen zum Abschied alles Gute und dass der furchtbare Krieg in ihrer Heimat bald aufhören möge. Viele von ihnen blieben noch bei der Schillerbüste stehen und unterhielten sich über erste Erfahrungen in Deutschland. Man beschloss, in Kontakt zu bleiben und eine Gruppe „Ukrainer in Backnang“ zu gründen, um sich gegenseitig zu helfen.

Unter den Geflüchteten, die der Stadtführung beiwohnten, befanden sich eine junge Mama (Yuliia) und ihre Tochter (Sascha) aus Charkiw, die von der Backnangerin Uschi Winkler aufgenommen wurden und sich mit ihr bisher nur über eine App verständigen können. Uschi Winkler hat ihre beiden Gäste nach nur einer Woche bereits ins Herz geschlossen: „Es ist, als hätte ich noch eine Tochter und Enkelin bekommen.“ Und Yuliia rührt ihre Gastgeberin fast zu Tränen, als sie den Google-Übersetzer sagen lässt: „Wir sind sehr froh, in Backnang zu sein, und wir mögen es alle beide. Wir sind hier zu Hause.“ Dass es mit den Behörden „etwas zäh läuft“, kann Uschi Winkler nicht entmutigen. Nach ihrem Eindruck versuchen die Mitarbeiter auf den Ämtern alles ihnen Mögliche, sind aber mit der Situation verständlicherweise zum Teil noch überfordert. Momentan versucht die hilfsbereite Backnangerin ihre Gäste in Sprachkursen unterzubringen, damit Sascha bald eingeschult werden kann. Das Mädchen ist sieben und bestätigt, was ihre Mama auf Russisch gesagt hat, schüchtern mit einem lächelnden „Ja“.

Uschi Winkler hat ihre beiden Gäste nach nur einer Woche bereits ins Herz geschlossen. Wichtig waren auch Trefz’ Hinweise auf Behörden und kulturelle Einrichtungen.

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Erstellt:
23. April 2022, 06:00 Uhr

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