Ein Kuss zu viel

54-Jähriger wegen sexueller Belästigung einer Achtjährigen zu Geldstrafe verurteilt  –  Angeklagter gesteht Alkoholproblem ein

Symbolbild: BilderBox/Erwin Wodicka

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Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Im Amtsgericht Backnang ist eine Verhandlung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kinder in Tateinheit mit sexuellem Übergriff anberaumt. Dessen soll sich ein 54-jähriger Arbeitssuchender schuldig gemacht haben. An einem Februarsonntag dieses Jahres ist eine Mutter mit ihrem dreijährigen Sohn und ihrer achtjährigen Tochter in einer Wohngemeinschaft zu Gast. Mit von der Partie ist ihr früherer Lebensgefährte. Man sitzt und spricht oder spielt, die Mutter mit ihrem Dreijährigen und dem Lebensgefährten. Währenddessen befindet sich die Tochter im Nebenzimmer und spielt dort ein Computerspiel. Die Verbindungstür zwischen den beiden Zimmern steht offen. Der 54-Jährige, mit dem die anderen bekannt sind, schaut vorbei. Er begibt sich zur Tochter ins Nebenzimmer und nimmt am Computerspiel teil. Wegen eines Bandscheibenvorfalls hat der Angeklagte häufig Rückenschmerzen. So legt er sich in dem Nebenzimmer aufs Bett und spielt auf seinem Handy ein Autorenn-Spiel. Das Mädchen ist auch am Spiel interessiert, legt sich dazu. Nur zuschauen ist nichts. Die Achtjährige will selbst spielen. Dazu sollte sie aber das Handy selbst halten.

Minuten später stürzt die Achtjährige zurück ins andere Zimmer, von dort auf die Toilette. Die Mutter ist überrascht, geht ihr hinterher. Das Mädchen hat das Handy des 54-Jährigen in der Hand und behauptet, dieser habe sie geküsst. Und zwar sei’s ein Zungenkuss gewesen. Die Mutter ist entsetzt, der 54-Jährige kommt dazu, streitet ab, dass da etwas gewesen sei. Der Mutter ist die Sache unangenehm. Mit ihren zwei Kindern verlässt sie die Wohnung. Am Tag darauf erstattet sie Anzeige. Wiederum einen Tag später sei es noch einmal zu einem Gespräch mit dem 54-Jährigen gekommen. War dem wirklich so? Die Aussagen der Beteiligten sind unterschiedlich.

Von dem die Anzeige aufnehmenden Polizeibeamten wird die Mutter vernommen, Tage später zum zweiten Mal von einem Kriminalbeamten. Beide Beamten sagen vor Gericht aus. Die Vernehmungsaussagen der Achtjährigen werden wiedergegeben. Danach soll der Angeklagte das Mädchen festgehalten und geküsst haben. Sie soll zu ihm gesagt haben: Lass das! Aber weil er dem nicht nachkam, entriss sie ihm das Handy und floh.

Verängstigt sei die Achtjährige gewesen. Als sich in dieser Situation der jüngere Bruder anschickte, ins Nebenzimmer zu gehen, habe sie ihn abgehalten. Dieser Beschützer-Instinkt des Mädchens, der sonst nicht da ist, war der Mutter wiederum Anlass, den Angaben ihrer Tochter Glauben zu schenken und die Angelegenheit vor die Polizei zu bringen. Bei den Vernehmungen fügt die Achtjährige noch hinzu, dass sie den Angeklagten bei seinen Zudringlichkeiten auf die Wange geschlagen habe.

Bei der Zeugenvernehmung der Mutter will der Richter vor allem mehr über die Persönlichkeit der Achtjährigen erfahren. Schon im Alter von vier Jahren, so gibt die Mutter an, habe sie ihre Tochter aufgeklärt. Auch habe die Tochter beobachtet, wie sie, die Mutter, mit ihrem Partner Geschlechtsverkehr hatte. Die Tochter sei sehr interessiert an diesen Dingen. Mit ihrem Cousin zusammen, das habe die Mutter später zufällig entdeckt, habe die Tochter mithilfe ihres Tablets Nacktaufnahmen gemacht. Ferner sei die Achtjährige hyperkinetisch und frühpubertär, zurzeit in therapeutischer Behandlung.

Die Aussage des Mädchens erscheint dem Gericht glaubhaft

Auch das Mädchen wird vernommen. Der Richter gestaltet das sehr einfühlsam, legt seine Robe eigens ab, verlässt das Richterpult und setzt sich vor den Zeugentisch. Zwar etwas schüchtern, aber flüssig und zusammenhängend erzählt das Mädchen. Als Preis dafür, dass sie das Handy des Angeklagten selbstständig halten wollte, habe er einen Kuss verlangt. Als das Mädchen dies verweigert, habe er sie auf die Wange geküsst. Ferner habe er sie an der Hüfte berührt. Weil sie auf die Toilette musste, sei sie dann fortgerannt. Der Richter will das von dem Zungenkuss wissen. „Nein,“ sagt die Achtjährige, „mit der Zunge sei nichts passiert.“ Auch habe der Angeklagte sie nicht festgehalten. Das Handy habe sie nur mitgenommen, damit er sie in Ruhe lasse.

Am Tattag hatte der Angeklagte zwei bis drei Bier getrunken. Ja, er habe, so gibt der Angeklagte offen zu, ein Problem mit Alkohol. Aufgrund seiner Abhängigkeit sei er oft straffällig geworden. Insgesamt 14 Einträge weist sein Vorstrafenregister auf, vor allem wegen Trunkenheitsfahrten ist er verurteilt worden. Regelmäßig muss er zu kürzeren wie längeren Aufenthalten in die Psychiatrie. Im Übrigen lebt er von Hartz IV.

Die Staatsanwältin hält die Aussagen der Achtjährigen für glaubhaft. Wenn’s auch kein Zungenkuss gewesen sei, der Angeklagte habe von dem Mädchen einen Kuss verlangt. Der Tatbestand des versuchten sexuellen Missbrauchs sei damit erfüllt. Sie fordert sechs Monate auf Bewährung und 80 Stunden gemeinnützige Arbeit. Ein Verteidigerplädoyer entfällt, da der Angeklagte ohne Rechtsanwalt gekommen ist. Nach kurzer Beratung verurteilt der Richter den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 800 Euro wegen sexueller Belästigung. Er habe die Achtjährige nicht festgehalten und ihr auch keinen Zungenkuss gegeben. Aber ein Kuss auf die Wange seitens des Angeklagten sei’s wohl gewesen. Und das sei eine Grenzüberschreitung, zumal das Mädchen angab, dass sie das nicht wolle. Zu ahnden sei dies als sexuelle Belästigung, nicht als sexuellen Übergriff. Und wenn der Verurteilte die Geldstrafe nicht zu zahlen vermag, sei die Umwandlung in Arbeitsstunden möglich.

Die Mutter hat nach ihrer Vernehmung der Verhandlung beigewohnt, während die Tochter vor dem Verhandlungssaal wartete. Und damit es ihr nicht zu langweilig sei, sah sie sich auf dem Handy der Mutter einen Film an.

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Erstellt:
4. Oktober 2019, 06:00 Uhr

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